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Lockruf des Öls

Bolivien: Naturschützer wollen Förderung im Madidi-Nationalpark verhindern. Verdrängung der Ureinwohner und massenhaftes Artensterben und befürchtet

Von Frank Chavez, IPS *

Umweltorganisationen in Bolivien kämpfen für den Erhalt des Madidi-Nationalparks. Die Regierung will in dem landesweit größten Naturschutzgebiet nach Erdöl bohren, ein Wasserkraftwerk bauen und Siedlungen errichten. Der Nationalpark erstreckt sich über fast 19000 Quadratkilometer in den Provinzen Iturralde und Franz Tamayo im nordwestlichen Departement La Paz. Die landschaftlichen Kontraste in dem Schutzgebiet sind groß. Dort befinden sich rund 5700 Meter hohe Berge, flache Ebenen und tropische Wälder. In 46 Dörfern leben zudem Angehörige von sechs verschiedenen Ethnien.

Die Umweltaktivisten warnen die Regierung davor, auf der Suche nach neuen Einnahmequellen Existenzen und einen immensen Artenreichtum zu zerstören.

Die Klimaschutzexpertin Carmen Capriles erklärte gegenüber IPS, der geplante Bau einer großen Straße, die Erdölförderung und das Wasserkraftwerk seien die größten Gefahren für das Naturschutzgebiet. Auch der Handel mit Wildtieren, die fortschreitende Entwaldung und staatliche Siedlungsprogramme setzten der Region schwer zu.

Capriles befürchtet, daß die Siedlungspläne die indigenen Gemeinden in der Region in Bedrängnis bringen und zu einem Raubbau an natürlichen Ressourcen führen. Mit den Ureinwohnern sei bisher nicht über die Folgen der Projekte gesprochen worden, kritisierte sie. Auf einer Forschungsreise kam die Wissenschaftlerin im vergangenen Jahr bis zu dem Ureinwohnerdorf El Tigre. 80 Prozent der Bewohner litten nach ihren Beobachtungen an der Infektionskrankheit Leishmaniose. Die Dorfbewohner bestätigten Capriles, daß Jäger die Wildtierbestände stark verkleinert hätten.

Die Auswirkungen der staatlichen Megaprojekte wären noch weitaus gravierender, gab Mirna Fernandez von der »Kampagne zur Rettung von Madidi« zu bedenken: »Bis zu 60 Prozent aller Spezies könnten davon betroffen sein.« Der Stausee des Kraftwerks El Bala würde einen Großteil des Nationalparks und das angrenzende Biosphärenreservat Pilón Lajas unter Wasser setzen. Zudem müßten 17 Ureinwohnergemeinden weichen, so Fernandez.

Erste Vorbereitungen für das Ener­gieprojekt hätten schon begonnen, berichtete die Umweltschützerin unter Berufung auf Anwohner. Die Regierung von Präsident Evo Morales, der selbst indigener Herkunft ist, hatte das Entwicklungsvorhaben bereits im Juli 2007 per Dekret zu einer dringlichen nationalen Angelegenheit erklärt. Im selben Jahr hatte die Regierung die Erdölförderung in dem Gebiet »Subandino Norte« gestattet, die auch den Madidi-Nationalpark umfaßt. Laut Fernandez hat das Projekt zur Folge, daß mehrere Straßen angelegt, Bäume gefällt und damit Arten vernichtet wurden. Auch die Verschmutzung der Böden durch Erdöl und die Emission von Treibhausgasen seien ein erhebliches Problem.

Teresa Flores, die Vizepräsidentin der Umweltschutzvereinigung Prodena, hat selbst beobachtet, wie im Madidi-Nationalpark Erdöl aus dem Boden austrat. Dies bedeute allerdings noch nicht, daß das Öl dort in so großen Mengen vorhanden sei, daß sich eine Förderung überhaupt lohne, meinte sie. Der französische Konzern Total und das brasilianische Unternehmen Petrobras hätten nach ersten Untersuchungen Abstand von dem Projekt genommen, so Flores.

Nach Angaben von Ricardo Coello, der für die Naturschutzparkbehörde Sernap arbeitet, wurde bisher erst eine seismische Untersuchung außerhalb des Madidi-Parks durchgeführt. Coello erinnerte daran, daß nach bolivianischem Recht die Förderung von Erdöl erst dann beginnen kann, wenn entsprechende Umweltverträglichkeitsstudien vorliegen. Er weiß zudem offiziell von keinen Plänen, die den Nationalpark betreffen. Gemäß der Verfassung von 2009 sind die Naturschutzgebiete Eigentum der Allgemeinheit.

Die Umweltorganisation Prodena beruft sich bei ihrer Kampagne auf eine Entscheidung der ecuadorianischen Regierung vom vergangenen August, die Erdölreserven in ihrem Yasuni-Nationalpark nicht auszubeuten. Dort lagern immerhin etwa 20 Prozent aller Ölvorkommen des Landes. Die Regierung in Quito will sich für den Verzicht auf die Ausbeutung dieses Ölfeldes von der internationalen Gemeinschaft für die Hälfe der entgangenen Einnahmen entschädigen lassen. Nach Ansicht von Flores sind die beiden Fälle aber nicht vergleichbar, weil bislang völlig unklar ist, wie umfangreich die Ölreserven im Madidi-Park sind. Sie warf Morales ein widersprüchliches politisches Vorgehen vor. Der Präsident habe sich in seinen Reden wiederholt für den Schutz der Natur ausgesprochen, die den indigenen Andenvölkern heilig sei. Mit dem Dekret zur Erdölgewinnung im Nationalpark sei dies nicht vereinbar.

* Aus: junge Welt, 6. Dezember 2010


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