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Morales unter Druck

Bolivien: Streik und Blockaden. Todesopfer in Caravani

Von Benjamin Beutler *

Bergarbeiter, Lehrer und Ärzte streiken seit dem gestrigen Montag in Bolivien für höhere Löhne. Obwohl die Regierung von Präsident Evo Morales das Wochenende über mit dem Gewerkschaftsbund COB verhandelt hatte, hielt dieser an seinem Aufruf zum Protest gegen die Lohnpolitik der Linksregierung fest. Das Regierungsangebot, fünf Prozent mehr Gehalt für die Beschäftigten im Bildungs- und Gesundheitswesen sowie drei Prozent für Soldaten und Polizisten zu zahlen, sei »inakzeptabel«. Am Montag setzte sich im zentralbolivianischen Caracollo ein Protestmarsch in Bewegung, der bis in die 140 Kilometer entfernte Hauptstadt La Paz führen soll.

Finanz- und Wirtschaftsminister Luis Arce kritisierte den Ausstand und verwies darauf, daß der Staat in den letzten vier Jahren die Gehälter in diesen Bereichen um 37 Prozent angehoben habe. Das habe die Staatskassen um rund eine Milliarde US-Dollar belastet. Mehr als weitere fünf Prozent Steigerung seien darum nicht bezahlbar, die COB-Forderung von 14 Prozent überhaupt nicht machbar. Präsident Morales beschuldigte die COB-Führung, eine »konterrevolutionäre« Linie zu verfolgen, sie sei ein »Instrument des Neoliberalismus«. Vizepräsident Álvaro García Linera seinerseits zog historische Parallelen. Die COB habe 1985 den »progressiven Präsidenten« Hernán Siles zum Rücktritt gezwungen. »Jetzt wollen sie der faschistischen und steinzeitlichen Rechten den Weg ebnen«, so der frühere Guerillero.

Die politische Lage in dem Andenstaat ist ohnehin angespannt. Am vergangenen Freitag kam es bei der gewaltsamen Räumung einer Straßenblockade 154 Kilometer nördlich der Hauptstadt La Paz zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Protestierenden. Dabei kam mindestens ein Demonstrant ums Leben. Zuvor hatten Hunderte Bewohner der Ortschaft Caranavi zwölf Tage lang eine der wichtigsten Verbindungsstraßen aus dem Andenhochland in das amazonische Tiefland gesperrt. Sie fordern den Bau einer Fabrik zur Weiterverarbeitung von Zitrusfrüchten.

Die bolivianische Regierung hatte ein solches Werk versprochen, sich dann aber dafür entschieden, sie an einem anderen Ort zu errichten. Das löste die Proteste aus. La Paz ordnete schließlich die Räumung der Blockade an, um Zusammenstöße zwischen Tieflandbewohnern, deren Geschäfte wegen der gesperrten Straße gefährdet waren, und den Demonstranten zu verhindern. Wie der Chef der Nationalpolizei, Oscar Nina, erklärte, wurden dabei jedoch die 600 eingesetzten Polizisten aus dem Hinterhalt gezielt mit Schußwaffen angegriffen. Acht Polizisten, darunter der Polizeikommandant von La Paz und zwei weitere ranghohe Uniformierte, seien dabei lebensgefährlich verletzt worden. Bei anschließenden Durchsuchungen in Caranavi habe man eine große Menge an Munition und Dynamitstangen beschlagnahmt. Regierungsminister Sacha Llorenti beschuldigte deshalb am Sonntag im staatlichen Fernsehen eine »kleine Gruppe«, die Polizisten »mit militärischen Taktiken« angegriffen zu haben.

Evo Morales hat nun die führenden Vertreter der Bevölkerung von Caranavi für den heutigen Dienstag zu Gesprächen nach La Paz eingeladen, um gemeinsam nach Lösungen zu suchen.

* Aus: junge Welt, 11. Mai 2010


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