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Streit um Morales' Amtszeit

Boliviens Präsident wird sich 2008 erneut zur Wahl stellen

Von Von Benjamin Beutler *

In der Kleinstadt Warnes im ostbolivianischen Departement Santa Cruz kündigte Boliviens Präsident Evo Morales kürzlich Neuwahlen für 2008 an. Im Falle einer Annahme der Verfassung zur »Neugründung Boliviens« durch einen Volksentscheid wären solche vorgezogenen Wahlen möglich.

»Sollte es zu Neuwahlen kommen, so werden wir Evo erneut als Präsidentschaftskandidaten ins Rennen schicken«, verkündete Isaac Ávalos, Führer des Vereinten Gewerkschaftsbundes ländlicher Arbeiter Boliviens. Ávalos bestätigte, dass auch andere soziale Bewegungen an einer neuerlichen Wahl des ersten indigenen Präsidenten des Landes interessiert sind. Ziel sei es, die »Transformationspolitik« fortzuführen, die von der Regierungspartei Bewegung zum Sozialismus (MAS) in Gang gesetzt wurde. Unter Evo Morales hatte Bolivien im Mai letzten Jahres die Verstaatlichung des Energiesektors in Angriff genommen.

Die MAS selbst spricht nicht von einer Wiederwahl im eigentlichen Sinne des Wortes. Da es 2008 eine neue Verfassung gebe, handele es sich bei einer für Morales erfolgreichen Wahl danach um dessen erste Amtszeit. »Der Wahlvorgang, wenn er denn stattfindet, wäre kein Vorgang der Wiederwahl, sondern lediglich eine Angleichung des Staates an die neue Verfassung«, erklärte Héctor Arce, einer der Regierungsvertreter zur Koordinierung der MAS-Wahlmänner in der gegenwärtig tagenden verfassunggebenden Versammlung. Die Entscheidung, ob Morales neuerlich Präsidentschaftskandidat der MAS werde, wollte Arce zwar »komplett« den Wahlmännern überlassen, doch wies er darauf hin, dass dieser auf jeden Fall »teilnehmen wird, da er noch nicht einmal 50 Prozent seiner Amtszeit beendet hat«. Die Frage ist deshalb so heikel, weil die bisherige Verfassung dem Präsidenten nur zwei aufeinander folgende Amtszeiten erlaubt. Würde die gegenwärtige nicht mitgerechnet, könnte der seit Januar 2006 amtierende Morales nach 2008 auch 2012 wieder antreten und im Erfolgsfall bis 2016 auf dem Posten verbleiben.

Die Opposition sieht das anders. »Morales befindet sich eindeutig in seiner ersten Amtszeit. Es wäre absurd, wenn man wegen des Verfassungswechsels sagen würde, es zähle nicht, was er bisher geleistet hat«, findet der Vorsitzende der Oppositionspartei Nationale Einheit (UN), Samuel Doria Medina. Die MAS glaube offenbar, »man könne von Null anfangen«. Er erinnerte an den Präsidenten Víctor Paz Estenssoro, der nach einer Verfassungsänderung 1964 für eine dritte Amtszeit gewählt wurde, aber nur drei Monate an der Macht blieb: »Versteift euch nicht so sehr auf die Wiederwahl, die Geschichte könnte sich wiederholen.« Der unabhängige Wahlmann Jorge Lazarte brachte die Befürchtungen der Opposition auf den Punkt: »Die einzige Absicht der MAS in der verfassunggebenden Versammlung ist es, einen Weg zu finden, um Evo Morales an der Macht zu halten.«

Trotz unentwegter Diskreditierungsversuche durch seine Gegner bleibt der Präsident höchst beliebt, ein Wahlerfolg wäre sehr wahrscheinlich. Den Vorwurf, die MAS führe einen »permanenten Wahlkampf« und sei nicht an einem demokratischen Verfassungsprozess interessiert, wies Vizepräsident García Lineras zurück. Sollte es der Versammlung nicht gelingen, bis Juli einen beschlussfähigen Entwurf vorzulegen, so werde man ihr mehr Zeit zur Verfügung stellen: »Es gibt keine Eile. Die verfassunggebende Versammlung hat alle Befugnisse, sie bestimmt die Modalitäten des Wandels.«

* Aus: Neues Deutschland, 16. April 2007


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