Staatsfeiern noch ohne Verfassung
Bolivien: Evo Morales will demokratische Revolution trotz rechten Widerstands fortsetzen
Von Benjamin Beutler, Cochabamba *
Boliviens Präsident Evo Morales kündigte in einer Rede zum Jahrestag der Gründung der Republik die Fortsetzung der Demokratisierung und des Abbaus sozialer Unterschiede an. Unterdessen wurde das Mandat des Verfassungskonvents verlängert.
Am Montag (6. August) beging Bolivien den 182. Jahrestag des Bestehens der Republik, am Dienstag (7. Aug.) folgte der »Tag der Armee«. Aus diesem Anlass hielt das Militär im östlichen Santa Cruz seine traditionelle Parade ab, bei der erstmals auch etwa 2000 Vertreter indigener und sozialer Organisationen anwesend waren. Schon die Ankündigung dieser »indigen-militärischen Parade« hatte für Spannungen gesorgt, da regierungsfeindliche Organisationen wie das »Bürgerkomitee Pro Santa Cruz« und der oppositionelle Präfekt des Departements, Rubén Costas, die Veranstaltung als unerträgliche Provokation bezeichnet hatten. Von der Präsenz traditioneller Autoritäten der Aymara-Indígenas, der »Roten Ponchos«, gehe eine gewaltsame Bedrohung für die Bevölkerung von Santa Cruz aus, hieß es. Die Befürchtungen bestätigten sich jedoch nicht, Auseinandersetzungen zwischen beiden Lagern blieben aus.
Friedlich ging es auch einen Tag zuvor in der Hauptstadt Sucre zu, wo Präsident Evo Morales zum
Jahrestag die übliche Ansprache hielt. Zu Beginn des Festaktes im Kongress verwies Vizepräsident
Alvaro García Linera von der Regierungspartei Bewegung zum Sozialismus (MAS) auf die
besondere historische Situation, die das Land derzeit durchlebe. Es sei keine Kleinigkeit, was in
Bolivien passiere. Der Beobachter sehe, wie sich ein Staat auf der Grundlage einer kollektiven
Aktion der sozialen Bewegungen forme, was vor 30 oder 40 Jahren noch unvorstellbar gewesen sei.
»Die Welt ist Zeuge, wie in dieser kleinen Nation Themen wie staatliche Entwicklung, Demokratie,
Selbstbestimmung und Integration behandelt werden, und zwar ausgehend von der Bevölkerung,
den einfachen Leuten. Bolivien ist von einer Regierungsform der Parteikoalitionen übergegangen zu
einer Regierungsform der Koalitionen der sozialen Bewegungen«, betonte Linera.
Neben zahlreichen Beispielen für bisher Erreichtes (Verstaatlichung der Rohstoffe und
Dienstleistungen, Agrarreform, Alphabetisierung, Sozialprojekte, Verfassungsprozess) nannte
Staatschef Morales auf der Festveranstaltung noch einmal die vier grundlegenden Punkte des MASProgramms
zur »demokratischen Revolution«: Ein Bolivien der Würde, der Produktion, der
Demokratie und der Selbstbestimmung solle geschaffen werden. Würde könne durch Abschaffung
der Arbeitslosigkeit und der sozialen Unterschiede erreicht werden. Die wenigen einflussreichen
Familien, die noch immer die Wirtschaft des Landes beherrschten, müssten entmachtet werden.
Eine Steigerung der Produktion solle dadurch erzielt werden, dass man nicht lediglich Exporteur von
Rohstoffen bleibe. Morales will die ländlichen Gebiete entwickeln und mit Gas versorgen. Die durch
die Verstaatlichung der fossilen Brennstoffe erzielten Gewinne sollen in größerem Umfang in
Landwirtschaft und Industrie investiert werden. Und für mehr Demokratie sollen neue Mechanismen
der sozialen Teilhabe sorgen, die »mit dem Blut der Völker erkämpft wurden«. Dabei geht es vor
allem um Referenden, zum Beispiel zur Abberufung politischer Amtsträger nach dem Vorbild
Venezuelas. »Dass das Volk entscheidet, davor sollte man keine Angst haben. Die soziale Kontrolle
wird auch in der verfassunggebenden Versammlung diskutiert«, sagte Morales.
Diese Versammlung sollte eigentlich zu den Feierlichkeiten abgeschlossen sein. Der von der rechten
Opposition forcierte Streit um den Abstimmungsmodus im Verfassungskonvent – absolute oder
Zweidrittelmehrheit – hatte die Arbeit monatelang blockiert. Nachdem der Konvent Anfang Juli eine
Mandatsverlängerung bis zum 14. Dezember beschlossen hatte, änderte nun auch der Kongress ein
entsprechendes Gesetz. In einem »historischen Pakt« mit der konservativen Opposition sicherte
sich die MAS die zur Bestätigung der Gesetzesnovelle erforderliche Zweidrittelmehrheit. Dies
bewahrte den Verfassungsprozess vor dem Scheitern, die MAS musste aber auf zahlreiche
Forderungen der Gegenseite eingehen.
Der endgültige Verfassungstext soll durch zwei Referenden bestätigt werden. Eine erste
Volksbefragung entscheidet über umstrittene Artikel, die keine Zweidrittelmehrheit erreichen
konnten. In einem zweiten Referendum wird die so redigierte Endversion zur Abstimmung gebracht.
Erforderlich ist die absolute Mehrheit aller landesweit abgegebenen Stimmen.
*Aus: Neues Deutschland, 9. August 2007
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