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Nie wieder Kolonie

Mit neuem Feiertag sagt Boliviens Linksregierung Kolonialismus den Kampf an

Von Benjamin Beutler *

Zum zweiten Mal begeht Bolivien heute den »Tag der Entkolonialisierung«. Über 5000 Abordnungen von Indigenen-Organisationen aus dem Andenland und dem Ausland werden dafür im riesigen Kolosseum »Julio Borelli« in der Hauptstadt La Paz erwartet, so Informationen des Kultusministeriums. Im Festsaal der Millionenstadt werde ein »Taki Onqoy« getanzt, ein uralter Reinigungsritus, der einst von spanischen Kolonialbehörden und katholischen Priestern als »unchristliche Abgötterei« verboten und mit allen Mitteln verfolgt worden war, so Berichte lokaler Medien. Boliviens Präsident Evo Morales, erstes indigenes Staatsoberhaupt des Landes, hatte den Feiertag vor genau einem Jahr ausgerufen. Auch Ecuador, das sich wie der Vielvölkerstaat Bolivien mit seinen 36 Nationen eine neue Verfassung gegeben hat und seither als »Plurinationalen Staat« definiert, erinnert am heutigen Tag an die lange verdrängte Geschichte von Eroberung, Kolonialismus und Ausbeutung durch die Weltmächte aus Europa und Vereinigten Staaten. Auch die Andengemeinschaft (CAN) deklarierte 2011 den »Kontinentalen Tag der Entkolonialisierung«.

Die Wahl des Datums ist Kalkül, die Linksregierungen wollen ein Zeichen setzen. Denn deren antiimperialistische Außenpolitik legt den Schwerpunkt auf Regionalbündnisse (Mercosur, Alba) und neue Handelspartner wie China und Rußland. Ideologisch bedarf diese strategische Neuorientierung eines Richtungswechsels. Bisher gedachten die Eliten des Subkontinents am 12. Oktober der Ankunft von Christoph Kolumbus. Die europäischstämmige ¬Ober- und Mittelschicht schaut seit jeher nach Paris, London oder Miami, stolz feierte man den »Tag der Rasse« oder den »Tag des Spanientums«.

Boliviens regierende »Bewegung zum Sozialismus« (MAS) betreibt nicht nur Symbolpolitik. Rassismus, Diskriminierung und Machotum als Erbe der Kolonialzeit werden mit Gesetzen bekämpft. Verabschiedet wurden zuletzt Paragraphen gegen Rassismus und Diskriminierung, gegen Menschenhandel sowie Volksverhetzung und politische Gewalt. Letzteres greifen Oppositionspolitiker als »Maulkorb-Gesetz« und Eingriff in die Presse- und Meinungsfreiheit an. Die Regel verbietet rassistische Äußerungen in Medien und Öffentlichkeit, was längst fällig war. Ohne rechtliche Handhabe dagegen konnte Präsident Morales als »Lama« oder »Ausgeburt des Teufels« tituliert werden.

»Die Entkolonialisierung im Inneren ist eine Herausforderung«, so der Soziologe Arturo Villanueva. Er fordert einen »Kampf für die Befreiung der Nation auf Grundlage des Vivir Bien, des Guten Lebens, als ein alternatives Paradigma zu Kapitalismus und Neoliberalismus«. Allein ein »diskursiver Antiimperialismus« reiche nicht aus, kritisiert Villanueva die jüngste Entscheidung der Morales-Administration, im Antidrogenkampf wieder enger mit US-Behörden zu kooperieren. Vertreter der Revolution von 1952, blickt der Soziologe zurück, aber auch rechte Militärdiktaturen wie die des Washington-Günstlings René Barrientos, der in den 1960er Jahren mit Hilfe von CIA-Beratern die Guerilla-Bewegung Ernesto Ché Guevaras in die Knie zwang, hätten Bolivien schließlich »verraten und dem Ausland ausgeliefert«. Die Geschichte dürfe sich nicht wiederholen.

* Aus: junge Welt, Freitag, 12. Oktober 2012


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