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Kampf um Sucre

Soziale Bewegungen Boliviens wollen Komitees zur Verteidigung des Verfassungskonvents bilden

Von Ben Beutler *

Soziale Organisationen, Bauern- und Indigenengruppen halten seit Wochenbeginn das Zentrum der zentralbolivianischen Stadt Sucre besetzt. Am Dienstag haben sich erneut über 10000 Menschen im »Vaterlandsstadion« der Stadt getroffen, um die Verteidigung der verfassunggebenden Versammlung zu beraten. Der Konvent tagt seit über einem Jahr in Sucre, allerdings wurde seine Arbeit unlängst wegen anhaltender Ausschreitungen bis Mitte Oktober ausgesetzt.

Das Treffen der Organisationen, die dem sozialistischen Präsidenten Evo Morales nahestehen, wurde auf Initiative der regierenden »Bewegung zum Sozialismus« (MAS) einberufen. Die Teilnehmer, die aus allen Teilen des Landes angereist waren, sollten auf der Zusammenkunft ihr Vorgehen gegen die laut Boliviens Vizepräsidenten Álvaro García Linera »rassistische, separatistische, gewalttätige und antidemokratische Rechte« zu beraten. Die Opposition versuche schließlich, »jedes Mittel« einzusetzen, um die »demokratische Revolution« zu stoppen, die seit der Wahl von Evo Morales in Gange ist. Nationale Medien berichteten später, daß sich die Teilnehmer sogar bereit- erklärt hatten, den Verfassungskonvent mit ihrem Leben zu verteidigen. Der Ton in der Auseinandersetzung zwischen der linken Regierung und den Vertretern der Oberschicht nimmt damit an Schärfe deutlich zu. Am vergangenen Sonntag erst hatte Venezuelas Staatschef Hugo Chávez vor Putschversuchen in Bolivien gewarnt. Während eines Kurzbesuches seines bolivianischen Amtskollegen sicherte er Morales im Falle eines Staatsstreichs jeden notwendigen Beistand zu.

Der Generalsekretär der »Vereinigung der Indigenen des bolivianischen Ostens« (CIDOB), Adolfo Chávez, kündigte massive Mobilisierungen an, sollte die Gewalt der letzten Wochen gegen MAS-Wahlmänner weitergehen. Schlägertrupps der rechtsradikalen »Jugendunion Santa Cruz« hatten auf den Straßen Sucres mehrfach Passanten mit indigenem Aussehen bedroht. Auch war es zu Übergriffen auf MAS-Abgeordnete aus dem Hochland gekommen. Isaac Avalos, Chef der »Gewerkschaftlichen Vereinigung werktätiger Bauern Boli-viens« (CSUTB), wies auf die Bedeutung des gemeinsamen Vorgehens hin: »Früher haben wir für die Wiedererlangung unserer Bodenschätze protestiert und gestreikt. Nun geht es um die Verteidigung des Verfassungskonvents.«

Eine der wichtigsten Forderungen der sozialen Bewegungen, die Präsident Evo Morales Ende 2005 ins Amt gewählt hatten, war die Ausarbeitung einer Verfassung, die ihre Rechte in angemessenem Maße berücksichtigt. In einer Zehn-Punkte-Deklaration, die laut dem Vizepräsidenten der verfassunggebenden Versammlung, Roberto Aguilar, lediglich für die MAS-Fraktion bindend ist, erklärten sich die Anwesenden bereit, »Verteidigungskomitees« zu gründen. Erneut wurde auch ein möglicher Umzug des Konventes nach La Paz beraten. Denn wenn es keine demokratischen Garantien für die Sitzungen der verfassunggebenden Versammlung gebe, dann solle sie in einem anderen Departement stattfinden.

* Aus: junge Welt, 13. September 2007


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