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Rückschlag für Evo Morales

Bolivien: Die Rechte gewinnt Wahl in der Region Chuquisaca

Von Ben Beutler *

Boliviens Präsident Evo Morales hat am Wochenende ein weiteres Departamento an die konservative Opposition verloren.

In Chuquisaca, einer der ärmsten Regionen des Landes, wurde am Sonntag ein neuer Präfekt gewählt. Dabei konnte die Kandidatin des rechtsgerichteten Komitees der interinstitutionellen Allianz (ACI), Sabina Cuellar, 55,5 Prozent der abgegebenen 210 007 Stimmen auf sich vereinen. Die 45-Jährige wird als erste Quechua-Indígena eine Präfektur leiten. Der Kandidat der auf nationaler Ebene regierenden Bewegung zum Sozialismus (MAS), Walter Valda, erreichte nur 40,5 Prozent. Der Präsident des Obersten Nationalen Wahlgerichtes (CNE), José Luis Exeni, gratulierte der Bevölkerung zur Wahl, bei der sie »ihre demokratische Grundhaltung bestätigt« habe.

Im Gegensatz zu den vom Wahlgericht nicht genehmigten und von der MAS als »illegal und sezessionistisch« bewerteten Autonomiereferenden der vergangenen Monate war diese Wahl rechtmäßig. Darum hatte die MAS auch nicht zum Wahlboykott aufgerufen, so dass die Beteiligung bei 77 Prozent lag. MAS-Regierungschef Juan Ramón Quintana erkannte unbeeindruckt den Sieg Cuellars an und sprach von einem »Vorspiel« für das am 10. August stattfindende landesweite Referendum über den Amtsverbleib des Präsidenten, des Vizepräsidenten und aller neun Präfekten Boliviens.

Sabina Cuellar blickte in ihrer Siegesrede, die sie teilweise auf Quechua hielt, in ihre politische Zukunft: »Chuquisaca will für Sucre den vollen Hauptstadt-Status, und darüber soll ein Referendum entscheiden.« Das ACI, ein Zusammenschluss aller konservativen Parteien und der durch die Rechte kontrollierten Institutionen Sucres (Universität, »Bürgerkomitee«, Rathaus) ist ein erklärter Gegner der MAS-Regierung und ihres Vorhabens, Bolivien durch eine neue Verfassung »neu zu gründen«. Sucre war Tagungsort der Verfassunggebenden Versammlung, die im Dezember 2007 bei selbst gewählter Abwesenheit der Opposition einen Verfassungsentwurf verabschiedet hatte.

Mit der »Hauptstadt-Frage« haben die Morales-Gegner die Verfassungsversammlung in Sucre immer wieder gestört. Dabei kam es auch zu rassistischen Verfolgungen indigener Abgeordneter der MAS, die direkt vom ACI ausgingen. Aufgrund dieses gewalttätigen Drucks trat der 2005 gewählte MAS-Präfekt David Sánchez zurück und verließ im Dezember 2007 als politischer Flüchtling Bolivien in Richtung Peru, nachdem ACI-Anhänger seine Familie bedroht und sein Haus angezündet hatten. Den Sieg Cuellars bedauert er: »2005 entschieden sich die Menschen für mich, ich wollte nicht mehr nur Machtpolitik betreiben. Heute ist die Bevölkerung einen Schritt rückwärts gegangen -- nicht zuletzt unter dem starken Einfluss einiger Institutionen und Medien.«

Wie schon oft in der Geschichte hat das von Bolivianern europäischer Abstammung dominierte ACI mit Cuellar die Karte des »nützlichen Indios« ausgespielt. Die Öffentlichkeit soll so vom offenen Rassismus der Oberschicht abgelenkt werden. Am Vorabend der Wahl wurde ein Fernsehmast von Unbekannten sendeunfähig gemacht, um die Ausstrahlung eines Dokumentarfilms zu verhindern. Darin wird die Erniedrigung Dutzender indigener Bauern gezeigt, die am 24. Mai vor ACI-Anhängern halb nackt und mit Alkohol übergossen über den zentralen Platz von Sucre kriechen mussten. Es ist schwer zu verstehen, dass die ehemalige indigene Bäuerin Cuellar, die zuvor MAS-Abgeordnete des Verfassungskonvents war, zum ACI übergelaufen ist. Beobachter vermuten Bestechung oder Druck auf ihre Familie.

Auffällig am Wahlergebnis ist die territoriale Kluft im Abstimmungsverhalten. Der MAS-Kandidat holte auf dem Land 68 Prozent der Stimmen, die Siegerin 27 Prozent. Die Kandidatin der Oberschicht liegt dagegen dank Medienhoheit und eines erheblichen wirtschaftlichen Drucks auf die abhängige Bevölkerung in den Städten vorn. Beim Referendum zur Amtsenthebung am 10. August muss die MAS hoffen, dass sie zumindest ihre Basis auf dem Land mobilisieren kann, immerhin ein Drittel der neun Millionen Bolivianer. Eines zeigt das Ergebnis deutlich: Nach dem MAS-Wahltriumph 2005 konnte sich die Rechte regional neu organisieren, um die »demokratisch-kulturelle Revolution« entscheidend zu bremsen.

* Aus: Neues Deutschland, 1. Juli 2008


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