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Mehr Souveränität

Bolivien: Internationale Energiekonzerne akzeptieren zähneknirschend die neuen Bedingungen für die Ausbeutung der nationalen Öl- und Gasvorkommen

Von Timo Berger *

Die bolivianische Regierung verzeichnet weitere Erfolge auf ihrem Nationalisierungskurs. Anfang der Woche konnte Präsident Evo Morales dem bolivianischen Parlament nach sechsmonatigen Verhandlungen mit ausländischen Energiekonzernen die neuen Förderabkommen zur Abstimmung vorlegen. Kritiker der am 1. Mai beschlossenen Verstaatlichung der Reserven, die diese für undurchführbar hielten, sind damit widerlegt – und lassen sich doch nicht beirren. Der US-Botschafter in Bolivien, Philip Goldberg, sorgt sich nach Angaben bolivianischer Tageszeitungen um die wirtschaftlichen Auswirkungen. »Uns beunruhigt in diesem Zusammenhang am meisten die mögliche Veränderung des Investitionsklimas«, kommentierte Wa­shingtons Vertreter die Neuverhandlungen Mitte der Woche.

Enorme Mehreinnahmen

Aber auch der ehemalige Energieminister Andrés Soliz, der aus Protest gegen die seiner Meinung nach zu zurückhaltende Nationalisierungspolitik zurückgetreten war, gab sich besorgt. Vertreter des brasilianischen Energiekonzern Petrobras hätten erklärt, die bolivianischen Gasreserven sollten an den internationalen Börsen, etwa in New York, notiert werden. Damit könnten die Vorkommen nicht mehr als Garantien etwa für Kredite genutzt werden. Am Donnerstag dementierte die Regierung Morales die Darstellung. Der Staat behalte die Kontrolle über die Gasreserven.

Trotz aller Unkenrufe hat sich seit Ankündigung der Maßnahmen am 1. Mai keiner der elf ausländischen Energiekonzerne aus Bolivien zurückgezogen. Am 31. Oktober unterzeichneten die Unternehmen, darunter die spanisch-argentinische Gesellschaft Repsol YPF, die französische Total, der britische Konzern Gas Bolivia und das US-Unternehmen Vintage Petroleum die neuen Verträge mit der bolivianischen Regierung. Die Petrobras als größter Akteur zeigte sich zwar auch mit dem neuen Abkommen und dessen dreißigjähriger Laufzeit einverstanden, weigert sich bislang jedoch, die Gasexportpreise zu erhöhen, wie von der Regierung Morales gefordert wird. Für den brasilianischen Konzern geht es hier um viel Geld, da der gesamte Industriegroßraum São Paulo mit bolivianischen Gas beliefert wird.

Ungeachtet dieser Probleme ungeachtet werden in Zukunft mehr Einnahmen aus dem Gasgeschäft beim Staat verbleiben. Statt 18 bis 50 Prozent Abgaben werden künftig für die großen Lagerstätten 82 Prozent Abgaben plus Gewinnsteuern und für die kleineren 60 Prozent fällig. Damit wird der bolivianische Staat aus dem Gasgeschäft nach offiziellen Schätzungen jährlich 1,186 Milliarden US-Dollar einnehmen – unter Lozada waren es noch 318 Millionen. Für die Erschließung neuer Gasfelder werden allerdings auch flexiblere Bedingungen möglich sein: Beobachter erwarten, daß die neuen Verträge den Unternehmen niedrigere Abgaben einräumen, solange diese ihre Investitionen noch nicht amortisiert haben. Dies ist allerdings bei den größten Lagerstätten Bolivien bereits der Fall. Bolivien verfügt nach Venezuela über die größten Gasreserven des südamerikanischen Kontinents.

Investitionen geplant

Für die Mineralkonzerne sind die neuen Verträge ein Dämpfer. Zuvor zählten sie zu den großen Profiteuren der Privatisierung und verdienten mehr als international üblich. Mit den neuen Konditionen können die Energiekonzerne aber noch mit Gewinnmargen von 15 Prozent aus ihrer Produktion rechnen, wie der bolivianische Energieminister Carlos Villegas anläßlich der Unterzeichnung der Förderabkommen erklärte. Damit sei die Profitabilität in Bolivien auf demselben Niveau wie im Rest der Welt.

Doch der wichtigste Punkt der neuen Verträge ist, daß die Regierung die Souveränität über die Rohstoffe wiedererlangt hat. Die Energiekonzerne führen nicht mehr wie in der Vergangenheit die gesamte Produktionskette durch und zahlen dann Abgaben an den Staat, sondern der Staat ist wieder im Besitz der Rohstoffe und bezahlt die Konzerne für die von ihnen geleisteten Dienste wie Förderungen, Verarbeitung, Leitung, Export.

Doch damit ist die Nationalisierung der Treibstoffe noch nicht abgeschlossen. Evo Morales erklärte in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur Prensa Latina, »2007 wird das Jahr der industriellen Verarbeitung des Gases«. Bolivien will in die Weiterverarbeitung des Gases investieren, unter anderem in neue Verflüssigungsanlagen. Außerdem soll der staatliche Mineralölkonzern YPFB die Kontrolle über die beiden größten Raffinerien, die momentan im Besitz von Petrobras sind, wiedererlangen.

* Aus: junge Welt, 17. November 2006


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