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Referendum spaltet die Rechte

Bolivien: Evo Morales genehmigt Abstimmung über Amtsenthebung am 10. August

Von Benjamin Beutler, La Paz *

Zum ersten Mal in der Geschichte Boliviens überhaupt hat das bolivianische Volk die Gelegenheit, seine Vertreter nicht nur zu wählen, sondern sie auch ihrer Funktionen zu entheben, wenn sie nichts taugen oder sich nicht in den Dienst des Volkes stellen.« So kommentierte der bolivianische Präsident Evo Morales seine Zustimmung zu dem Gesetz, das der von der Opposition kontrollierte Senat letzte Woche überraschend beschlossen hatte. Als Wahltermin für das Referendum, mit dem der im Dezember 2005 gewählte Staatspräsident, der Vizepräsident sowie die Präfekten der neun Gebietsverwaltungen entweder im Amt bestätigt oder abberufen werden, wurde der 10. August dieses Jahres bestimmt. Das zuständige Oberste Nationale Wahlgericht (CNE) muß nun das Verfahren ausarbeiten.

Es geht um nicht mehr und nicht weniger als die Fortsetzung des Prozesses der demokratisch-kulturellen Revolution der regierenden Bewegung zum Sozialismus (MAS). Die Alternative wäre das von den regierungsfeindlichen Präfekten der Regionen des »Halbmondes« (Santa Cruz, Cochabamba, Tarija, Beni und Pando) verteidigte neoliberale Modell. »Wir schreiben weiterhin Geschichte, indem wir den Bolivianern das Recht geben, über ihre Volksvertreter zu bestimmen. Ich persönlich bin sehr froh, keine Angst vor dem Volk haben zu müssen. Es soll nun die Wahrheit sagen und unser Richter sein«, gab Morales seine Zuversicht kund, im Amt bestätigt zu werden. Laut Umfragen liegt die Zustimmung in der Bevölkerung trotz des gegen ihn geführten Medienkrieges weiter bei über 50 Prozent. Sprächen sich am 10. August mehr als 54 Prozent der Stimmberechtigten gegen ihn aus, so würde er sich wieder dem Koka-Anbau widmen.

Auf der anderen Seite sorgte der bevorstehende Urnengang für nervöse Unruhe. Teile der politischen MAS-Gegnerschaft sehen dem 10. August weniger siegesgewiß entgegen, so daß sich ein handfester Machtkampf innerhalb der Opposition anzubahnen scheint. Die ultrakonservative Rechte der »Halbmond«-Regionen, die im Juli dem Beispiel von Santa Cruz folgen wollen und sich durch unrechtmäßige »Autonomie-Referenden« administrativ vom Zentralstaat abspalten wollen, reagierten auf den bevorstehenden Wahlgang geradezu panisch. Politiker aus Tarija und Cochabamba konnten ihren Schockzustand kaum verbergen und bezeichneten das von der parlamentarisch-zentralstaatlich orientierten Podemos-Partei des Expräsidenten Jorge Quiroga initierte Referendumsgesetz als »überraschend, unabgesprochen und willkürlich«. Podemos habe »Verrat« begangen, man wolle die Macht der regionalen Opposition schwächen.

Cochabambas oppositioneller Präfekt Manfred Reyes, der sich wie die meisten seiner Amtskollegen starkem Widerstand ausgesetzt sieht und daher eine Abwahl fürchtet, wirft Quiroga nun vor, in die Hände der MAS-Regierung gespielt zu haben. Und tatsächlich scheint es so, als habe das »Autonomie-Referendum« vom 4. Mai Vertreter traditioneller Parteien wie Podemos angesichts des steigenden Einflusses politischer Newcomer wie des Präfekten von Santa Cruz, Rubén Costas und des Vorsitzenden des »Bürgerkomitees Pro Santa Cruz«, Branko Marinkovich, aufschrecken lassen. Es ist durchaus denkbar, daß einige regierungsfeindliche Präfekten das Amtsenthebungsverfahren nicht überstehen, so daß es in diesen Gebietsverwaltungen zu bedeutenden Machtverschiebungen kommen könnte.

* Aus: junge Welt, 14. Mai 2008


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