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Geld zum Leben

Umverteilung von oben nach unten in Bolivien: Morales führt Kindergeld für junge Mütter ein

Von Benjamin Beutler *

Erstmals in der Geschichte Boliviens wird jungen Müttern jetzt ein Kindergeld gezahlt. »Diese Zahlung soll ein Anreiz für Mütter sein, damit sie während der Schwangerschaft, für die Geburt sowie innerhalb der ersten zwei Jahre nach der Geburt des Kindes die medizinischen Einrichtungen nutzen«, erläuterte Präsident Evo Morales Ende letzter Woche Sinn und Zweck des jüngst beschlossenen »Mutter-Kind-Bonus«. Die Regierung der »Bewegung zum Sozialismus« (MAS) will mit dieser Maßnahme die hohe Mütter- und Kindersterblichkeit im Lande senken, die höchste in ganz Südamerika. Insgesamt rund 190 Euro sollen Berechtigte dabei über zwei Jahre verteilt erhalten, so Morales. Am Muttertag (27. Mai) werde mit dem Programm begonnen, das jedoch an Bedingungen geknüpft ist. So wird ein Teil der Summe im Rahmen von vier Vorsorgeuntersuchungen im Krankenhaus ausgezahlt, ein Teil unmittelbar nach Geburt des Kindes und der Rest in zwölf Zwei-Monats-Raten bis zum zweiten Geburtstag. »Wir wollen, daß Mutter und Kind gut ernährt und gesund sind«, erklärte Morales, der selbst in ärmsten Verhältnissen aufwuchs und dessen drei Brüder noch vor ihrem ersten Lebensjahr an Unterernährung und Krankheit starben. Rechtliche Grundlage für den »Mutter-Kind-Bonus« sei die im Januar angenommene aktuelle Verfassung zur »Neugründung Boliviens«, so Morales. Diese garantiere allen Bolivianern den Zugang zu Nahrung und Gesundheit.

Bolivien befindet sich längst im Wahlkampf für die im Dezember stattfindenden Präsidentschaftskür. Und so gibt auch das Kindergeld Anlaß zum politischen Schlagabtausch. »Der Staat muß das Leben, die Ernährung, die volle Entwicklung der Kinder garantieren«, erwiderte Boliviens Planungsminister für Entwicklung, Noel Aguirre, ersten Kritikern, die der MAS-Regierung Wahlkampf und falsche Finanzpolitik vorwerfen. »Morales begünstigt Leute, die Geld bekommen, ohne zu arbeiten. Irgendwann wird auch diese Blase platzen«, erklärte Peter Maldonado von der konservativen Partei »Nationale Einheit«. Auch die Podemos-Abgeordnete Claudia Paredes hat Zweifel: »Jede Initiative ist willkommen. Jedoch darf man nicht vergessen, daß die Weltwirtschaftskrise auch Bolivien beeinträchtigen wird«.

Es sei genug Geld für die verarmte Bevölkerung vorhanden, hält Morales entgegen. Das Gesetz konnte auf den Weg gebracht werden, da man »von den Zinsen der Zentralbank profitiert« habe, so der Präsident. Der Chef von Boliviens Zentralbank (BCB), Armando Méndez, sieht das genauso. Im Gegensatz zu den Vorgängerregierungen habe Morales die BCB-Einnahmen nicht ausschließlich zur Sanierung des Staatshaushaltes genutzt, sondern Kapital gebildet. »Diesen Ressourcen hat er jetzt einen festen Verwendungszweck gegeben, in diesem Fall zur Zahlung eines Bonus an schwangere Frauen und ihre Kinder«, so Méndez. Einen weiteren Teil werde man mit Geldern aus der Entwicklungszusammenarbeit finanzieren.

Einnahmen aus der 2006 verstaatlichten Erdöl- und Gasindustrie fließen also weiter direkt in die Armutsbekämpfung des ärmsten Landes Südamerikas. Ein Drittel muß hier von weniger als einem US-Dollar am Tag leben, während fast die Hälfte aller Einkommen an ein Zehntel der Bevölkerung geht. Neben der »Rente der Würde« (20 Euro pro Monat) für Senioren und dem Lerngeld »Juancito Pinto« (20 Euro pro Jahr) für Schüler bis zur achten Klasse soll auch das Mutter-Kind-Geld von den Streitkräften ausgezahlt werden, vor allem in den schwer zugänglichen ländlichen Regionen. Die Politik der Vorgängerregierungen hat die Armut der Landbevölkerung verschärft. Die Mutter- und Kindersterblichkeit ist doppelt so hoch wie im Rest Südamerikas. Laut Vereinten Nationen sterben pro 100000 Geburten 390 Frauen und 5000 Neugeborene.

* Aus: junge Welt, 8. April 2009


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