Bolivien: Die Auseinandersetzungen werden härter
Opposition gegen Morales will Sezession der autonomen Regionen. Zwei Artikel
"Wiederauferstehung der Rechten"
Bolivianische Opposition macht mobil
Von Gerhard Dilger, Porto Alegre *
Bei Auseinandersetzungen zwischen Anhängern und Gegnern des bolivianischen Präsidenten Evo
Morales sind nach Medienberichten mindestens 68 Menschen verletzt worden. Streitpunkt ist die
Ausarbeitung der neuen Verfassung.
In den vier ostbolivianischen Provinzen Santa Cruz, Pando, Beni und Tarija haben die politischen
Gegner von Präsident Evo Morales die bislang größten Kundgebungen für regionale Autonomie
organisiert.
Sie forderten erneut, die neue Verfassung müsse Artikel für Artikel mit Zweidrittelmehrheiten
ausgearbeitet werden – die Regierungspartei »Bewegung zum Sozialismus« (MAS) lehnt dies
bislang ab. Sollte die Regierung nicht einlenken, kündigten die Demonstranten per Akklamation an,
würden sie die Verfassung nicht anerkennen.
An mehreren Orten entlud sich die Spannung zwischen den verfeindeten Lagern in Gewalt: In der
Kleinstadt San Julián wollten MAS-Getreue in der Kleinstadt San Julián mit Straßensperren einen
Demonstrationszug aufhalten. Bei stundenlangen Straßenkämpfen wurden anschließend über 60
Menschen verletzt.
Im Gegenzug verwüsteten Anhänger der Opposition Büros der MAS und indigener Organisationen,
am Wochenende wurden Polizisten und Militärs in die Region abkommandiert.
Auf der Kundgebung in Santa Cruz warf Gouverneur Rubén Costas Präsident Evo Morales eine
»Desinformationskampagne« vor. »Wir wollen das Land nicht spalten, wir wollen uns nicht vom
Vaterland trennen oder die natürlichen Reichtümer an uns reißen«, rief der Oppositionspolitiker, die
Volkskundgebungen seien »der größte Beweis der Einheit, der Integration und der Brüderlichkeit in
der Geschichte Boliviens.«
Die Reden zugunsten der Einheit des Landes hätten ihn angenehm überrascht, gab Morales zurück.
Die Frage der Abstimmungsmodalitäten müsse allerdings von der Verfassunggebenden
Versammlung selbst und nicht von der Regierung entschieden werden.
Raúl Prada, der für die MAS in der Verfassunggebenden Versammlung in Sucre sitzt, bezeichnete
die Kundgebungen als »Wendepunkt«: »Es wird sehr schwer sein, dass bei einem Akteur mit einer
so großen Massenpräsenz der Prozess der gleiche bleibt. Ich glaube, die Volkskundgebung in Santa
Cruz ist ein Sieg der Opposition und eine Niederlage für uns.« Das linke Radionetzwerk »Erbol« sah
ein Jahr nach dem historischen Wahlsieg von Evo Morales eine »Wiederauferstehung der Rechten«.
Der »Sieg« der Konservativen hätte verhindert werden können, wenn die MAS eine Woche zuvor
einen Kompromissvorschlag in Sucre angenommen hätte, meinte Prada. Die Opposition profitiere
von den Fehlern der MAS, übte der Parteilinke Selbstkritik und zog Zwischenbilanz: »Auf
wirtschaftlichem Gebiet hat die Regierung gut agiert und damit erreicht, dass sich die Einkünfte des
Landes vervierfachten. Bei der politischen und sozialen Führung ist ihr das nicht gelungen«.
