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"Evo steht hinter mir"

Nardi Suxo Iturry über die Korruptionsbekämpfung in Bolivien *


Nardi Suxo Iturry leitet seit 2006 das Ministerium für Antikorruption in Bolivien. Die 50-Jährige hatte sich vor ihrer Berufung ein Renommée als Menschenrechtlerin erarbeitet und ist Juristin. Ihre juristischen Kenntnisse hat sie in den Dienst der Frauen und Kinder gestellt und lange für die Stiftung von Jimmy Carter gearbeitet. Nardi Suxo stammt aus einfachen Verhältnissen. Über Korruption in Bolvien sprach mit ihr für »nd« Knut Henkel.


nd: Bolivien ist laut den Recherchen von Transparency International ähnlich korrupt wie Mexiko. In den letzten Wochen hat ein Erpresserring in Bolivien Schlagzeilen gemacht. Dem kam man erst im Kontext der Festnahme eines US-Unternehmers auf die Schliche. Überaus pikant ist jedoch, dass die Erpresser im Ministerium saßen, oder?

Nardi Suxo Iturry: Dieser Fall ist ein Skandal, denn es waren Mitarbeiter eines Ministeriums, die diesen US-Unternehmer erpressen wollten. Doch bei den Ermittlungen stellte sich heraus, dass die Erpressung des US-Unternehmers Jacob Ostreicher nur die Spitze des Eisbergs war. Es gibt weitere Erpressungsfälle und es handelte sich um ein Netzwerk. Ich habe mit dem verantwortlichen Minister Carlos Romero und auch mit Evo Morales gesprochen, um den Fall möglichst schnell aufzuklären.

Es hat aber auch Kritik an Ihnen gegeben. Es hieß, Sie hätten früher intervenieren müssen?

Ja, das ist richtig. Das hat aber mehr mit den Widerständen gegen die Bekämpfung der Korruption in Bolivien zu tun als mit der zu langsamen Aufklärung. Generell gibt es beachtliche Widerstände gegen unsere Arbeit, aber das ist normal wenn man gegen eine Geißel der Gesellschaft vorgeht, unter der wir schon lange leiden. Die Korrupten schlagen zurück und ich als Ministerin, aber auch meine Familie, sind dabei natürlich in den Fokus geraten. Diese Anschuldigungen und diese Angriffe haben aber keine juristische Bedeutung, sie sind Teil einer medialen Kampagne.

Die aber auch die Arbeit des Ministeriums in Zweifel ziehen können ...?

Nein, denn wir haben mehr als 64 Urteile gegen Leute vorzuweisen, die der Korruption überführt wurden. Wir haben mehr als 120 Millionen US-Dollar für den bolivianischen Staat zurückgeholt und wir ermitteln in alle Richtungen. Das zeigen auch die Verurteilungen von Leuten aus unserer eigenen Partei, der MAS: Bekanntestes Beispiel ist jenes von Santos Ramírez, der zu zwölf Jahren Haft verurteilt wurde. Ramírez war Chef des staatlichen Öl- und Gaskonzerns YPFB und Ex-Präsident des Senats. Heute macht er Stimmung aus der Haft heraus gegen mich und mein Ministerium. Dazu nur so viel - er ist rechtskräftig verurteilt. Ich habe gestern mit Evo Morales gesprochen, ob ich auf seine Vorwürfe reagieren muss. Er hat das verneint und unterstützt meine Arbeit.

Null Toleranz für Korruption ist die Leitlinie der Regierung, aber laut Transparency International gibt es kaum Fortschritte. Warum?

Das müssen Sie Transparency International fragen. Wir haben versucht zu erfahren, mit welcher Methodik die Organisation vorgeht, ich habe Briefe geschrieben, die unbeantwortet blieben, und daher sind wir auch nicht einverstanden mit den Ergebnissen der Erhebungen der Organisation. Wir haben zum Beispiel ein Pilotprogramm für 150 führende Mandatsträger aufgelegt, deren Einkommenssituation überprüft wird. Zu den ersten, die wir unter die Lupe genommen haben, gehörte Präsident Evo Morales. Das hat symbolischen Charakter, und die Initiative soll ausgeweitet werden. Präsident, Vizepräsident und auch ich haben uns entschlossen, unser Bankgeheimnis zu lüften, um unsere Einkommenssituation transparent zu machen. Ich hoffe, dass diesem Beispiel viele Funktionäre folgen werden. Zudem arbeiten wir auch bei der Prävention mit Kindern und Jugendlichen. Es gibt also durchaus Fortschritte ...

Der Erpresserring ist jedoch ein herber Dämpfer und die Morddrohungen gegen Sie und ihre Kinder sind auch kein Kavaliersdelikt ...?

Das stimmt und es ist hart, dass meine Kinder in Bolivien nicht mehr sicher sind. Andererseits kommen wir voran, so haben wir gerade Ermittlungen gegen drei Ex-Minister wegen Korruption zu bearbeiten. Gegen die ehemalige Gesundheitsministerin, gegen den Minister für ländliche Entwicklung und gegen den ehemaligen Minister der Ombudsstelle, der Procuraduría. Wir ermitteln auf höchsten Ebenen, und ich habe die direkte Unterstützung des Präsidenten - trotz aller Widerstände.

Kommt der Widerstand auch aus den Reihen des bolivianischen Establishments selbst ...?

Ja natürlich, denn Bolivien hat eine lange Tradition der Korruption. Die Korruption ist seit der Kolonialzeit eine Geißel der Gesellschaft, und das versuchen wir zu ändern - doch die Korruption gehörte traditionell zum Alltag, und das ist nicht so einfach zu ändern. Seit dem Amtsantritt von Präsident Evo Morales 2006 gilt jedoch der Leitsatz: Nicht stehlen, nicht lügen und nicht schwach sein.

Ihre Tochter arbeitet mittlerweile in der deutschen Botschaft in Berlin. Das wurde Ihnen als Vorteilsnahme ausgelegt.

Meine Tochter lebt seit vier Jahren in Deutschland und hat ein Jahr in der Botschaft Boliviens in Berlin gearbeitet. Sie hat sich ganz normal beworben und das Außenministerium hat sie eingestellt. Mehr ist dazu nicht zu sagen.

Sie sind die dienstälteste Ministerin der Regierung und kaum jemand wird so angefeindet. Woher nehmen Sie die Kraft?

Das weiß ich selbst nicht, aber ich habe die Unterstützung des Präsidenten und ohne die wäre ich längst nicht so weit gekommen und sicherlich nicht mehr im Amt. Er hat mich angewiesen, den Druck zu erhöhen. Das werde ich tun.

* Aus: neue deutschland, Dienstag, 15. Januar 2013


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