Gletschertod in den Anden
Dem einst höchstgelegenen Skilift der Welt geht der Schnee aus
Von Benjamin Beutler *
Das bisher höchste Skigebiet der Welt befand sich unweit von La Paz in Bolivien. Doch der
Gletscher taut, ebenso wie viele andere in den südamerikanischen Anden.
Chacaltaya heißt der majestätische Berg, nur 30 Kilometer entfernt von Boliviens Hauptstadt La Paz,
deren Name auf Aymara »kalter Pfad« bedeutet. Einst befand sich hier ein bei gut betuchten
Bolivianern und weit gereisten Touristen beliebtes Skigebiet, selbst der österreicherische
Alpenverein betrieb eigens eine gemütliche Berghütte. Unterhalb des 5421 Meter hohen Gipfels
erstreckte sich über die vergangenen 18 000 Jahre ein eisiger Gletscher bis hinab ins Tal. Er war
nur eines der zahlreichen Eisreservoire der 125 Kilometer langen und 20 Kilometer breiten
bolivianischen Cordillera Real (Königskordillere), die sich östlich von La Paz gen Süden ausdehnt.
Diese Gebirgskette der südamerikanischen Anden ist besonders stark vergletschert. Grund ist die
unmittelbare Nähe zum Amazonastiefland, dessen aufsteigende feuchte Luftmassen für genügend
Niederschläge zu Bildung von Gletschereis sorgen.
1939, die Eisfläche betrug damals noch 223 Quadratkilometer, stattete man die dem Äquator am
nächsten gelegene Ski-Piste mit einem Skilift aus. Keiner rechnete damals mit den Folgen einer
weltweiter Klimaerwärmung. Heute verirrt sich kaum noch ein Abfahrtsläufer nach Chacaltaya, es
fehlt oft am Nötigsten: dem Schnee. Die Fläche des Gletschers schrumpfte bis 2001 auf 48
Quadratkilometer. Allein seit 1987 verringerte sich die ursprüngliche Eisfläche um 80 Prozent. Der
Gletscherschwund ist offenbar kein vorübergehendes Phänomen. Einem von der »Gemeinschaft der
Andenstaaten« (CAN) in Auftrag gegebenen Klimabericht zufolge »wird der Chacaltaya-Gletscher
bis spätestens 2010 restlos verschwunden sein«. Nichts als eine Geröllhalde bliebe übrig.
Schnee fällt an manchen Tagen reichlich, alles wird weiß. »Tage wie diese führen allerdings in die
Irre«, stellt einer der führenden Gletscher-Experten im Lande, Edson Ramirez, klar. Zu schnell
schmilzt der Schnee ab, um sich in Gletschereis zu verwandeln. Ivan Arana, Klimaexperte der
bolivianischen Regierung, macht als Grund für das Gletschersterben die globale Erwärmung aus.
Diese sei auch in Bolivien spürbar. Zwischen 1950 und 2000 sei die jährliche
Durchschnittstemperatur um 0,5 Grad angestiegen. Bei gleich bleibenden Indikatoren wäre bis 2015
mit einem weiteren Anstieg um 1,5 Grad zu rechnen. Die gering scheinende Erwärmung habe
»starke Auswirkungen« auf das Wettergeschehen, so Arana.
Und so stellt sich nicht nur der heimische Skiverein auf schwere Zeiten ein. Während er in Erwägung
zieht, die Chacaltaya-Piste mit Kunstschnee abfahrtsfähig zu erhalten oder sich nach einem
anderen, »gesunden« Gletscher umzuschauen, sorgen sich die mehr als zwei Millionen Einwohner
der Städte La Paz und El Alto um ihre Trinkwasserversorgung. »Gletscher sind unsere
Wasserspeicher«, so Oscar Paz, Leiter des nationalen Programms für Klimawandel. 2018 könnten
auch die Gletscher des Tuni-Condiri-Massivs verschwunden sein, 80 Prozent des Trinkwassers von
La Paz und El Alto kommen von dort. Der Chacaltaya ist nur der Beginn eines großen
Gletschersterbens in den Anden.
* Aus: Neues Deutschland, 12. November 2007
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