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Morales unter Druck

Die Reformprojekte der neuen bolivianischen Linksregierung stoßen auf Widerstand. Verstärkte Einmischung der USA

Von Timo Berger *

Evo Morales, der erste indigene Präsident Boliviens, erlebt zur Zeit die schwerste Phase seiner Regierung. Das Verhältnis zur rechten Opposition im Parlament war schon seit seinem Amtsantritt im Januar 2006 konfliktreich. Mit Argwohn verfolgen die traditionellen Parteien die Politik der Linksregierung, die mit dem Versprechen eines grundlegenden Wandels angetreten war. Doch zuletzt kam Kritik auch aus dem linken Lager. In verschiedenen Regionen initiierten Ureinwohner und Gewerkschafter Streiks und Straßensperren gegen die Energie- und Steuerpolitik der Regierung. Die sozialen Bewegungen, die anfangs als unverbrüchliche Verbündete der neuen Staatsführung aufgetreten sind, drängen immer stärker auf die Erfüllung ihrer Forderungen. Morales mußte mehr als eine Regierungsmaßnahme aufgrund des Drucks von der Straße zurücknehmen oder revidieren. Der bolivianische Präsident machte zuletzt zunehmend den Eindruck eines Getriebenen, der mehr reagiert als agiert, um die wöchentlich entstehenden Brandherde im Land notdürftig zu löschen.

Im Kongreß hat Morales’ »Bewegung zum Sozialismus« (MAS) seit Jahresanfang kein leichtes Spiel mehr. Die Opposition aus Poder Democrático y Social (Podemos), Unidad Nacional (UN) und dem Movimiento Nacional Revolucionario (MNR) hat sich in der neuen Sitzungsperiode zusammengeschlossen und von der MAS den Vorsitz des Senats übernommen. Außerdem blockierten ihre Vertreter sechs Monate lang den Nationalkonvent, der eine neue Verfassung (»Magna Carta«) für das Land ausarbeiten soll. Regierung und Opposition waren uneins über eine Verfahrensfrage: mit welcher Mehrheit – absoluter oder Zweidrittel – die neu verfaßten Verfassungsartikel angenommen werden sollen. Erst Anfang Februar konnte sich die MAS mit einem Teil der Opposition auf eine Kompromißformel einigen: Es gilt Zweidrittelmehrheit, strittige Artikel werden aber der Bevölkerung in einem Referendum vorgelegt. Jetzt kann die Arbeit in den Kommissionen endlich beginnen, in denen nun innerhalb von drei Monaten eine neue »Magna Carta« aufgesetzt werden soll.

Zum ersten Jahrestag seines Amtsantritts am 22. Januar präsentierte der erste indigene Präsident Boliviens noch eine stolze Bilanz seiner Regierung. Vor allem die Reorganisation des Energiesektors seit dem 1. Mai 2006, die er als »Nationalisierung« bezeichnet, aber auch eine ambitionierte Landreform, die unter anderem die »Vergesellschaftung« unproduktiver Nutzflächen und eine Mechanisierung der Landwirtschaft vorsieht, haben national und international viel Aufsehen erregt. Morales’ volksnaher Politikstil– als eine der ersten Maßnahmen ließ er sein Gehalt und das seines Kabinetts halbieren – und die Einbeziehung von Vertretern der bislang ausgeschlossenen indigenen Bevölkerungsmehrheit in die Regierungsmannschaft deuteten auf einen grundlegenden Wandel hin. So konnte sein Vizepräsident Álvaro García Linera als eine der größten Leistungen der bolivianischen Regierung die »Multikulturalisierung«,[1] der staatlichen Institutionen hervorheben: »Vom Chauffeur bis zum Präsidenten« treffe man jetzt auf Nachfahren von Europäern und Ureinwohnern.

