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Von Reichen für Reiche

Opposition Boliviens organisiert weitere illegale Autonomie-Referenden. Außenminister klagt vor UNO rassistische Exzesse von Regierungsgegnern in Sucre an

Von Benjamin Beutler *

Anfang Mai erst hatte die regierungsfeindliche Verwaltung des Departements Santa Cruz im Osten Boliviens eine Volksabstimmung über ein sogenanntes Autonomie-Statut organisiert. An diesem Wochenende nun wollen die Lokalregierungen zwei weiterer Regionen diesem Beispiel folgen. Alle drei Abstimmungen waren vom Obersten Wahlgericht für illegal erklärt worden.

Die im Amazonasgebiet gelegenen Departements Pando und Beni machen zusammen mit den ressourcenreichen Regionen Tarija und Santa Cruz über 70 Prozent des bolivianischen Territoriums aus. Die oppositionellen Verwaltungen der vier Regionen setzen offen auf eine Loslösung von der Zentralregierung. Am Dienstag erst warnte Boliviens Präsident Evo Morales vor der Bildung neuer »Mini-Republiken« innerhalb des Staates. »Wir müssen die Einheit des Landes verteidigen«, betonte er in Cochabamba.

Wie schon in Santa Cruz zu Beginn dieses Monats rechnet die regierende MAS auch bei den bevorstehenden Abstimmungen mit »Wahlbetrug und großer Enthaltung«. Ihr nahestehende soziale Bewegungen wie der »Zentrale Rat der ethnischen Mojeños Beni« (CPEMB) rufen indes auch in Pando und Beni zu einem Wahlboykott auf. Die »Autonomie-Statute« der Rechten, die eine demokratische Dezentralisierung Boliviens suggerieren, seien »von und für Großgrundbesitzer« gemacht. Alleiniges Ziel sei es, indigene Selbstverwaltungen und die Begrenzung von Landbesitz im Rahmen der im Dezember von der Regierung ausgearbeiteten Verfassungsnovelle zu verhindern. Eine Handvoll Familien in Beni und Pando besitzt riesige Flächen, die vor allem als Weideland für das einträgliche Vieh- und Fleischgeschäft genutzt werden. Die lokalen Bauernverbände kämpfen seit langem für eine gerechtere Aufteilung des Landes. Für das Wochenende haben sie auch deswegen Straßenblockaden angekündigt.

Wenige Tage vor den illegalen Abstimmungen heizt sich die Spannung in Beni und Pando unaufhaltsam an. Befürworter der Referenden sammeln Geld für die rechtsradikale »Jugendunion Santa Cruz« (UJC), die schon am 4. Mai Anhänger der Regierung bedroht hat. UJC-Chef David Sejas sagte dem TV-Sender ATB: »Einzelne Personen, Geschäftsmänner und Angestellte bezahlen uns die Anreise und Unterkunft. Wir rechnen mit der Anwesenheit von tausend Mitgliedern«.

Daß den rechten Oppositionsparteien in Bolivien jedes Mittel recht ist, um den »Indio« Morales aus dem Amt zu vertreiben, zeigten die beschämenden Ereignisse am vergangenen Samstag in Sucre. Regierungsgegner hatten indigene MAS-Anhänger in den Straßen der Hauptstadt öffentlich gedemütigt. Unter Androhung von Gewalt wurden die Nachkommen der Ureinwohner gezwungen, sich zu entblößen und auf Knien über den zentralen Platz der Stadt zu kriechen. Außenminister Choquehuanca wandte sich daraufhin an die UNO, damit die internationale Organisation eine unabhängige Untersuchung der Vorkommnisse einleitet. »All diese Gewalt geht von Gruppen aus«, sagte Präsident Morales, »die gegen die Gleichheit aller Bolivianer sind«.

* Aus: junge Welt, 29. Mai 2008


»Soziale Bewegungen beeinflussen unsere Politik«

Ein eigenes Ministerium koordiniert in Bolivien die Zusammenarbeit der Regierung mit gesellschaftlichen Gruppen. Ein Gespräch mit Sacha Llorenti **

Ihr Ministerium hat seinen Sitz im Palast des Präsidenten. Ist das lediglich ein Symbol?

