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"Sie sprechen sogar von Mordanschlägen"

Bolivien kämpft gegen Oligarchie im Innern und US-gesteuerte Putschpläne. Ein Gespräch mit Evo Morales

Evo Morales ist Präsident Boliviens.*



Sie sind nun 21 Monate im Amt. Wie steht es um die Neugründung, die Sie Bolivien versprochen haben?

Sie kommt voran. Allerdings mit Schwächen und mit Oppositionsbewegungen in den konservativen Sektoren, die ihre Privilegien nicht verlieren wollen. Sie können nicht akzeptieren, daß die Nationalisierung der Kohlenwasserstoffe abgesichert und garantiert wird. Sie können nicht damit leben, daß die Macht auf das Volk übergegangen ist und nicht mehr das Vorrecht einiger weniger Familien, das heißt einer Oligarchie, ist. Ich bin mir aber sicher, daß wir die Sache zum Abschluß bringen. Es wird ein harter Kampf werden, aber es wird eine demokratische, friedliche und gerechte Revolution sein.

Die Konflikte nehmen aber teilweise gewaltsamen Charakter an ...

Die extreme Rechte ist tatsächlich nicht bereit, den Indio zu akzeptieren. Er widert sie buchstäblich an. Ich sage das mit sehr viel Verantwortungsbewußtsein. Aber ich verfüge über Informationen, daß die Rechte keine politische Opposition plant. Sie sprechen von Putsch, von einem Militärputsch. Sie sprechen sogar von Mordanschlägen.

Was wissen Sie über paramilitärische Gruppierungen im Land?

Wir besitzen eine Fotografie vom Botschafter der Vereinigten Staaten, auf der er zusammen mit einem kolumbianischen Paramilitär zu sehen ist. Das Bild ist vor kurzem hier in Bolivien aufgenommen worden. Der Paramilitär sitzt inzwischen in Haft. Wenn die Rechte nicht so mobilisieren kann, wie sie das früher getan hat, geht sie zum Extrem über: zu paramilitärischen Aktivitäten. Vor kurzem gab es Anschläge auf ein venezolanisches Konsulat in Bolivien, auf Häuser einiger kubanischer Ärzte und die Besetzung des Flughafens von Santa Cruz.

Es gibt eine interne und eine externe Rechte. Die interne rührt von oligarchischen Gruppen her, und die externe geht von der Botschaft der Vereinigten Staaten aus. Vor seiner Ernennung zum US-Botschafter in Bolivien war Philip Goldberg Chef der US-amerikanischen Mission im Kosovo und davor Richard Hoolbrookes rechte Hand in Bos­nien. Von dort aus wurde dafür gesorgt, daß das ehemalige Jugoslawien implodiert. In Bosnien hat Goldberg Pluspunkte für seine diplomatische Karriere gesammelt. In Bolivien wird ihm das nicht gelingen.

Ist die Kritik berechtigt, daß es zuwenig Investitionen im industriellen Bereich gibt?

Im Augenblick liegt unsere größte Schwäche im menschlichen Bereich. Die Experten, die wir brauchen, muß man erst mal ausbilden. Das wichtigste ist, daß der Staat vor der Nationalisierung weniger als 300 Millionen Dollar für sein Erdgas bekam. In diesem Jahr wird er zwei Mil­liarden einnehmen. 2004 betrugen die Reserven des Landes weniger als zwei Milliarden Dollar. Dieses Jahr werden es fünf Milliarden sein. Das sind Fakten.

Ihre politischen Gegner werfen Ihnen Chavismus vor. Gibt es keine Differenzen zwischen Ihnen und dem Präsidenten Venezuelas?

Wir sind verschieden, aber wir streben beide nach Gleichheit, Gerechtigkeit und Reduzierung der Asymmetrien, die zwischen den Familien und zwischen den Kontinenten bestehen. Unsere große Übereinstimmung ist, daß wir über Befreiungsdemokratien verfügen, die nicht dem Imperium unterworfen sind. Wir sind am Leben und an der Menschlichkeit orientiert. Nicht nur in Lateinamerika, sondern für alle menschlichen Wesen auf dem Planeten. Wir sind jedoch eine indigene Bewegung und suchen die Harmonie mit der Mutter Erde. Sozialismus und Marxismus versuchen nur, das Problem des menschlichen Seins zu lösen und nicht das der Erde. Wir müssen hingegen über die Umwelt sprechen, darüber, wie ein Planet zu retten ist, dem es schlecht geht.

Wie denken Sie über den iranischen Präsidenten Ahmadinedschad, mit dem Sie ein Atomabkommen unterzeichnet haben? Hat er das Recht auf ein Atomprogramm?

Die Abkommen sowie die diplomatischen und Handelsbeziehungen Boliviens werden niemals an einer Politik orientiert sein, die die Vernichtung von Leben zum Ziel hat. Wir sind für eine Kultur des Lebens und werden niemals Programme verfolgen, die diese bedrohen. Einige Länder kritisieren die Atomprogramme. Aber wer kann das tun? Nur diejenigen, die selbst nicht über diese Waffen verfügen. Mit welcher Moral stellen Länder, die über ganze Atomarsenale verfügen, die der anderen in Frage? Alle oder keiner! In den Kriegen verlieren nur die Armen und gewinnen die Reichen. Der Krieg ist nur von Nutzen, weil einige Konzerne weiterhin Kapital akkumulieren.

Interview: Roberto Zanini/il manifesto

Übersetzung: Andreas Schuchardt

* Aus: junge Welt, 9. November 2007


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