Gute Wirtschaftsbilanz

Soldaten bewachen eine Raffinerie des brasilianischen Ölkonzerns Soldaten bewachen eine Raffinerie des brasilianischen Ölkonzerns Petrobras in Cochabamba (1.5.2006). Zuvor hatte die neue Linksregierung die Verstaatlichung der Rohstoffreserven des Landes verkündet Nicht nur kulturell, auch wirtschaftlich hat die MAS eine Wende eingeleitet: Vor allem die höheren Konzessionsabgaben auf die Gasförderung für multinationale Energiekonzerne haben im vergangenen Jahr 1261 Millionen US-Dollar, 653 Millionen mehr als 2005, in die Kassen des bolivianischen Fiskus gespült. Damit stieg die Staatsquote am Bruttoinlandsprodukt (BIP) von sieben bis acht Prozent auf 18 bis 19 Prozent. Zum ersten Mal seit 37 Jahren hat eine bolivianische Regierung im ersten Regierungsjahr einen Haushaltsüberschuß (von fünf Prozent) erwirtschaftet. Geld, das zum Teil in den sozia­len Sektor investiert wurde. Die Bauern, die mehr als vierzig Prozent der Bevölkerung stellen, haben am meisten von den Sozialplänen profitiert. Unter anderem führten 2000 kubanische Ärzte kostenfreie Operationen durch, es wurde alphabetisiert, Personalausweise wurden gratis ausgestellt und Traktoren an die ländliche Bevölkerung verteilt. Dennoch leben nach Zahlen des Nationalen Statistikinstituts immer noch Zweidrittel der 9,6 Millionen Bolivianer unterhalb der Armutsgrenze.

Die extreme Armut hat in dem Entwicklungsland schon immer für sozialen Sprengstoff gesorgt. Eine Woche nach den Feiern zum Jahrestag seines Amtsantritts kam es zu erneuten Protesten gegen Morales’ Politik. 250 Kilometer südöstlich von La Paz, in Camiri, einem ehemaligen Zentrum der Treibstoffindustrie, forderten Guaraní-Ureinwohner mit Straßensperren und einer fünfzehnstündigen Unterbrechung der Gasversorgung des Landes ihren Anteil am Energiegeschäft. Die Ureinwohner im Süden des Departments Santa Cruz fühlen sich gegenüber den beiden größten indigenen Volksgruppen, den Quechua und Aymara, benachteiligt und fordern regionale Autonomie für ihre Gebiete und mehr Mitsprache in der Energiepolitik. Schließlich befinden sich 80 Prozent der bolivianischen Gasreserven auf ihren angestammten Territorien im Gebiet des Chaco-Waldes an der Grenze zu Paraguay und Argentinien.

Kaum hatte die Regierung sich Anfang Februar zu Zugeständnissen gegenüber den Guaraní-Indianern bereit erklärt,[2] bliesen die in Kooperativen organisierten Bergarbeiter,[3] ehemalige Verbündete der MAS-Regierung, zum Marsch auf die Hauptstadt. Zehntausende von ihnen nahmen den Platz vor dem Regierungspalast ein und zündeten mehrere Ladungen Dynamit in der Innenstadt von La Paz. Evo Morales nahm die Einführung einer Steuer, gedacht, um die Einnahmen des Staates aus dem Erzabbau zu erhöhen, wieder zurück.

Regierung als Zugzwang

Das Projekt der MAS, die Regierung auf die außerparlamentarischen Bewegungen und Gewerkschaften zu stützen – also gleichzeitig durch den Kongreß und die Straße zu regieren – zeigt Risse. Zu unterschiedlich sind die Interessen der verschiedenen regionalen Gewerkschaftsdachverbände, der Ureinwohnerorganisationen, der Kokabauern, der verschiedenen Fraktionen der Minenarbeiter,[4] um sie dauerhaft auf das von Morales verfolgte »große Projekt des nationalen Wandels«,[5] einzuschwören. Auch zeigte seine Regierung in Camiri erstmals, daß sie bereit ist, Sicherheitskräfte gegen die sozialen Bewegungen einzusetzen. Nachdem die Indigenen zwei Gasabfüllanlagen besetzt hatten, ordnete die Staatsführung an, diese gewaltsam durch Armee und Polizei unter Einsatz von Tränengas zu räumen. Daß nun einige der Basisorganisationen auf Distanz zur Regierung gegangen sind, setzt diese unter Zugzwang. Statt weiter einen Masterplan für Bolivien auszuarbeiten, sieht sich Morales’ Kabinett gezwungen, auf die Protestierenden zuzugehen und partielle Abkommen mit den gemäßigteren Kräften zu schließen – Feuerwehraktionen zur Verhinderung eines Flächenbrandes.

