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Für gerechte Strompreise in Bolivien: Morales verstaatlicht Energieversorger

Dekret betrifft vier Unternehmen der spanischen Iberdrola / Angemessene Entschädigung zugesagt *

Bolivien hat vier Unternehmen des spanischen Energiekonzerns Iberdrola verstaatlicht. Präsident Evo Morales unterzeichnete am Samstag ein entsprechendes Dekret für die Stromversorger Electropaz, Elfeo und Eldeser sowie den Verwaltungskonzern Cadeb, wie die lokale Nachrichtenagentur ABI berichtete. Vor den Firmenstandorten bezogen Soldaten Stellung und hängten Schilder mit der Aufschrift „Verstaatlicht" auf.

„Wir betrachten diesen Schritt als notwendig, um gerechte Energietarife zu garantieren", wird Präsident Morales zitiert. Die Verstaatlichung sei außerdem unabwendbar geworden, um eine gleichwertige Versorgungsqualität in Stadt und Land zu sichern. Vizepräsident Álvaro García Linera erklärte, Iberdrola werde eine angemessene Entschädigung bekommen. Die Aktien der Tochtergesellschaften Iberdrolas sollen von dem staatlichen Unternehmen Empresa Nacional de Electricidad (Ende) übernommen werden. Electropaz, das größte der verstaatlichten Unternehmen, versorgt 470000 Kunden in La Paz mit Strom.

Iberdrola ist seit den späten 1990er Jahren in Bolivien aktiv. Ein Sprecher des Unternehmens wollte sich zunächst nicht zu der Verstaatlichung äußern. Auch die spanische Regierung gab keine Stellungnahme ab. Die bolivianische Regierung hatte im Mai den größten Stromanbieter des Andenlandes, Transportadora de Electricidad, verstaatlicht, dessen Aktien sich zu fast 100 Prozent im Besitz des spanischen Energiekonzerns Red Eléctrica de España (REE) befanden.

* Aus: neues deutschland, Montag, 31. Dezember 2012


Morales brüskiert Madrid

Bolivien verstaatlicht vier Töchter des spanischen Energieriesens Iberdrola

Von Martin Ling **


Der einstigen Kolonialmacht Spanien weht in Südamerika ein rauher Wind entgegen. Nach der Enteignung des Erdölkonzerns Repsol in Argentinien trifft es dieses Mal den Energiekonzern Iberdrola in Bolivien: Verstaatlichung gegen eine noch offene Entschädigung.

Drei Pfeiler hat Boliviens Präsident Evo Morales bei seinem Amtsantritt 2006 zur Neugründung Boliviens benannt: eine Landreform, eine neue Verfassung und die Verstaatlichung zentraler Wirtschaftssektoren. Eine begrenzte Landreform sowie eine neue Verfassung wurden längst verabschiedet und auch bei der Verstaatlichung von wirtschaftlichen Kernsektoren macht Morales Zug um Zug: Am Wochenende hat die bolivianische Regierung erneut Töchterunternehmen eines spanischen Stromkonzerns verstaatlicht und sich damit den Ärger der Regierung in Madrid zugezogen. Betroffen seien vier Tochterunternehmen des spanischen Energiekonzerns Iberdrola, hieß es am Samstag in einem Dekret des Präsidenten Evo Morales. Die Unternehmen hätten in ländlichen Gegenden höhere Strompreise verlangt als in Städten. Außerdem hätten die vier Iberdrola-Töchter insgesamt auf dem Land schlechteren Service geboten, erklärte Morales. Polizisten und Soldaten bahnten sich am Samstag einen Weg ins Hauptquartier von Electropaz in La Paz, einem der betroffenen Unternehmen. Sie wurden demonstrativ angeführt von Vize-Präsident Álavaro García Linera.

Die spanische Regierung bedauerte den Schritt. In einer am späten Samstagabend in Madrid veröffentlichten Mitteilung forderte das Außenministerium eine »gerechte Entschädigung «. Außerdem hieß es, Bolivien müsse für Rechtssicherheit im Lande sorgen. Das sei für »alle ausländischen Investitionen unerlässlich«. Nach spanischen Medienberichten vom Sonntag wird Iberdrola eine finanzielle Entschädigung von rund 75 Millionen Euro verlangen.

Auf eine solche Entschädigung drang auch das spanische Unternehmen in einer kurzen Erklärung, ohne allerdings eine Summe zu nennen. Börsenexperten zufolge liegt der Wert der Iberdrola-Beteiligungen an allen vier betroffenen Unternehmen in Bolivien bei etwa 76 Millionen Euro.

Bereits im Mai hatte die bolivianische Regierung den Stromnetz-Betreiber TDE verstaatlicht, der zwei Drittel des Stromnetzes in Bolivien betreibt. Mutter von TDE war der spanische Energiekonzern REE.

** Aus: neues deutschland, Montag, 31. Dezember 2012


Morales und der starke Staat

Von Martin Ling ***

Die Begründung der bolivianischen Regierung ist überzeugend: Verstaatlichung, um gerechte Strompreise und eine gleichwertige Versorgungsqualität in Stadt und Land zu sichern. Öffentliche Güter wie Wasser, Energie, Bildung oder Gesundheit gehören in die öffentliche Hand - umso mehr, wenn sich zum wiederholten Male herausstellt, dass bei privater Versorgung Teile der Bevölkerung das Nachsehen haben. So logisch es aus privatwirtschaftlicher Sicht ist, auf dem Land bei geringerer Bevölkerungsdichte und größerem Infrastrukturaufwand höhere Strompreise zu veranschlagen, wie es der spanische Konzern Iberdrola gemacht hat, so inakzeptabel ist das bei Gütern des Grundbedarfs wie Energie: Sie dürfen nicht der Profitorientierung unterworfen werden!

Die Verstaatlichung der Energieunternehmen ist ein weiterer Schritt der Morales-Regierung, die Kontrolle über zentrale Bereiche der Wirtschaft zurückzugewinnen und auszubauen. Bei den Rohstoffen ist das seit 2006 so gut gelungen, dass sich die Staatseinnahmen in diesem Sektor dank Neuaushandlung der Konzessionen und Abgabenerhöhungen massiv erhöht haben. Das ermöglichte es, sowohl Haushaltsüberschüsse zu erzielen als auch in eine soziale Umverteilung zu investieren. Von solch einer Konstellation können viele Länder nur träumen. Ein Selbstläufer ist die Verstaatlichung allerdings nicht: Die Wasserversorgung in Cochabamba ist seit dem »Wasserkrieg« 2000 zwar wieder in kommunaler Hand - an der prekären Versorgung hat sich indes nichts geändert.

*** Aus: neues deutschland, Montag, 31. Dezember 2012 (Kommentar)


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