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Getrennt gegen Morales

Boliviens Opposition kann sich für Präsidentschaftswahlen 2014 auf keinen gemeinsamen Kandidaten einigen

Von Benjamin Beutler *

Die Zeit der Bewegung zum Sozialismus (MAS) sei »vorbei«, polterte Rubén Costas. Mit seiner ausgesprochen gewagten Kampfansage hat sich der weißhaarige Präfekt des Departamentos Santa Cruz zum Präsidentschaftskandidaten der rechten »Elite« im Tiefland Boliviens aufs Schild heben lassen. Sofort nach seiner Ernennung auf dem ersten Parteitag der neu gegründeten »Sozialdemokratischen Bewegung« (MSD) am Sonntag vor einer Woche machte der 58jährige klar, daß er bei den Wahlen im Oktober 2014 große Ambitionen hegt: »Die Demokraten werden dieses Land regieren«, prognostizierte Costas. Woher der Regionalfürst sein Selbstbewußtsein bezieht, steht allerdings in den Sternen.

Namhafte Beobachter sehen für den Vertreter der Unternehmer und Landlords im durch Gas- und Ölwirtschaft, Agrarexporte sowie Bau- und Immobiliensektor boomenden Santa Cruz kaum Erfolgschancen. Dem Zuckerrohrplantagenbesitzer und Nachfahren europäischer Einwanderer fehle es an nationaler Reichweite, konstatierte beispielsweise der ehemalige Übergangspräsident Carlos Mesa. Das Hochland werde Costas nicht erobern können, so der Historiker. Allein im Departamento La Paz lebt ein Drittel der Wählerschaft.

Abseits von der MAS kämpft in Bolivien jeder für sich. Im kalten Hochland schickt deren ehemaliger Koalitionär, die »Bewegung ohne Angst« (MSM), ein sozialdemokratisches Bündnis von Vertretern der lokalen Mittelschicht, Händlern und Handwerkern, mit dem Exmenschenrechtler Juan del Granado ihren Mann ins Rennen. Angesichts der regionalen Zersplitterung brachte sich der rechtsliberale Zement­magnat Samuel Jorge Doria Medina ins Spiel. »Mich besorgt, daß wir zwei Kandidaten haben, einen mit alleiniger Unterstützung in La Paz, einen mit alleiniger Unterstützung in Santa Cruz«, lamentierte der frühere Planungsminister. Der Millionär, der in den 90er Jahren für Privatisierungen und Deregulierung mitverantwortlich war, tritt im dritten Anlauf für die »Nationale Einheit« (UN) an. Der schwergewichtige Sohn eines Schokoladenfabrikanten kassierte regelmäßig Wahlschlappen, aber das bewegte auch ihn nicht dazu, in die zweite Reihe zurückzutreten. Immerhin hatte sich Medina für die Wahl eines Kandidaten stark gemacht. Jetzt aber zeichnet sich ab: Eine geeinte Oppositionsfront nach dem großen Vorbild von Henrique Capriles’ rechtem Bündnis »Mesa de Unidad« (MUD) in Venezuela wird in Bolivien nicht zustande kommen.

Vor der zersplitterten Konkurrenz muß sich die Regierungspartei wenig fürchten. »Mit guten Vorschlägen gewinnt man Wahlen, nicht durch Abschreiben bei der Regierung«, kommentierte Flora Aguilar, MAS-Fraktionschefin im Parlament, das pseudosoziale Programm von Costas’ Retortenpartei. Tief haben sich die Erinnerungen an den Beinahe-Bürgerkrieg eingegraben, den die Autonomiebewegung nach der Wahl des nach wie vor amtierenden Staatspräsidenten Evo Morales Ende 2005 mit ihrer Forderung nach mehr Unabhängigkeit vom Zentralstaat vom Zaun gebrochen hatte. Unvergessen Costas’ Haßtiraden, als er Morales einen »Diktator« und »Affen« schimpfte.

Das Image des Rassisten klebt fest. Allianzen wie mit Pedro Nuni, einem der Indigenen-Führer des viel beachteten Protestmarschs gegen den umstrittenen Straßenbau durch den ­TIPNIS-Nationalpark, provozieren nur Kopfschütteln. Die Verhältnisse heute sind andere, als vor 16 Jahren, als sich der vormalige Diktator Hugo Banzer an der Urne zum Präsidenten wählen ließ. Daran erinnert sogar ein Kommentar auf Costas’ Facebookseite: »Die Zeit der Amnesie ist vorbei, Bolivien vergißt Rassismus, Schläge und Separatismus nicht«.

* Aus: junge Welt, Montag, 23. Dezember 2013


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