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Mehrheit der Indigenen plädiert für Straßenbau durch TIPNIS-Park

In Bolivien ist das Referendum vorbei, der Konflikt schwelt weiter

Von Benjamin Beutler *

Eine klare Mehrheit der befragten Indígena- Gemeinden hat sich in Bolivien für die Überlandstraße durch den Nationalpark TIPNIS ausgesprochen. Gelöst ist der Konflikt dadurch nicht.

In Bolivien reißt die Debatte um den umstrittenen Bau einer Straße durch indigenes Gebiet nicht ab. Zu Wochenbeginn legte das Oberste Wahlgericht seinen 750 Seiten starken Abschlussbericht zur Volksbefragung im Indigenen Territorium und Nationalpark Isiboro Sécure (TIPNIS) vor. Demzufolge stimmte die große Mehrheit der befragten Indigenen-Gemeinden für die erste Asphalt-Verbindung zwischen Cochabamba an den Ausläufern des Andengebirges und Beni im Amazonas-Tiefland.

»Von insgesamt 69 Gemeinden wurde die Konsultation in 58 Gemeinden durchgeführt«, so Juan Carlos Pinto, Direktor des Interkulturellen Dienstes zur Stärkung der Demokratie (SIDFE). Gegenüber den staatlichen Befragungsteams, die das schwer zugängliche Amazonas-Gebiet von Mitte bis Ende 2012 per Boot und Flugzeug bereisten, hätten alle 58 erreichten Gemeinden ihre Zustimmung für Infrastrukturprojekte gegeben. In dem kaum besiedelten Gebiet von der Größe Jamaikas leben knapp 5500 Indigene. Elf Gemeinden nahmen aus Protest nicht teil.

Gegner des Straßenbaus hatten La Paz nach einem Fußmarsch in die Hauptstadt Gesetz Nr.180 abgerungen. Dieses schreibt die »Unberührbarkeit« des Parks vor. Das mit brasilianischem Kredit finanzierte Straßenbau-Vorhaben liegt seitdem auf Eis. Der Baufirma aus Brasilien wurde gekündigt. Den Stein wieder ins Rollen brachten Koka-Bauern im und um das Naturreservat. Auch im achten Regierungsjahr ist Präsident Evo Morales Chef der schlagkräftigen Gewerkschaft der Koka-Pflanzer. Nachdem die Straßenbefürworter ebenfalls in die Hauptstadt marschierten, saß die regierende »Bewegung zum Sozialismus« (MAS) zwischen den Stühlen. Als Königsweg bot sich die Volksbefragung. Schließlich stimmten 87 Prozent der Parkbewohner gegen Gesetz Nr.180.

Trotz klarer Ergebnisse dieser ersten Konsultation indigener Völker überhaupt in dem Zehn-Millionen- Staat lassen die Straßenbaugegner nicht locker. Fernando Vargas nannte die Ergebnisse des Obersten Wahlgerichts »Fälschungen und Lügen«. Auch die Katholische Kirche und Opposition sprachen der Befragung wegen vermeintlichem Stimmenkauf und Manipulation jede Rechtmäßigkeit ab. 2012 hatte Vargas die Proteste gegen das Vorhaben angeführt und international für großes Aufsehen gesorgt. Nun kündigte der Vorsitzende einer kleinen Parkverwaltungseinheit weiteren Widerstand an. Man werde einen Protestmarsch zum Sitz der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte der Organisation Amerikanischer Staaten nach Washington in Angriff nehmen.

Trotz des TIPNIS-Rummels erfreut sich Präsident Evo Morales weiter hoher Beliebtheit. Darum versucht die Opposition, den ersten Indígena im Präsidentenpalast als »Verräter der Indigenen« zu brandmarken. Ungebrochene Aufmerksamkeit erntet deshalb Rafael Quispe. Zwar wurde der Aymara wegen seiner Unterstützung für den Anti-Straßenprotest bereits Ende 2011 vom Dachverband der Hochland-Indigenen CONAMAQ ausgeschlossen. Doch geistert der »Indigenen-Vertreter« in Poncho und mit Lama-Mütze weiter als Gewährsmann aller Indigenen durch die Presse. Wie der wegen seinem Pakt mit der rechten Tiefland-Elite ebenfalls von der Basis geschasste TIPNIS-Verteidiger Rodolfo Chávez vom an der Straßenbaufrage zerbrochenen Tiefland-Indigenenverband CIDOB. Heute jetten beide im Auftrag der Koordinierungsstelle Indigener Organisationen im Amazonasbecken (COICA) zu Klimagipfeln. Ohne Rückhalt in der Bevölkerung werben sie für den Handel mit CO2-Zertifikaten, der in Bolivien längst verboten ist.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 10. Januar 2013


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