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Morales in Not

In Bolivien wird das Brot teuer. Opposition sieht Inkompetenz der Regierung und schürt Angst vor Hyperinflation

Von Benjamin Beutler, Cochabamba *

Bolivien bekommt die weltweite Verteuerung der Nahrungsmittel zu spüren. Das in Lateinamerika nach Haiti zweitärmste Land kann seine gut neun Millionen Einwohner aus eigener Produktion nicht ausreichend versorgen. Deshalb muß es 70 Prozent seines Weizenbedarfs durch Importe aus dem Nachbarland Argentinien decken. Gestiegene Weizenpreise verteuerten diese Woche das Brot von bisher 0,40 Bolivianos (0,03 Euro) auf 0,60 Bolivianos (0,05 Euro) – für viele Bewohner ein harter Schlag.

Politische Interessen

In Cochabamba, der drittgrößten Stadt des Landes, traten die lokalen Bäcker in einen zweitägigen Streik, um gegen die hohen Produktionskosten für Brot zu protestieren. Von der Zentralregierung in La Paz verlangten sie mehr Subventionen. Alex Orozco, Präsident der Nachbarschaftsvereinigung FEDJUVE, einer Bürgerorganisation, die sich vor Jahren im Kampf um soziale Rechte gebildet hatte und auch die versuchte Wasserprivatisierung im Lande vereiteln konnte, vermutet hinter den Forderungen der Bäckervereinigung nicht nur wirtschaftliche, sondern auch politische Interessen. Zudem seien Spekulanten am Werk. »Die Regierung muß angemessene Maßnahmen ergreifen, um die Bevölkerung zu schützen«, forderte der Bürgervertreter.

Diese, bereits durch die andauernd neu ausbrechende Konflikte um die Erzminen des Landes unter Druck, reagierte hektisch. Sie ließ zusätzlich argentinischen Weizen aufkaufen, der beim Eintreffen an alle Bäckerinnungen landesweit verteilt werden wird. Die Brotpreise sollen unbedingt stabilisiert werden. Von der Opposition geschürte Hungerrevolten sind das Letzte, was die Bewegung zum Sozialismus (MAS) und Präsident Evo Morales derzeit brauchen können. Ihre Gegner verweisen genüßlich auf deren vermeintliche Inkompetenz in Wirtschaftsfragen und haben eine Medienkampagne inszeniert, dies zu verdeutlichen.

So zeigen neueste Zahlen der Zentralbank Boliviens einen leichten Anstieg der nationalen Inflation. Statt der angestrebte Rate von 3,7 Prozent werde die Teuerung bis Ende dieses Jahres aller Voraussicht nach die Sechs-Prozent-Marke erreichen. Der Präfekt des ostbolivianischen Departaments Santa Cruz de la Sierra, Rubén Costas, sowie der Chef der oppositionellen Partei Nationale Einheit (UN), Samuel Doria Medina, machen zugeflossene Gelder aus dem Drogenhandel dafür verantwortlich. Damit greifen sie den Staatspräsidenten erneut von dieser Seite an. Morales, der zugleich Gewerkschaftsführer der Cocaleros, der Coca-Anbauer ist, trage angeblich die Schuld an den Mehrausgaben der einfachen bolivianischen Familien. So sei die registrierte Zunahme der Geldmenge im Lande, die sich seit 2003 mehr als verdoppelt habe, auf den Kokainhandel zurückzuführen. Morales hatte den Anbau der Coca-Pflanze aus traditionellen Erwägungen legalisiert. Jetzt stellen ihn seine Gegner praktisch in die Nähe von Drogenhändlern und lassen das in den privaten Medien verbreiten. Viele Konsumenten gehen diesen »Argumenten« auf den Leim. Bürger verändern ihr Kaufverhalten, denn noch sitzen die Ängste vor einen Hyperinflation tief in Teilen der Bevölkerung. Eine solche Geldentwertung grassierte in den 80er Jahren. Damals lag die Teuerungsrate zeitweilig bei 21000 Prozent.

Importierte Inflation

Zentralbankchef Eduardo Pardo benannte Anfang der Woche andere Faktoren für die zugespitzte Situation. »Das Klimaphänomen El Niño, die sozialen Konflikte und die Aufwertung regionaler südamerikanischer Währungen« hätten direkten Einfluß aus das Wirtschaftsleben in Bolivien. Das Land sei Zeuge einer »importierten Inflation«, so Prado in der Presse. Denn auch die aktuelle Abwertung des US-Dollars gegenüber wichtigen globalen Konkurrenzwährungen trifft ganz Südamerika. Die meisten Staaten des Kontinents haben ihre Währungen an den US-Dollar gebunden.

Nicht zu vergessen ist der »Tortilla-Effekt«. Ende März hatte Kubas Präsident Fidel Castro vor der »verhängnisvollen Idee, aus Nahrungsmitteln Triebstoff herzustellen«, gewarnt: Wenn die weltweite Landwirtschaft ihre Produktion auf die Herstellung von Äthanol und anderen Treibstoffen als Ölersatz umstellt, würde es vor allem in den ärmeren Ländern zu Nahrungsmittelknappheit kommen.

In Mexiko hatte diese Entwicklung Ende 2006 bereits zur »Tortilla-Krise«, einer drastischen Vetreuerung des Grundnahrungsmittels Mais geführt. Evo Morales hat inzwischen seinen Widerstand gegen US-Pläne, fossile Treibstoffe durch Biodiesel zu ersetzen, verdeutlicht. Man werde in Bolivien den Anbau von Weizen und anderen Produkten zur Nahrungsmittelherstellung intensivieren, so der Präsident.

* Aus: junge Welt, 20. Juli 2007


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