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Drogenhandel macht Evo Morales Sorgen

Barack Obama setzt Bolivien auf schwarze Liste; legale Kokaproduktion gerät ins Hintertreffen

Von Gerhard Dilger, La Paz *

Bei US-Präsident Barack Obama steht Bolivien zusammen mit Venezuela und Myanmar auf der schwarzen Liste. Der Vorwurt: Versagen im Kampf gegen den Drogenhandel. Bolivien wehrt sich aus guten Gründen.

Vor dem Kokagroßmarkt von Villa Fátima stemmen zwei Männer weiße 23-Kilo-Säcke auf einen kleinen Lkw. »Alles unter Kontrolle«, sagt Jessi Gómez vom Inspektorenteam des Vizeministeriums für Koka. Sie stellt die Dokumente für die Kokaladungen aus, die legal in alle Teile Boliviens gehen, bis zu 1000 Säcke am Tag. Die kleinen, dunkelgrünen Blätter, die im Außenbezirk von La Paz umgeschlagen werden, stammen aus den Yungas, dem traditionellen Anbaugebiet einige Autostunden nördlich.

Doch der traditionelle, legale Kokaanbau, der auf 12 000 Hektar stattfindet, macht einen immer geringeren Teil der Gesamtproduktion aus. Nach Zahlen des UN-Drogenbüros wurde 2008 schon auf 30 500 Hektar Koka angebaut. Die Kokainproduktion schätzten die UN-Experten auf 113 Tonnen -- in Peru hingegen auf 302 Tonnen und in Kolumbien auf 430 Tonnen.

Die USA-Regierung hat andere Kriterien: Jahr für Jahr stellt Washington Zeugnisse für die Produktions- und Transitländer harter Drogen aus. In einer Pressemitteilung des Weißen Hauses vom Freitag vergangener Woche werden 20 Staaten von Afghanistan bis Venezuela aufgelistet. Nur drei davon haben laut Präsident Barack Obama »nachweislich versagt«: Bolivien, Venezuela und Myanmar (Burma). Die USA wollen aber auf Sanktionen gegen die beiden südamerikanischen Länder verzichten und Programme zugunsten der Bevölkerung fortsetzen. Damit stellte Obama dieselben Regierungen an den Pranger wie vor einem Jahr sein Amtsvorgänger George W. Bush.

Der bolivianische Staatschef reagierte verschnupft. Für die USA sei die Antidrogenpolitik »ein Instrument der geopolitischen Kontrolle«. Und räumte ein: »Solange es einen Markt für Kokain gibt, können wir den Kokaanbau so viel verringern, wie wir wollen -- ein Teil wird immer umgeleitet werden, das ist unsere Realität.« Gegenüber Washington besteht er auf dem Prinzip der »geteilten Verantwortung«: Die USA hätten dabei versagt, die Nachfrage nach Kokain zu reduzieren.

»Der Drogenhandel wird zur größten Bedrohung unseres politischen Prozesses«, meint Javier Hurtado, der bis Mitte vergangenen Jahres Produktionsminister der Morales-Regierung war, »jetzt läuft das aus dem Ruder.« Natürlich liege die größte Verantwortung bei den USA, doch der Präsident habe das Thema unterschätzt. Seit Morales' Regierungsantritt Anfang 2006 bis zu ihrer Ausweisung im November 2008 hätten die Funktionäre der US-Drogenbehörde DEA die Kontrollen an den Zufahrten in die Anbaugebiete praktisch eingestellt: »Das war eine Falle, damit sie Morales anklagen können.«

»Das Tragische dabei ist: Die Kokabauernbewegung, also die eigene Basis des Präsidenten, droht in den kriminellen Bereich abzurutschen, die Verbindungen zu den Drogenhändlern werden immer offensichtlicher«, analysiert Hurtado. Viele Bauern aus den Yungas brächten ihre Ernte nach Santa Cruz in Ostbolivien und übergäben sie dort »in aller Öffentlichkeit« an die Handlanger der Mafia.

Im Gegensatz zum Anbaugebiet Chapare, wo Morales in den 80er Jahren seine politische Karriere als Kokabauern-Gewerkschafter begonnen hatte, habe seine Partei die Produzenten in den Yungas nicht im Griff: »Jetzt werden Zitrusplantagen und ganze Wälder gefällt -- die jahrhundertelange ökologische Landwirtschaft weicht einer Monokultur mit massivem Einsatz von Pflanzengiften.«

Als Chef von Irupana, Boliviens größter Bioladenkette, zieht Hurtado ein ernüchterndes Zwischenfazit über die Versuche der Regierung, die Verarbeitung legaler Kokaprodukte voranzutreiben: »Das Vorhaben scheitert bislang an den fehlenden Märkten.« Ungebrochen sei hingegen die Nachfrage nach der höchst lukrativen Droge Kokain. Hurtado warnt: »Wenn das so weitergeht, bekommen wir mexikanische Verhältnisse, mit Drogenbanden, die sich gegenseitig bekämpfen.«

* Aus: Neues Deutschland, 23. September 2009


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