Koka ist nicht Kokain
Boliviens Präsident wirbt für Legalisierung und Kommerzialisierung
Von Benjamin Beutler *
Bei der Jahrestagung des »Büros der Vereinten Nationen für Drogen- und
Verbrechensbekämpfung« (UNODC) in Wien warb Boliviens Präsident Evo Morales einmal mehr für
die Legalisierung der Koka-Pflanze. Der durch-schlagende Erfolg blieb aus.
Die Legalisierung der Koka-Pflanze ist ihm ein Herzensanliegen: Persönlich war Boliviens
Staatsoberhaupt Evo Morales letzte Woche nach Wien gereist, um selbst für die Entkriminalisierung
der in weiten Teilen Südamerikas verbreiteten Koka-Pflanze zu streiten. Anlässlich der 52.
Jahrestagung des »Büros der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung«
(UNODC) forderte der nach wie vor auch an der Spitze der bolivianischen Kokabauerngewerkschaft
stehende Morales die Unterzeichnerstaaten des »Einheitsabkommens über die Betäubungsmittel«
auf, die »Koka-Pflanze in ihrem natürlichen Zustand« endlich von der Liste der verbotenen Pflanzen
zu streichen. »Dieses Abkommen von 1961 ist nun schon über 50 Jahre alt, aber die Menschen
konsumieren Koka-Blätter weiter. Allein in Bolivien, Peru, Ecuador und Teilen von Chile und
Argentinien werden rund zehn Millionen Verbraucher vermutet«, so Morales.
Demonstrativ breitete er während seines Plädoyers vor Innen- und Justizministern aus 53 Ländern
einige grüne Koka-Blätter vor sich aus und begann sie zu kauen. »Koka-Blätter sind kein Kokain, sie
sind für die Gesundheit nicht schädlich und verursachen weder psychische Störungen noch
Abhängigkeit«, warb er für den legalen Gebrauch der Pflanze, die in den Anden seit 3000 Jahren
angebaut wird.
Anschließend warb Morales für die kommerzielle Produktion von Kosmetik, Tee und anderen
Genuss- und Nahrungsmitteln auf Koka-Basis. Erst kürzlich war mit der Annahme einer neuen
Magna Charta in Bolivien die Koka-Pflanze als »kulturelles und schützenswertes Erbe« unter
verfassungsmäßigen Schutz gekommen.
Das von Morales kritisierte »Einheitsabkommen über die Betäubungsmittel« ist Grundlage der
weltweiten Drogenkontrolle. Verboten sind unter anderem Anbau, Besitz, Anbieten, Kauf, Verkauf,
Import und Export des Koka-Strauches, neben dem Schlafmohn und dem Indischen Hanf. Doch hat
der Koka-Konsum in den Andenländern Tradition. Vor der spanischen Kolonisierung war das Koka-
Kauen dort wichtigste Kalziumquelle, wurde erst später durch Milchprodukte ersetzt. Auch ist das
»Heilige Koka-Blatt« den indigenen Bewohnern bis heute erste rituelle Opfergabe.
Der einstigen Kolonialmacht gefiel die energetisierende und hungerstillende Wirkung besonders.
»Die Indios in den Minen können 36 Stunden unter Tage bleiben, ohne zu schlafen und zu essen«,
wusste Eroberer Gonzalo de Zárate im 18. Jahrhundert. In den Blickpunkt der Politik geriet die
Pflanze mit dem Kalten Krieg. Die Sowjets verwiesen auf den Zusammenhang von Koka-Konsum
und Ausbeutung der Arbeitskräfte, die USA machten im Auftrag ihrer Minenunternehmer eine
Kampagne für die medizinischen Vorzüge.
Erst die massenhafte Verbreitung des Kokain-Konsums rund 100 Jahre nach der ersten Extraktion
pflanzlichen Kokains 1859 bewog die Staatengemeinschaft unter Führung der USA, massiven Druck
auf die drei wichtigsten Koka-Anbauländer Bolivien, Peru und Kolumbien auszuüben. So
verpflichtete sich Bolivien 1988 auf ein maximales Anbaugebiet von 12 000 Hektar. Die Wahl von
Morales 2005 brachte Bewegung in die bis dahin restriktive bolivianische Koka-Politik unter dem
Motto »Null Koka«. Der oft kritisierten Morales-Administration bescheinigt die UNODC für 2007 eine
Verdoppelung der Kokain-Beschlagnahmungen. Zudem wurden 2007 24 Prozent mehr illegale
Pflanzungen zerstört. Angesichts anhaltend hohen Kokain-Konsums und Dollar-Milliarden für den
militärischen Anti-Drogen-Kampf scheint die neue Devise zu fruchten: »Koka ja – Kokain nein«.
* Aus: Neues Deutschland, 17. März 2009
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