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Mafia im Regierungspalast

Erpressung und Manipulation von Gerichtsverfahren in Bolivien

Von Benjamin Beutler *

La Paz wird von einem handfesten Korruptionsskandal erschüttert. Bisher unbemerkt soll eine Bande aus Richtern, Staatsanwälten und Regierungsfunktionären Gerichtsverfahren manipuliert und Unternehmer und Politiker um hohe Summen erpreßt haben, hieß es zu Wochenbeginn aus dem Regierungspalast Palacio Quemado. »Unseren Voruntersuchungen zufolge können wir bestätigen, daß das Netzwerk aus Mitgliedern des Innenministeriums und dem Justizwesen besteht«, trat am Montag ein sichtlich entnervter Regierungsminister Carlos Romero vor die Presse. Man habe es mit einem »sehr beweglichen, mit großer Erfahrung, Knowhow und Kontakten ausgestatteten Netzwerk« zu tun, versuchte der Politiker der »Bewegung zum Sozialismus« (MAS) auf einer Pressekonferenz in La Paz zu erklären, wie die Männer über einen so langen Zeitraum ungestört agieren konnten.

»Wir werden unsere Arbeit objektiv und transparent machen«, erklärte derweil Generalstaatsanwalt Ramiro Guerrero den offiziellen Auftakt von Ermittlungen. Bei den Tätern, die letzte Woche dem Untersuchungsrichter vorgeführt wurden, handelt es sich um die Juristen Fernando Rivera Tardío und Dennis Rodas Limachi. Beide Männer seien Exangestellte der juristischen Staatskanzlei im Regierungsministerium, so Angaben von Innenminister Jorge Pérez. Kopf der Bande sei Boris Villegas, Anwalt, Exfachbereichsleiter im Innenministerium. Dessen letzter Arbeitgeber war pikanterweise das Ministerium für Korruptionsbekämpfung. Bisher streiten die Beschuldigten alle Vorwürfe ab.

Die ganze Geschichte schmeckt nach Mafiaroman. Aufgeflogen waren die mittlerweile in Haft sitzenden Männer nach Ermittlungen eines ehemaligen FBI-Agenten. Im Fall eines wegen Drogengeschäften inhaftierten US-Amerikaners war der Privatdetektiv von dessen Familienangehörigen in den Vereinigten Staaten engagiert worden und in das Andenland gereist. Der Geschäftsmann Jacob Ostreicher sei von der Bande mit falschen Beschuldigungen ins Gefängnis gebracht und dann monatelang erpreßt worden, erklärte der Ex-FBI-Mann auf dem Internetblog Ostreichers. 22 Millionen US-Dollar hatte der Reishändler auf seiner Reise nach Bolivien im Gepäck, über Unterhändler eines Drogenbosses aus Brasilien kaufte er Land. Die Behörden wurden schließlich auf die Geschäfte aufmerksam, seitdem sitzt der Mann wegen Verdachts der Geldwäsche in der Tiefland-Metropole Santa Cruz im berüchtigten Palmasola-Knast.

Parallel zu den Ermittlungen waren bolivianische Regierungsvertreter mit US-Amerikanern zusammengetroffen, um im Fall Ostreicher eine Lösung zu finden. In seiner Heimat hatte die Geschichte des im Andenland gefangenen Geschäftsmanns längst Wellen geschlagen. Daraufhin waren US-Senator Christopher Smith von den Demokraten und Schauspieler Sean Penn ins Flugzeug gestiegen, um vor Ort auf die Lage ihres Landsmanns aufmerksam zu machen. Auch die US-Botschaft in La Paz war eingeschaltet.

Die Erpressergeschichte trifft die MAS-Regierung mitten ins Herz. Die Aufdeckung des Netzwerks in den Schaltzentralen der Macht könnte zum größten Skandal in der sechsjährigen Amtszeit von Präsident Evo Morales werden. »Es gab so viele Minister im Präsidialamt und Regierungsministerium, warum hat keiner bemerkt, daß sie von Kriminellen umgeben waren? Warum hat die Ministerin für Transparenz nichts gesagt?« stellt der bekannte Kommentator José Gramunt de Moragas vom katholischen Nachrichtendienst ANF bohrende Fragen. Nun will man hart durchgreifen, »egal, wer fällt«, so Romero. Am Montag wurde Isabelino Gómez verhaftet. Dem Oberstaatsanwalt des Departamento Santa Cruz wird vorsätzliche Prozeßverschleppung im Ostreicher-Fall vorgeworfen.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 06. Dezember 2012


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