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Machtkampf in Bolivien

Regierung Morales verhandelt mit oppositionellen Präfekten

Von Thomas Guthmann, La Paz *

Kolumbiens Zentralregierung unter Präsident Morales bemüht sich, den Streit um die Kompetenzen mit den Provinzen am Verhandlungstisch beizulegen. Ob das klappt, ist unsicher.

Seit dem Amtsantritt von Evo Morales befinden sich in Bolivien Opposition und Regierung in einem permanenten Konflikt. Der bisher letzte Höhepunkt: Die oppositionell regierten Departamentos vom Media Luna (Halbmond) – Santa Cruz, Tarija, Pando und Beni – sowie Cochabamba erklärten sich am 15. Dezember für autonom, nachdem sie die Verabschiedung der neuen Verfassung des Landes nicht verhindern konnten. Inzwischen wird wieder miteinander verhandelt. Am 7. Januar begann in La Paz eine Gesprächsrunde zwischen der Regierung um Morales und den Präfekten der neun Departamentos Boliviens.

Vordergründig geht es um die Frage, welche Kompetenzen die Zentralregierung und welche die Departamentos besitzen. Es geht aber auch um die Verteilung von Haushaltsmitteln der Zentralregierung an die Provinzen und um die Magna Charta, die die verfassunggebende Versammlung des Andenlandes im Dezember verabschiedete und die das Kernstück der Politik des Wandels von Evo Morales darstellt. Mit ihrer einseitigen Autonomieerklärung zogen die Departamentos zunächst den Zorn des Staatschefs auf sich, der seine Basis in Santa Cruz zur Rebellion aufrief. Der Präfekt von Santa Cruz, Rubén Costas, hatte die Führungsrolle in Media Luna übernommen. Dem verbalen Schlagabtausch kurz vor Weihnachten folgte vor Neujahr ein Gesprächsangebot der Regierung, das die Präfekten nach einigem Zögern annahmen. Damit hat Evo Morales wieder die Initiative in dem seit zwei Jahren andauernden institutionellen Kräftemessen übernommen.

Im angestrebten Dialog sollen in dieser Woche fünf Punkte abgehandelt werden. Die oppositionellen Präfekten wollen vor allem den Haushalt für 2008 zurückgenommen wissen, der eine Kürzung der Mittel der Präfekturen um 30 Prozent vorsieht. Die Regierung will aus diesen Mitteln die Renta Dignidad (Rente der Würde) finanzieren. Mit dem Projekt können ab Februar alle Bürger Boliviens über 60 Jahre, die keine andere Altersversorgung haben, eine Rente von 200 Bolivianos (20  Euro) im Monat beantragen. Das Gesetz zur Renta Dignidad sieht eine Finanzierung aus Steuermitteln vor, die aus den Erdgas- und Öleinnahmen finanziert werden. Aus denselben Mitteln werden auch die Haushalte der Präfekturen bestritten.

Neben dem Streit um den Haushalt für dieses Jahr soll es um die neue Verfassung und Autonomieerklärungen der Departamentos des Media Luna gehen. Während die Verfassung nach Ansicht der oppositionellen Präfekten nicht rechtmäßig zustande gekommen ist, sieht La Paz in den Autonomiestatuten den Versuch einer Sezession der reichen Tieflanddepartamentos gegen das arme Hochland.

Hinter dem Streit um das zukünftige Grundgesetz des Landes geht es vor allem um die Verteilung der nationalen Ressourcen und die Landfrage. Mit der Kürzung der Mittel für die Präfekturen zugunsten der Renta Dignidad hat die Zentralregierung gegenüber den Präfekturen die Daumenschrauben angezogen. Da die Renta Dignidad auch in den oppositionellen Departamentos populär ist, dürfte es den Präfekten schwerfallen, eine Rücknahme zu erwirken.

Ohnehin scheint es fragwürdig, ob es in dem Dialog am Ende der Woche zu einem konkreten Resultat kommen wird. Weder Opposition noch Regierung haben bisher zu einem der Themen einen Kompromiss angedeutet. Zudem wird die Zusammenkunft vom staatlichen bolivianischen Fernsehen und der von Morales neu eingerichteten staatlichen Radiostationen Nueva Patria übertragen, sodass es wohl kaum zu einer vertraulichen Atmosphäre kommen dürfte, die Voraussetzung für tragfähige Kompromisse wäre.

Allerdings scheint eine Übereinkunft auch hinter verschlossenen Türen momentan unwahrscheinlich. Da in diesem Jahr gleich eine ganze Reihe von Volksabstimmungen, so zum neuen Verfassungsentwurf, angesetzt sind, ist es wahrscheinlicher, dass die Regierung Morales diese abwartet.

*Aus: Neues Deutschland, 9. Januar 2008


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