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In Umarmung

Politischer Pakt zwischen Regierung und Opposition soll die neue Verfassung für Bolivien retten

Von Ben Beutler, Santa Cruz de la Sierra *

Das Ringen um die Durchsetzung einer neuen, demokratischen Verfassung für Bolivien geht weiter. »Angesichts der Notwendigkeit einer nationalen Einigung drücken wir hiermit unseren politischen Willen aus, die Verfassungsgebende Versammlung weiterzuführen mit dem Ziel, das Mandat unseres Volkes zu erfüllen«, heißt es im »nationalen Abkommen« vom Wochenende. Es wurde von Repräsentanten aller wichtigen politischen Kräfte des Landes signiert, soll den in Not geratenen Verfassungsprozeß zur »Neugründung Boliviens« vor dem Scheitern retten. Betont wird darin, daß »jeder einzelne Artikel der neuen politischen Verfassung des Staates durch eine Zwei-Drittel-Mehrheit der Stimmen verabschiedet werden« soll, um abschließend insgesamt »dem Souverän zur Volksabstimmung vorgelegt zu werden«.

Die Initiative zu diesem Versuch der politischen Befriedung ging von der Regierungspartei »Bewegung zum Sozialismus« (MAS) aus. Für sie wäre ein Nichtzustandekommen einer neuen Magna Charta fatal, da eines ihrer Hauptwahlversprechen in der verfassungsmäßigen Festschreibung der bis dato nicht bestehenden Rechte der mehrheitlich indigenen Bevölkerung liegt. Aufgrund anhaltender Blockademanöver durch die rechte Opposition des Landes konnte der in Sucre tagende Verfassungskonvent bis heute keinen einzigen Artikel beschließen. Der Kongreß hatte den ursprünglichen Abgabetermin vom 2. August zuletzt auf den 14. Dezember verschoben. Eine Forderung der lokalen Elite Sucres nach vollem Hauptstadtstatus machte sich die gesamte Opposition zu eigen. Eskalierende Gewalt in Sucre zwang die Verfassungsgebende Versammlung vor zwei Wochen zu einer 30tägigen Zwangspause.

Die MAS kommt der Opposition nun weit entgegen. Der anvisierte »multinationale Staat« mit »indigener Selbstverwaltung« gemäß derer Rechtsprechung und Traditionen soll nur in abgeschwächter Form verwirklicht werden. Die sozialen Bewegungen bekommen keinen Status als »vierte Macht im Staate«. Den vier Departamenten, die 2006 für mehr Selbstverwaltung stimmten, wird regionale Autonomie garantiert. Alle Verfassungsartikel werden mit Zwei-Drittel-Mehrheit beschlossen, bei Verfehlung entscheidet ein Referendum.

Zwar entsprach die »Bewegung zum Sozialismus« mit den neuen Vorschlägen weitgehend den Forderungen der Opposition. Das wird ihre Position bei Verhandlungen allerdings kaum schwächen, kann sie doch weiter auf den enormen Rückhalt in der Bevölkerung bauen. Dagegen werden der Rechten durch diese politische Umarmung ihre bisher gebrauchten Argumente und somit der Wind aus den Segeln genommen. Zudem hielt die MAS an zentralen Punkten ihres Programms fest. Die Einführung der bisher nicht genehmigten Wiederwahl des Präsidenten, Amtsenthebungsentscheide für Mandatsträger per Volksentscheid sowie die entschädigungsfreien Verstaatlichung »unproduktiver Latifundien« bleiben demnach Bestandteile der neuen Verfassung.

* Aus: junge Welt, 24. September 2007


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