Keinesfalls. Zum ersten Mal in der Geschichte Boliviens gibt es ein solches Ministerium. An keinem Ort der Welt wird man eine derartige Institution finden können. Wir sind im Präsidentenpalast untergebracht, weil die Regierung der »Bewegung zum Sozialismus« (MAS) eine Institution der sozialen Bewegungen ist. Das Kabinett von Präsident Evo Morales kann nicht verstanden werden ohne deren vielfältige Beteiligung: Gewerkschaften, indigene Völker, Bauern, Arbeiter, Bergleute, Frauen. Sie sind Teil des politischen Prozesses, durch sie konstitutiert sich die öffentliche Politik, im Großen wie im Kleinen. Der Präsident arbeitet ständig mit den sozialen Bewegungen zusammen, fast täglich finden Treffen statt. Was wir hier sehen, ist eine Wende, eine andere Art der Ausübung von Macht.

Ist das so komplett neu für Bolivien?

Ja. Früher war den sozialen Bewegungen der Zutritt zum Präsidentenpalast verboten. Wir nannten ihn den »Palast der Geschäftemacherei«, in dem Politik gemacht wurde, um sich persönlich zu bereichern oder um kleine Gruppen und partikulare Interessen zu bevorzugen. Heute aber betreten täglich Vertreter sozialer Bewegungen den Palast, um gemeinsam am Prozeß der strukturellen Änderungen im Lande zu arbeiten. Die MAS hat die Führer der sozialen Bewegungen in Positionen gebracht, in denen sie Entscheidungsbefugnisse haben: in die Regierung, den Kongreß, die Verfassunggebende Versammlung und in das Parlament.

Die sozialen Bewegungen beeinflussen also direkt die Politik des Landes?

Stimmt genau. Als Beispiel will ich die jüngst eingeführte »Rente der Würde« nennen, die alten Menschen über 60 eine monatliche Pension von 25 US-Dollar sichert. Der Vorschlag des Staates dafür wurde unmittelbar mit den sozialen Bewegungen abgestimmt, um zu sehen, ob die Maßnahme vorhandene Bedürfnisse befriedigt. Das selbe geschah - in enger Absprache und durch Konsultationen - vor der Verabschiedung des neuen Arbeitsrechts.

Die Opposition ist dagegen, daß soziale Bewegungen politisch eigenständig auftreten.

Die konservativen Gruppen wollen keine gesellschaftlichen Veränderungen, sie versuchen, die sozialen Bewegungen zu delegitimieren - egal wie. Diese Geisteshaltung ist Ausdruck der alten Art und Weise, Politik zu machen. Hier sind kleine Gruppen, Familien mit bestimmten Namen, bestimmter Hautfarbe, bestimmter wirtschaftlicher Macht davon überzeugt, daß nur sie das Land lenken dürfen. Doch das ist vorbei. Durch unsere Revolution verändern wir heute das Volk, die Arbeiter und Bauern, unsere Heimat. Seit Jahrzehnten mobilisieren die sozialen Bewegungen, um die Rechte der Mehrheit zu verteidigen. Sie haben die Demokratie erobert. Dank dieser wirklich demokratischen Volksbewegung gibt es in Bolivien keine Guerillas wie etwa »Der leuchtende Pfad« in Peru, keinen Krieg wie in Kolumbien.

Liegt in der Vielfalt der sozialen Bewegungen nicht vielleicht auch der Keim des Scheiterns?

Natürlich gibt es innerhalb des riesigen Spektrums Organisationen, die lediglich die Interessen ihrer Mitglieder vertreten. Das führt dann unweigerlich zu Spannungen mit der MAS-Regierung. Das sind aber Randerscheinungen. Der Großteil kämpft für eine über Einzelinteressen hinausreichende Vision: Für La Patria -- unser Vaterland. Das sind für uns die Bodenschätze, die Natur, die Umverteilung der Reichtümer, das Zuhause aller Bolivianer. Das Vaterland ist wie eine große Familie. Und das hat die Mehrheit der sozialen Bewegungen verstanden, das vereint uns trotz der großen Vielfalt.

** Sacha Llorenti ist in der Bolivianischen Regierung Minister »für die Beziehungen der sozialen Bewegungen mit der ­Zivilgesellschaft«

Interview: Benjamin Beutler (La Paz)

Aus: junge Welt, 29. Mai 2008


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