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Anhaltende Protest in Bolivien

Boliviens Präsident Carlos Mesa hat Ärger mit der Basis und mit französischem Wasser-Multi

Im Folgenden dokumentieren wir zwei Artikel über die zunehmenden sozialen Auseinandersetzungen in Bolivien.


Carlos Mesa auf dem Schleudersitz

Boliviens Präsident hat Ärger mit der Basis und mit französischem Wasser-Multi

Von Gerhard Dilger, Porto Alegre*


Auch das neue Jahr steht in Bolivien ganz im Zeichen von Protestdemonstrationen. Und erneut wird Präsident Carlos Mesa von verschiedenen Seiten unter Druck gesetzt.

Proteste brachten ihn an die Macht, Proteste könnten ihn zu Fall bringen. Schon am Sonntag drohte der bolivianische Präsident Carlos Mesa mit Rücktritt, sollte es zu gewalttätigen Ausschreitungen kommen. Im Amt ist er seit dem Sturz von Gonzalo Sánchez de Lozada im Oktober 2003. Sánchez hatte Proteste gegen Erdgas-Exporte blutig unterdrücken wollen.

Und wieder weiten sich die Demonstrationen aus. Nachbarschaftskomitees von El Alto, Nachbarstadt des Regierungssitzes La Paz, fordern die Nationalisierung des Erdgases und den Rückzug des Wasserkonsortiums Aguas del Illimani, die vom französischen Suez-Konzern kontrolliert wird. Seit Montag sind sämtliche Zufahrtsstraßen El Altos blockiert. Ein Bürgerbündnis der östlichen Provinzhauptstadt Santa Cruz de la Sierra zog Dienstag nach. Auch Gewerkschafter demonstrierten in vier Städten, ihr Dachverband COB fordert Mesas Rücktritt. Indígenas und Kleinbauern aus der Region Cochabamba gaben Mesa fünf Tage, um seine Erdgaspolitik zu ändern, Gewerkschafter der Provinzstadt wollen schon morgen streiken. Derweil brodelt es im Regierungssitz La Paz. Der französische Wasser-Manager Antoine Kuhn erinnerte die Regierung schriftlich in arrogantem Ton an ihre »Verpflichtungen« gegenüber Aguas de Illimani – worauf Außenminister Juan Ignacio Siles eine Entschuldigung verlangte. Der Unternehmerverband CEPB unterstützt hingegen die Franzosen.

Kuhns Brief mag dazu beigetragen haben, dass die Regierung nun über die Auflösung des Vertrags mit der Wasserfirma verhandeln will. Das schrieb Minister Jorge Urquidi jedenfalls an Abel Mamani von den Nachbarschaftskomitees. Allerdings wolle man eine »einvernehmliche« Lösung, um Entschädigungsforderungen zu vermeiden. Mamani indes kündigte an, die Straßenblockaden würden fortsetzen, bis Mesa den sofortigen Abzug des Unternehmens dekretiere.

Aguas del Illimani ist seit der Privatisierung 1997 für die Wasserversorgung in El Alto und La Paz zuständig. Die Alteńos werfen der Firma Versorgungsmängel und eine unverschämte Tarifpolitik vor. Auslöser der landesweiten Proteste war die Ende Dezember verfügte Streichung von Subventionen für Benzin und Diesel. Dadurch stiegen die Brennstoffpreise um 10 beziehungsweise 23,5 Prozent, und auch die Grundnahrungsmittel verteuerten sich mittlerweile deutlich.

Ob der parteilose Mesa, dessen reguläre Amtszeit 2007 ausläuft, bis dahin durchhält, ist offen. Einerseits bastelt er an einer eigenen Parlamentariergruppe, zu denen Abweichler sämtlicher Gruppierungen stoßen wollen, darunter auch Abgeordnete der oppositionellen Bewegung zum Sozialismus (MAS) von Evo Morales. Auch die Bürgermeister von La Paz und El Alto schlugen sich auf die Seite Mesas und forderten, vor der Präsidentenwahl müsse – wie im Oktober 2003 versprochen – eine verfassunggebende Versammlung einberufen werden. Andererseits verliert Mesa an Unterstützern. Evo Morales, der den Präsidenten lange Zeit gestützt hatte, sprach sich jetzt für vorgezogene Präsidentenwahlen aus: Carlos Mesa habe sich zum ersten Feind des bolivianischen Volkes erklärt, sagte Morales. Und der Ökonom Carlos Villegas kritisierte, es reiche nicht aus, punktuell auf Forderungen einzelner Gruppen einzugehen, solange eine Entwicklungsstrategie fehle. Mit diesem Problem steht Mesa in Lateinamerika freilich nicht allein.

* Aus: Neues Deutschland, 13. Januar 2004


Proteste in Bolivien dauern an

Privatisierung von Trinkwasser und Erhöhung der Treibstoffpreise treibt Tausende auf die Straßen

Christian Kliver*


Die sozialen Proteste gegen die Privatisierungpolitik in Bolivien dauern an. Obwohl ein Generalstreik des Gewerkschaftsdachverbandes COB am Montag nur auf mäßige Resonanz stieß, fanden in mehreren Städten Proteste statt. In El Alto nördlich der Hauptstadt La Paz riefen die einflußreichen Nachbarschaftsvereinigungen zum Protest gegen die Privatisierung der Trinkwasserversorgung. Auch in der Stadt Santa Cruz, einige hundert Kilometer östlich von La Paz, wurden Straßenblockaden errichtet. Ein Bündnis aus sozialen Organisationen, Gewerkschaften und Unternehmern mobilisierte dort gegen die geplante Erhöhung der Treibstoffpreise. Nach Plänen der Regierung soll der Preis für Benzin und Diesel um bis zu 23 Prozent angehoben werden. Das Vorhaben wurde mit Auflagen des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank begründet.

Angesichts der andauernden Proteste zeigte sich die Regierung Anfang der Woche zu Verhandlungen bereit. In einem Brief der Regierung Mesa an die Organisatoren der Proteste in El Alto wurde sie am Dienstag eine Kündigung der Verträge zur Wasserprivatisierung in Aussicht gestellt. Der Vorsitzende des Dachverbandes der Nachbarschaftsvereinigungen, Abel Mamani, erklärte die neue Regierungsposition zu einem »Sieg für die Bevölkerung«. El Alto war im Oktober 2003 Ausgangspunkt von Massenprotesten gegen die neoliberale Politik des Expräsidenten Gonzalo Sánchez de Lozada. Während der wochenlangen Proteste wurden rund 60 Demonstranten durch Angehörige von Polizei und Armee ermordet, bevor der Präsident gestürzt werden konnte. Die Organisatoren der derzeitigen Proteste werfen Mesa eine Fortführung Sánchez’ Politik vor. Evo Morales, Vorsitzender der Partei »Bewegung zum Sozialismus«, forderte daher am Dienstag Neuwahlen. Nur so könne die Staatskrise gelöst werden.

* Aus: junge Welt, 13. Januar 2005


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