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Für mehr Gleichgewicht sorgen

Bolivien übernimmt Präsidentschaft der "G-77-Gruppe plus China" innerhalb der Vereinten Nationen

Von Benjamin Beutler *

La Paz feiert einen Prestigesieg auf diplomatischem Parkett. 2014 leitet Bolivien die turnusmäßige Präsidentschaft und Koordinierung des Staatenzusammenschlusses der G-77-Länder plus China innerhalb der Vereinten Nationen (UN), teilte die staatliche Nachrichtenagentur ABI mit. Die Vereinigung wurde 1964 im Verlauf der ersten Welthandelskonferenz (UNCTAD) gegründet und hat inzwischen 133 Mitglieder. Sie alle stimmten in der vergangenen Woche für die linksregierte Andennation. Gegenstimmen gab es in New York keine, da Boliviens Vorsitz wie bei der Wahl des UN-Generalsekretärs durch Akklamation »herbeigeklatscht« wurde. Vorgeschlagen wurde Bolivien von der Union südamerikanischer Staaten (UNASUR), der Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten (CELAC) sowie der Bolivarischen Allianz für unser Amerika (ALBA). Schon einmal 1990 saß Bolivien dem Bündnis vor.

»Der plurinationale Staat von Bolivien fühlt sich geehrt«, nahm Boliviens ständiger Vertreter bei den Vereinten Nationen, Sacha Llorenti, den G-77-Vorsitz an. Außenminister David Choquehuanca wertete die Präsidentschaft des 1964 gegründeten Süd-Süd-Bündnisses, das die Interessen der Entwicklungsländer bündeln soll, als Erfolg der bolivianischen Innenpolitik: »Das ist kein glücklicher Zufall, sondern Anerkennung der Arbeit von Evo Morales durch die internationale Gemeinschaft«. Im Jahr des 50jährigen Jubiläums der G77 stehe »nicht irgendein Land« an dessen Spitze, sondern »das Bolivien, das den Mut hat, sich den Hegemoniemächten entgegenzustellen«, führte Choquehuanca die Nationalisierung der heimischen Gas- und Ölindustrie ins Feld. Auch mit dem Rausschmiß der US-Antidrogenbehörde DEA und Entwicklungsbehörde USAID hatte der »Palacio Quemado« eine ordentliche Prise nationaler Eigenständigkeit ins globale Machtgefüge gestreut.

Gerade recht kommt die Führungsrolle der regierenden »Bewegung zum Sozialismus« (MAS). 2014 ist Wahlkampf, Ende des Jahres stellt sich MAS-Chef Morales zur Wiederwahl als Präsident. »Nach 24 Jahren wieder der G-77 vorzustehen zeigt, daß das Land das Vertrauen der UN-Mitgliedsstaaten genießt«, nimmt Boliviens Botschafterin in Deutschland, Elizabeth Salguero, Kritikern Wind aus den Segeln. Das Votum der 133 Mitgliedsländer zeige, daß die bolivianische Diplomatie »gute Arbeit macht«, so die Ex-Kultusministerin gegenüber junge Welt.

In ihrer Montagsausgabe untersucht die bolivianische Tageszeitung La Razón das Gewicht des Bündnisses. Nordkorea, Afghanistan und Costa Rica hätten »wenig gemeinsame Ideen«, andere Kulturen, Entwicklungsmodelle, politische Systeme. Doch sei nicht wichtig, »wer im G77 vertreten ist, sondern wen es ausschließt«, findet die Zeitung. Mit Ausnahme von China, Brasilien und Indien haben »die großen Weltmächte« im »Club der Mehrheit, der am wenigsten Begüterten« keinen Zutritt. Schwer wiege die »Stimme der Dritten Welt« am Jahresende. Beim Gezerre um das UN-Haushaltsbudget würden sich die G-77-Leichtgewichte »mit den Besitzern der dicken Portemonnaies« an einen Tisch setzen und über Einnahmen und Ausgaben verhandeln. Boliviens Ex-Gesandter im New Yorker UN-Dschungel weiß aus eigener Erfahrung um die Bedeutung: Zwischen wenigen Groß-Einzahlern und vielen Empfängern der UN-Millionen sorge die G77 »für mehr Gleichgewicht«.

* Aus: junge welt, Dienstag, 12. November 2013


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