Da hilft es wenig, daß Evo Morales morgens als erster kommt und abends als letzter geht. Die bolivianischen Medien zeichneten zum Jahrestag seiner Amtsübernahme das Bild eines unermüdlichen Präsidenten. Den Mitgliedern seines Kabinetts gegenüber soll er gescherzt haben: »Das Bett steht im Büro.« Mit tausend Vertretern sozialer Bewegungen hat sich Morales im ersten Amtsjahr getroffen. Seine Minister haben sich dagegen weniger profilieren können. Wenn es irgendwo brennt, wird immer wieder der Ruf nach dem Präsidenten laut. So wechselte Morales fast die Hälfte seiner Ministerinnen und Minister nach einem Amtsjahr wieder aus. Der Energieminister Andrés Solíz Rada, ein Hardliner im Kampf für die »Verstaatlichung« des Rohstoffsektors, trat schon früher zurück. Er war sich mit Vizepräsident Álvaro García Linera uneins über die Geschwindigkeit des Nationalisierungskurses. An Solíz Radas Abgang wurde deutlich, daß die MAS, seit sie in Regierungsverantwortung ist, stärker in Fraktionen zerfallen ist. Auf der einen Seite ein technokratischer Flügel, dominiert von den weißen Intellektuellen der Bewegung, der sich bemüht, einen pragmatischen Kurs zu verfolgen und internationale Investoren nicht zu verschrecken, auf der anderen Seite der ideologische Flügel aus den indigenen Bewegungen, der die Regierung immer wieder an die Erfüllung der »Agenda vom Oktober 2003« erinnert. Damals hatte die Bevölkerung auf den Straßen die »entschädigungslose Verstaatlichung« des Rohstoffsektors gefordert. 60 Menschen starben bei Protesten, die der damalige Präsident Gonzalo Sánchez de Lozada, der Architekt der »Privatisierungen« ehemaliger Staatsbetriebe in den 90er Jahren, gewaltsam niederschlagen ließ.

Schwierige »Verstaatlichung«

Bei den Mobilisierungen der Guaraní-Indigenen Anfang Februar in Camiri wurde der Ruf nach einer »wirklichen Verstaatlichung« der Rohstoffreserven laut. »Es wird keine Nationalisierung geben ohne Enteignungen. Die Regierung soll nicht den Fehler begehen, die Bevölkerung von etwas zu überzeugen, was nicht den Namen Nationalisierung verdient«, erklärte der Vizepräsident des Streikkomitees in Camiri.[6] Die Protestierenden warfen der Regierung vor, den in Bolivien operierenden internationalen Energiekonzernen zu große Zugeständnisse gemacht zu haben.

Ähnlich äußerten sich Exenergieminister Solíz Rada und das Studienzentrum für die Arbeits- und Agrarentwicklung (Cedla) gegenüber der bolivianischen Presse.[7] Laut dem Nationalisierungsdekret gehören die Reserven an fossilen Brennstoffen (deren Wert auf 200 Milliarden US-Dollar geschätzt wird) dem Staat. Solíz Rada kritisierte, daß sich Morales’ »Nationalisierung« bei genauerem Hinsehen als halbherziges Projekt entpuppe. Statt, wie ursprünglich im Dekret vorgesehen, »Verträge über die Erbringung einer Dienstleistung« aufzusetzen, habe man »Verträge über gemeinsame Produktion« abgeschlossen. Das werde in den Anhängen der 44 seit dem 1. Mai neu ausgehandelten Konzessionsverträge deutlich. Darin werden den Energiekonzernen bestimmte Gebiete zugesichert, in denen sie die exklusiven Explorations- und Schürfrechte für einen Zeitraum von dreißig Jahren erhalten. Sie übernehmen das geologische und das Marktrisiko und streichen die Erträge aus der Förderung ein.

