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"So bauen wir langsam eine eigene Industrie auf"

Bolivien will seine riesigen Lithium-Vorkommen selbst verwerten. Hoffnung auf Elektromobilität. Ein Gespräch mit Luis Alberto Echazú *


Luis Alberto Echazú ist der Chef des Lithium-Programms der staatlichen ­bolivianischen Bergbaufirma COMIBOL.

Die Gegend um den Salar de Uyuni ist eine der ärmsten Regionen der Welt – in diesem Salzsee schlummern aber die größten Lithium-Vorkommen der Welt. Was hat die bolivianische Regierung mit diesem riesigen Schatz vor?

Jahrhundertelang wurden Boliviens Bodenschätze ausgeplündert, der Reichtum ging ins Ausland. Das muß anders werden! Boliviens Regierung hat darum eine Strategie zur Lithium-Industrialisierung aufgelegt. In einer ersten Phase hat das Staatsunternehmen COMIBOL 19 Millionen US-Dollar in Forschung und Vorstudien investiert. In einem Jahr schon wird die halbindustrielle Pilotanlage in Lipi im Departamento Oruro monatlich 40 Tonnen Lithiumcarbonat sowie 1000 Tonnen Kaliumchlorid für Dünger produzieren. Ein Nebenprodukt ist Speisesalz.

Diese Produktion wird in einem zweiten Schritt auf industrielle Ebene gehoben, finanziert mit einem 485-Millionen-Dollar-Kredit der Nationalbank. Erwartet werden 200000 Tonnen Kaliumchlorid und 30000 Tonnen Lithiumcarbonat. Ziel ist die Herstellung von Lithiumkathoden, Elektrolyten, wertvollen Lithiummetallen und am Ende von Lithium-Ionen-Batterien »made in Bolivia«.

Lithium ist aber nur ein kleiner Bestandteil von Batterien. Darum brauchen wir das Fachwissen von Partnerfirmen. Mit Südkorea und Japan wurden schon erste Abkommen geschlossen. Der Staat wird umgerechnet noch einmal 400 Millionen US-Dollar investieren. So bauen wir langsam eine eigene Industrie auf, die in der Region viele Jobs und Wohlstand schafft.

Kritiker sagen, Boliviens Lithiumprojekt komme nicht in Gang. Ist der Staat ein schlechter Unternehmer?

Das ist falsch, wir liegen im Zeitplan. Große Firmen aus Frankreich und Asien haben uns Pläne auf den Tisch gelegt, die exakt mit unseren Berechnungen übereinstimmen: Zwei Jahre für geologische Studien, zwei zur Analyse des Lithiums, zwei für den Bau einer Anlage.

Wie werden Boliviens Entwicklungspläne im Ausland betrachtet?

Seit meiner Kindheit habe ich mit Politik zu tun. Jetzt bin ich in der Praxis: Kein industrialisiertes Land hat Interesse daran, daß sich ein anderes Land industrialisiert. Nicht Deutschland, nicht China. Erinnern wir uns: Vor Deutschlands Industrialisierung im 18. Jahrhundert war es England, das neue Konkurrenten vom Markt halten wollte. Deutschland solle Agrarland bleiben, hieß es aus London.

Die Diskurse sind heute ähnlich. Ländern wie Bolivien wird gesagt: »Ihr müßt euch auf Rohstoff-Exporte spezialisieren, vergeßt die Industrialisierung«. Dabei kommt die Forderung nach Marktöffnung aus Ländern mit großer industrieller Basis, mit viel Kapital und noch mehr Technologie. Also aus den USA, Großbritannien oder Deutschland, die einst zu den protektionistischsten Ländern überhaupt gehörten.

Ihre schwachen Märkte wurden lange mit protektionistischen Maßnahmen geschützt. Sie haben sich erst dann dem Weltmarkt geöffnet, als sie stark genug für die harte Konkurrenz waren. Und jetzt fordern sie, daß sich alle öffnen sollen, Protektionismus sei schädlich. Sie verdammen, was sie für sich selber in Anspruch genommen haben. Die armen Länder werden mit überlegener Technologie, Waren und Geld überschwemmt.

Was ist, wenn die Linksregierung mit ihren Lithiumplänen scheitert?

Verliert die Regierung von Evo Morales die Macht, dann gehen auch die Pläne von einer eigenständigen Lithium-Industrialisierung baden. Und das, obwohl die Menschen genau wissen, daß sich ausländische Firmen dann alles unter den Nagel reißen werden. Daß Evo die Wahlen 2014 verliert, ist aber sehr unwahrscheinlich.

Wird Lithium billiger, kann das Elektro-Auto endlich seinen Durchbruch feiern. Bisher haben Lithium-Batterien die Elektromobilität sehr teuer gemacht. Bekommt die Elektromobilität keinen großen Wachstumsschub, könnten wir wegen des aktuellen Überangebots allerdings tatsächlich in Schwierigkeiten geraten.

Interview: Benjamin Beutler

* Aus: junge Welt, Freitag, 3. Mai 2013


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