* Aus: Neues Deutschland, 18. Dezember 2006
Morales kontra Sezessionisten
Zusammenstöße zwischen Regierungs- und Oppositionsanhängern im Osten Boliviens
Von Timo Berger **
Der erste indigene Präsident Boliviens, Evo Morales, hat ein Jahr nach seinem Wahlsieg schwer mit dem sich verschärfenden Widerstand eines Oppositionsbündnisses aus rechten Parteien, Bürgerkomitees, Großgrundbesitzern und den Präfekten der Departments im Ostteil des Landes zu kämpfen. Am Wochenende kam es dort zu schweren Zusammenstößen zwischen Oppositions- und Regierungsanhängern. Mehr als vierzig Menschen wurden verletzt, zwei von ihnen schwer. In San Miguel de Velasco, einer Stadt 200 Kilometer südlich von Santa Cruz, brannten rechte Gruppierungen am Sonntag Häuser und Märkte von Indigenen nieder. Die Regierung sandte daraufhin Polizei- und Militärtruppen aus, um die Plünderungen zu stoppen und die öffentliche Sicherheit wiederherzustellen.
Der Streit zwischen der Regierungspartei MAS (»Bewegung zum Sozialismus«) und Opposition entzündete sich zuletzt an den Abstimmungsmodalitäten im Nationalkonvent. Die im August von der Bevölkerung gewählte Versammlung mit 255 Mitgliedern soll eine neue Verfassung für Bolivien ausarbeiten. Doch bislang blockierten die Oppositionsvertreter die ordentlichen Sitzungen. Sie fordern, daß die einzelnen Artikel der neuen Carta Magna mit Zweidrittelmehrheit beschlossen werden, weil sie befürchten, daß die MAS sonst die Verfassung allein nach ihren Vorstellungen reformieren wird. Die Regierung wollte ursprünglich nur den Gesamtentwurf und besonders strittige Artikel mit Zweidrittelmehrheit beschließen lassen, den Rest mit absoluter Mehrheit. Doch mittlerweile hat die MAS Gesprächsbereitschaft signalisiert. Eine am Montag eingesetzte Kommission soll einen Kompromißvorschlag ausarbeiten. Während der indigene Flügel der MAS weiterhin einen radikalen Kurs verteidigt, setzen vor allem die weißen Intellektuellen in der MAS auf eine Annäherung an die Opposition.
Auch die ist gespalten. Während rechte Kräfte in den Bürgerkomitees unverhohlen mit der Abtrennung der reichen und wirtschaftsstarken Departements Santa Cruz, Beni, Pando und Tarija, dem sogenannten Halbmond, drohen, betonten die vier Präfekten der Departements nach einem Treffen am Wochenende in Tarija gegenüber der bolivianischen Presse, sie wollten die Einheit des Landes bewahren. Allerdings planen sie ein Autonomiestatut, um den Landesteilen mehr Unabhängigkeit von der Zentralregierung zu verschaffen. Um ihre Forderungen nach mehr Autonomie zu unterstreichen, hatten die Bürgerkomitees zuvor zu einer öffentlichen Versammlung in Santa Cruz aufgerufen. Nach Medienberichten folgte eine Million Menschen der Einladung. Indigene und Campesinos errichteten südlich von Santa Cruz vierundzwanzigstündige Straßenblockaden, um die Zusammenkunft zu verhindern. Als offensichtliche Vergeltungsmaßnahme wurden Indigene und MAS-Mitglieder in San Ramón, San Javier, San Ignacio de Velasco, Asunción de Guarayos, Concepción und San Miguel de Velasco von rechten Schlägertrupps bedroht und verfolgt.
Am Montag war die Ruhe im Land weitgehend wieder hergestellt. Doch es wird befürchtet, daß die rechten Gruppierungen, die teilweise bewaffnet sind, nach Abzug des Militärs ihre Jagd auf MAS-Anhänger fortsetzen und Bürgermeisterämter, die die Regierungspartei innehat, einnehmen könnten. Daß sich am Wochenende ausgerechnet im »Halbmond« der Konflikt gewalttätig entlud, hat mehrere Gründe: Zum einen bestehen auf den Latifundien immer noch feudale Strukturen, die Morales mit einer Landreform aufbrechen will, zum anderen konzentrieren sich dort die unter seiner Regierung wiederverstaatlichten Erdöl- und Erdgaslagerstätten. Die Bevölkerung ist gemischt, aus dem Andenhochland eingewanderte Indigene stoßen dort vielfach auf die rassistische Ablehnung durch die alteingesessenen weißen Eliten.
** Aus: junge Welt, 20. Dezember 2006
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