Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Angst vorm Volk

Boliviens Opposition fürchtet Ergebnis eines Referendums über Amtsenthebung des Präsidenten

Von Benjamin Beutler *

Einen Monat vor einem landesweiten Referendum befindet sich die rechte Opposition in Bolivien im Alarmzustand. Am 10. August wird in einer landesweiten Volksabstimmung über den Verbleib der höchsten Repräsentanten des Landes in ihren Ämtern entschieden werden. Präsident Evo Morales, sein Stellvertreter Álvaro García Linera sowie sämtliche neun Präfekten – mit Ausnahme der im Juni gewählten Präfektin Sabina Cuellar der Region Chuqiusaca – werden in ihren Positionen bestätigt oder verlieren mit sofortiger Wirkung ihr Mandat.

Ihre Wahlniederlage vor Augen ergreift die Rechte derzeit hektisch Maßnahmen, um die Volksbefragung zu verhindern und Zeit zu gewinnen. Am Donnerstag beschloß der von der Oppositionspartei Podemos kontrollierte Senat, eine der beiden Parlamentskammern Boliviens, eine Änderung des Abstimmungsreglements. Nicht mehr die bei den Präsidentschafts- und Präfektenwahlen 2005 erzielten Resultate sollen als Meßlatte für die Abwahl eines Amtsträgers dienen. Bislang würde Präsident Morales erst bei 54 Prozent Ablehnung, einige der oppositionellen Präfekten schon bei 38 Prozent ihre Posten verlieren. Nun sollen einheitlich 50 Prozent Nein-Stimmen für eine Abwahl genügen.

Morales lehnte die Ratifizierung postwendend ab und bezeichnete die Podemos-Variante als »juristische Modifikation, die nur dazu dient, das Referendum zu bremsen«. Der Fraktionschef der regierenden Bewegung zum Sozialismus (MAS), Juan Quintana, beklagte die »Unverantwortlichkeit, mit der die Podemos-Senatoren das Referendum behandeln«.

Die Podemos-Fraktion hatte am 12. Mai einen über fünf Monate zurückliegenden, von der MAS in den Kongreß eingebrachten Antrag über die Abhaltung dieses in der bolivianischen Geschichte einmaligen Plebiszits angenommen. Pikantes Detail: Der Entschluß dazu soll laut eigenen Aussagen auf der Geburtstagsparty des Expräsidenten und Parteichefs Jorge »Tuto« Quiroga und ohne parteiinterne Absprache gefaßt worden sein. Das undemokratische Vorgehen wird in der öffentlichen Debatte als Indiz für den Zerfall der Opposition gewertet.

Auch bei anderen MAS-Gegnern führt der Volksentscheid zu Irritationen. Erst nach langer Debatte hatten am Mittwoch die vier im »Nationalen Demokratischen Rat« (CONALDE) vereinten regierungsfeindlichen Präfekten der Departements Santa Cruz, Beni, Pando und Tarija dem Wahlgang zugestimmt – auch wenn ihr Votum gar nicht ausschlaggebend ist. Einzig der Präfekt des zentralbolivianischen Cochabamba bleibt bei seiner starren Ablehnung, obwohl er vor Monaten eine Unterschriftenaktion für ein Amtsenthebungsreferendum initiiert hatte. Offenbar fürchtet der Exmilitär den Ausgang der Wahl.

Derweil blasen die kontrollierten Massenmedien zur üblichen Hexenjagd gegen Morales und sein Kabinett. Der Soziologe Eduardo Paz bezeichnet die »Delegitimierung als Teil der Kampagne« gegen den ersten indigenen Staatschef des südamerikanischen Landes. CONALDE hatte eine Klage gegen Morales wegen »wirtschaftlicher Schädigung des Landes« angekündigt. Die MAS verweist indes auf ihre Erfolge: Die Einnahmen aus dem Gasgeschäft haben sich versiebenfacht, und zahlreiche Sozialleistungen wurden etabliert. Maximilio Flores von der Bauerngewerkschaft Tupac Katari sieht dem 10. August jedenfalls mit Freude entgegen. Man werde das Land »von den ewigen Dieben befreien«.

* Aus: junge Welt, 12. Juli 2008


Zurück zur Bolivien-Seite

Zurück zur Homepage