Solíz Rada argumentiert, daß die neuen Verträge den alten, unter Sánchez de Lozada abgeschlossenen, sehr ähnlich seien. Die Energiekonzerne können sogar durch Bekanntmachung der Höhe ihrer Energiereserven an der Börse ihren Kurs positiv beeinflussen. Einen Schritt, den das brasilianische Unternehmen Petrobras bereits vollzogen hat, andere Unternehmen werden nachziehen. Solíz Rada forderte den Kongreß im Dezember auf, die Börsennotierung in den neuen Verträgen explizit zu verbieten. Doch das Parlament lehnte dies ab. Solíz Rada sieht deshalb die Nationalisierung »vollständig entkräftet«. Unterm Strich habe sich lediglich die Gewinnmarge für die multinationalen Konzerne verringert.

Die Protestierenden in Camiri wiesen auch auf andere Widersprüche im Prozeß der Nationalisierung hin. Während die großen Gasfelder nun der Kontrolle des Staates unterliegen, werden die kleineren immer noch von privaten Unternehmen ausgebeutet, die aus Teilen des während der Privatisierung zerschlagenen staatlichen bolivianischen Energiekonzerns Yacimientos Petroliferos Fiscales Bolivianos (YPFB) hervorgegangen sind. Auch sind die zwei größten Raffinerien des Landes noch immer im Besitz von Petrobras. Die Regierung hat mehrmals zugesichert, die privaten Investitionen zu respektieren und die Firmen nicht entschädigungslos zu enteignen; statt dessen will sie die Aktienmehrheit der privatisierten Unternehmen und der Raffinerien erlangen. Zwar wurden mittlerweile die im Besitz privater Rentenfonds (AFP) befindlichen Aktienpakete an YPFB zurückübertragen, doch für den Erwerb der restlichen Anteile fehlt dem Konzern im Augenblick schlichtweg das Geld.

Problematisch sind auch Investitionsklauseln in den neuen Verträgen. YPFB wird erst zum Partner der Mineralölkonzerne, wenn diese einen neuen Fund als »kommerzialisierbar« deklariert haben. Dann erstattet YPFB den Firmen einen Teil der Explorationskosten. Gewinn abschöpfen kann YPFB aber erst, wenn die Firmen ihre gesamten Investitionen amortisiert haben. Solíz Rada wirft den Unternehmen vor, ihre Investitionen auf dem Papier hochgeschrieben zu haben, um so keine Gewinnsteuern zahlen zu müssen. Die Divergenz zwischen deklarierten und tatsächlichen Investitionen soll mehr als 2,7 Milliarden US-Dollar betragen.

Auch in der Regierung Morales selbst gibt es unterschiedliche Ansichten zur »Nationalisierungsfrage«. Zweimal wurde der Chef des staatlichen YPFB deshalb bereits von der Regierung ausgewechselt. Zwischen dem derzeitigen Präsidenten Manuel Morales Olivera, einem Vertrauten von Evo Morales, und dem Energieminister Carlos Villegas kam es Anfang Februar zu einem heftigen Streit– an dessen Ende der Minister seinen Rücktritt einreichte. Der YPFB-Präsident hatte die notarielle Protokollierung der neuen Konzessionsverträge gestoppt mit dem Hinweis, YPFB habe »technische Probleme«, die Erfüllung der neuen Verträge durch die Energiekonzerne zu prüfen. Villegas beklagte, daß dadurch das Inkrafttreten der Verträge weiter verzögert werde. Auch äußerte er seinen Unmut über das Abkommen, das die Regierung mit den Guaraní-Indigenen in Camiri geschlossen hat und das vorsieht, eine Direktion des YPFB in dieser Stadt zu errichten. Evo Morales versuchte danach, die Wogen zu glätten und überredete Villegas, doch noch im Amt zu bleiben – zu wichtig ist ihm das Know-how des Ministers, der zuletzt die Verhandlungen mit der brasilianischen Petrobras über die von Bolivien geforderte Erhöhung der Gasexportpreise anführte.

