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Ausverkaufsstopp

Bolivien sichert durch Verstaatlichung von Bergwerksunternehmen Bodenschätze des Landes

Von Benjamin Beutler *

Boliviens Linksregierung verstaatlicht weiter. In der vergangenen Woche gab Vizepräsident Álvaro García Linera die Nationalisierung des Bergwerksunternehmens Colquiri bekannt, Tochterfirma des Schweizer Konzerns Glencore. »Es ist der Staat, der das wirtschaftliche Rückgrat des Landes kontrollieren muss«, rechtfertigte Linera auf einer Pressekonferenz den Schritt. Die regierende Bewegung zum Sozialismus (MAS) werde nicht alle Bodenschätze verstaatlichen. Selbstbestimmung aber sei nur dann möglich, wenn »das Volk sein Schicksal bestimmt, ohne irgendwelche Bosse oder ausländischen Mächte um Erlaubnis zu fragen«, so der Vize von Präsident Evo Morales weiter. Bereits 2007 habe die MAS-Regierung Colquiri verstaatlichen wollen. Damals habe Unterstützung seitens der Belegschaft gefehlt.

Die Auslieferung aller natürlichen Ressourcen an Private war »katastrophal«, erinnerte der Soziologe an den Ausverkauf öffentlicher Güter in den 1990er Jahren. Zu viel Macht in Politik und Wirtschaft habe sich in nur wenigen Händen konzentriert. Das Modell einer »pluralen Ökonomie« hingegen ist eine Art friedlicher Koexistenz. Neben Staatsfirmen könne jene Privatwirtschaft bestehen, die »zur Entwicklung des Landes beiträgt«, gab Linera Einblicke in die wirtschaftspolitische Strategie der MAS-Administration.

Die Colquiri-Mine im Departamento La Paz, wo Zinn und Zink abgebaut werden, geht in die Hand des staatlichen Bergbaukonzerns COMIBOL über. Binnen 120 Tagen werde über Entschädigungszahlungen für Maschinen und Investitionen beschieden. Daneben wurde zwischen Colquiri-Angestellten – sie hatten eine Verstaatlichung gefordert – und genossenschaftlichen Bergleuten der Region ein Schlichtungsvertrag abgeschlossen. Der Streit um die Ausbeutung von Rohstoffvorkommen hatte in den vergangenen Tagen zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen beiden Konfliktparteien geführt. Die Entsendung von Armee und Polizei verhinderte eine weitere Eskalation, nachdem es auf beiden Seiten mehrere Verletzte zu beklagen gab. Damit sei ein Blutbad wie 2006 verhindert worden, so Beobachter. Kurz nach Antritt der MAS-Regierung waren damals Angestellte und Kooperativisten ebenfalls wegen strittiger Schürfrechte in der Huanuni-Mine im Bergbau-Departamento Oruro mit Dynamit und Schaufeln aufeinander losgegangen. Vier Menschen wurden damals getötet. Dieses Mal habe man »den Konflikt demokratisch über den Weg von Überzeugung und Dialog gelöst«, zeigte sich Linera erleichtert.

Die Enteignung ist auch ein Politikum. Colquiri ist Teil der Firma Sinchi Wayra. Bis Ende 2005 war diese Eigentum von keinem Geringeren als Boliviens Expräsident Gonzalo »Goni« Sánchez de Lozada. Von 1993 bis 1997 regierte der gebürtige Texaner eines der rohstoffreichsten Länder des Kontinents. Getreu des neoliberalen »Washington Consensus« wurden Steuern für Multis gesenkt, Arbeitsrechte beschnitten, Staatseigentum liquidiert.

2003 floh er nach der blutigen Niederschlagung von Protesten durch das Militär noch während seiner zweiten Amtszeit in die USA. Zwei Jahre später verkaufte der heute in seiner Heimat wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit angeklagte Bergbaumillionär die Colquiri-Mine hastig an die Schweizer aus Zug. Zur Verschleierung wurde die Goni-Firma COMSUR in Sinchi Wayra umgenannt.

»Goni«-Personal aber arbeitete weiter für Sinchi Wayra, die Firma sei nur formal auf Glencore übertragen worden, so Spekulationen. Für den Bergbauspezialisten Pedro Mariobo ist klar: »Goni steht hinter den Colquiri-Konflikten«. Nachweislich habe Sinchi Wayra Kooperativisten als »Kanonenfutter« bezahlt.

* Aus: junge Welt, Montag, 25. Juni 2012


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