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Kein Gespräch mit Ausbeutern

Gewerkschaftsdachverband setzt Boliviens Regierung mit Generalstreik unter Druck

Von Benjamin Beutler *

Mit einem 24-Stunden-Streik protestierte Boliviens mächtigster Gewerkschaftsverband für bessere Gehälter. Die linke Regierung von Evo Morales zeigt dafür wenig Verständnis.

Steigende Staatseinnahmen aus dem boomenden Gasgeschäft führen in Bolivien derzeit zu massiven Lohnforderungen von Staatsbediensteten. Mitte der Woche war es im ganzen Land zu Protesten für mehr Gehalt gekommen, Medienberichten zufolge nahmen aber nur wenige Beschäftigte an dem 24-Stunden-Generalstreik teil. Hinzu kommt ein Medizinerstreik gegen die Erhöhung der Arbeitszeit von sechs auf acht Stunden täglich.

»Die Lohnsteigerungen werden immer über der Inflationsrate sein«, verteidigte Präsident Evo Morales am Donnerstag die Gehaltspolitik der regierenden »Bewegung zum Sozialismus« (MAS). Der MAS-Chef, der auf einem Parteitag seine erneute Präsidentschaftskandidatur für 2014 angekündigt hatte, verteilte in der Millionenstadt El Alto Hunderte Gratis-Laptops an Lehrer. Doch der Konflikt zwischen der Regierung und dem mächtigen Gewerkschaftsdachverband »Arbeiterzentrale Boliviens« (COB) aber schwelt weiter.

»Ich würde gerne mehr zahlen, aber wir müssen auch investieren und wir haben als nationale Regierung gerade zwei große Investitionsprojekte zu stemmen«, verwies der Regierungschef auf den Bau zweier Flüssiggasanlagen im erdgasreichen Andenland. »In Rio Grande in Santa Cruz investieren wir 160 Millionen US-Dollar, nach Fertigstellung bringt uns das 350 Millionen US-Dollar im Jahr«, versprach Morales eine »Demokratisierung der Gewinne über Umverteilung durch Löhne«. 600 Millionen US-Dollar Staatsgelder sind in eine zweite Anlage in Yacuiba, im Departamento Tarija geflossen, was dem Fiskus eine Milliarde US-Dollar Mehreinnahmen bringen soll.

Geiz kann man der MAS-Regierung nicht vorwerfen. Seit 2006 an der Regierung, hat die Lohnentwicklung mit der Teuerungsrate für Lebenshaltungskosten Schritt gehalten. Für 2011 hat die staatliche Statistikbehörde (INE) eine Inflationsrate von 6,9 Prozent errechnet, seit 13 Tagen nun hält La Paz das Angebot von sieben Prozent mehr Lohn aufrecht. Doch die zwei Millionen Mitglieder starke COB unter Führung des neuen Vorsitzenden Juan Carlos Trujillo will deutlich mehr, auch in Sachen Mindestlohn. Der »Familienwarenkorb«, so rechneten die COB-Ökonomen zuletzt vor, koste mittlerweile 1150 US-Dollar. Um eine Familie ernähren zu können, müsse der gesetzliche Mindestlohn diese Summe abdecken, so der 33-jährige Trujillo. Das Regierungsangebot von 15 Prozent mehr Mindestlohn wird abgelehnt - eine Position, die kaum jemand in der Regierung nachvollziehen kann.

Denn der Mindestlohn steigt seit Morales' Amtsantritt stetig, von 440 Bolivianos 2006 auf heute 815 Bolivianos. Der aktuelle Vorschlag würde eine weitere Erhöhung auf 937 Bolivianos (132 US-Dollar) bedeuten, nominal mehr als das Doppelte als noch vor sechs Jahren.

Laufende Gespräche in La Paz ließ der gelernte Bergarbeiter Trujillo platzen. Erstmals hatte die MAS-Administration Unternehmer mit an den Verhandlungstisch gebeten, ein Verrat an der Arbeiterklasse, findet Trujillo. »Mit den Ausbeutern haben wir nichts zu diskutieren, die Unternehmer dürfen nicht an Gesprächen über Gehaltssteigerungen teilnehmen«, so der Gewerkschaftsführer. Auch die Arbeitszeiterhöhung für öffentliches Krankenhauspersonal und Mediziner, die mangels Personal von Morales dekretiert worden war, verurteilt Trujillo als »neoliberal«.

Im Januar 2012 war der Mann aus der Minenstadt Oruro an die COB-Spitze gewählt worden. Seine Anhänger drohten auf der Generalversammlung mit der Einstellung von Mitgliedszahlungen. Um eine Spaltung abzuwenden, hatten Gegenkandidaten ihre Bewerbung daraufhin zurückgezogen.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 14. April 2012


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