Spaltungstendenzen

Auch aus den nach Unabhängigkeit strebenden Landesteilen hat sich der Druck auf Morales erhöht. Der sogenannte Halbmond, bestehend aus den Departments Pando, Beni, Tarija und Santa Cruz, bekam im Dezember vergangenen Jahres überraschend Unterstützung durch die Präfekten [8] von La Paz und Cochabamba, die sich der von Santa Cruz aus gesteuerten Opposition anschlossen. Die Mehrheit der Präfekten (sechs von neun) ist somit für die Autonomie, das labile Gleichgewicht zwischen den Landesteilen hat sich zugunsten der Opposition verschoben. Der Präfekt von Cochabamba, Manfred Reyes Villas, kündigte sogar an, ein Autonomiereferendum durchführen zu wollen– obwohl sich die Bevölkerung des Departments 2004 in einer landesweiten Befragung gegen die Autonomie ausgesprochen hatte. Regierungsanhänger demonstrierten daraufhin im Januar gegen die Pläne des Präfekten. Ihre Forderung nach seinem Rücktritt hatte aber keinen Erfolg, weil sich die Regierung schließlich vor Reyes Villa stellte, nicht zuletzt, um die von ihm genährten Vorwürfe, Morales verfolge einen »autokratischen Regierungsstil«, zu entkräften. »Demokratisch gewählte Vertreter sind zu respektieren«, lautete es zur Begründung lapidar aus Regierungskreisen. Inzwischen versucht die bolivianische Führung auf anderem Wege, den unliebsamen Präfekten loszuwerden: Ein neues Gesetz soll wie in Venezuela eine Amtsenthebung durch Volksentscheid ermöglichen.

Unterdessen hat sich das Bündnis von Präfekten, rechten Parteien und den traditionellen wirtschaftlichen Eliten im Ostteil des Landes gut eingespielt. Gemeinsam mit sogenannten Bürgerkomitees, in denen sich die politischen und wirtschaftlichen Eliten organisieren, torpedieren sie die Politik der Regierung und gehen gegen deren Anhänger vor. Dabei schrecken sie auch vor dem Einsatz von Gewalt nicht zurück: Zuletzt schickten sie in Cochabamba bezahlte Schlägertrupps gegen die Demonstranten, die den Rücktritt des Präfekten forderten.

Bei regelmäßigen Treffen stimmen die Präfekten ihr gemeinsames Vorgehen ab. Dabei ist auch Philip Goldberg, der neue US-amerikanische Botschafter in Bolivien, öfter anwesend. Goldberg ist kein Unbekannter. Von 1994 bis 1996 war er in der US-Botschaft in Jugoslawien »Spezieller Assistent« des damaligen Botschafters Richard Holbrooke. Später dirigierte Goldberg die US-Mission in Pristina/Kosovo und unterstützte auch aktiv die Abtrennung Montenegros von Serbien. Der Journalist Leopoldo Vegas machte bereits am 13. Juli 2006 in einem Bericht in der Zeitung El Deber aus Santa Cruz auf dessen künftige Rolle aufmerksam: »Drei Politologen, die zu der Entscheidung des Weißen Hauses (Goldberg nach Bolivien zu schicken) befragt wurden, sind der Meinung, daß die Erfahrung, die Goldberg in Osteuropa gesammelt hat, wo es zu ethnischen Konflikten nach der Teilung Jugoslawiens gekommen ist, in Bolivien genutzt werden kann, falls die aktuelle Regierung auf ihrem Programm des Wandels besteht.«

Droht Bolivien jetzt eine Balkanisierung? Pläne für die Ausrufung einer »República Santa Cruz« gibt es schon länger. Die vier abtrünnigen Departments umfassen 685095 Quadratkilometer, mehr als die Hälfte des bolivianischen Staatsgebietes. Sie bilden ein wirtschaftlich überlebensfähiges Gebilde: In Tarija befinden sich die nach Venezuela zweitgrößten Gasvorkommen Südamerikas, in Santa Cruz die fruchtbarsten Ackerflächen. Zusammen erwirtschaften die vier Departments 43 Prozent des BIP und ziehen mehr als die Hälfte der ausländischen Investitionen an. Ihre Stärke schöpfen die Eliten in Santa Cruz nicht zuletzt aus ihrer ethnischen Identitität. Anders als im Rest Boliviens ist dort der Anteil der weißen Bevölkerung besonders hoch.

Die MAS-Regierung hat es bislang versäumt, ein Autonomiemodell vorzulegen, wie García Linera zum Jahrestag einräumen mußte. Die Regierung von Evo Morales steht deshalb im zweiten Regierungsjahr vor der großen Herausforderung, einen Ausgleich zwischen den marginalisierten Bevölkerungsteilen im Andenhochland und den nach Autonomie strebenden Provinzen im Osten des Landes zu schaffen. Ohne Zugeständnisse nach beiden Seiten, d.h. ein moderates Autonomiemodell auf kommunaler, bezirklicher und regionaler Ebene, das den Departments eine Selbstverwaltung einräumt und gleichzeitig den Präfekten klare Kompetenzen und Aufgaben zuweist, sowie Entwicklungsfonds für die ärmsten Landesteile wird Morales weder seine Regierung fortsetzen noch die Spaltung Boliviens aufhalten können. Für den Wirtschaftswissenschaftler Marcelo Arandia vom Zentrum für Forschung und Promotion der Campesinos (CIPCA Cordillera) besteht die einzige Möglichkeit, eine weitere Konfrontation zu verhindern, darin, »in den Regionen Entwicklungsansätze zu fördern und zu stärken«. Um die Hegemonie der reichen Landesteile auszugleichen, müsse man den bolivianischen Chaco, den nördlichen Amazonas und den Norden Potosís industriell entwickeln. Durch die Stärkung dieser Mittelachse könnte es gelingen, den Gegensatz zwischen armem Westen und reichem Osten aufzubrechen.

Fußnoten
  1. Siehe Prensa Latina »García Linera: El neoliberalismo agoniza« v. 24.1.2007 (auf URL www.rebelion.org)
  2. So soll u.a. die Abteilung für Exploration und Ausbeutung« des Energiekonzerns YPFB ausgegliedert werden und künftig in Camiri operieren. Auch wird ein regionaler Entwicklungsfonds eingerichtet
  3. Der bolivianische Staat gab im Zuge der Privatisierungen Minen auf. Dort entstanden Kooperativen ehemaliger Minenarbeiter, die inzwischen teilweise zu sehr rentablen Unternehmen geworden sind
  4. Im Oktober 2006 kam es bei Zusammenstößen zwischen den in Kooperativen organisierten und den staatliche angestellten Minenarbeitern in Huanuni zu zehn Toten
  5. Siehe La Razón, »Mineros vuelven a aliarse con Evo y se van victoriosos«, La Paz, 8.2.2007
  6. José Pepino, »Bolivia: en medio de las tensiones ¿nuevaoposición?«, in: Tribuna Boliviana, Resumen nº 745. Yahoo-Newsgroup
  7. Siehe: Luis Oviedo, »Cómo los pulpos impusieron su propia ›nacionalización‹« (auf URL www.rebelion.org, 31.12.2006)
  8. Die Präfekten werden seit Dezember 2005 direkt von den Einwohnern des jeweiligen Departments gewählt. Zuvor wurden sie vom Präsidenten bestimmt
* Aus: junge Welt, 23. Februar 2007


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