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Die Blockade brechen

Nach Sieg der Regierung von Evo Morales beim Referendum: Soziale Bewegungen in Bolivien fordern entschiedenes Vorgehen gegen Opposition

Von Benjamin Beutler *

In Anbetracht der anhaltenden Blockade konservativer Oppositionsgruppen gegen die bolivianische Staatsführung gehen Sympathisanten der regierenden Bewegung zum Sozialismus (MAS) zur Gegenoffensive über. Sie drängten Präsident Evo Morales am Wochenende auf, politische Projekte verstärkt mit Präsidialdekreten durchzusetzen. Das forderte eine am Wochenende gegründete Nationale Koordination für den Wandel (CONALCAM). Sie besteht aus den wichtigsten sozialen Bewegungen und Gewerkschaften des südamerikanischen Landes.

Die sozialen Gruppen berufen sich auf den Erfolg der Regierung beim Referendum am 10. August. Dabei hatten sich knapp zwei Drittel der Teilnehmer für die sozialistische Staatsführung ausgesprochen. Dieses Ergebnis legitimiert Morales nach Ansicht der CONALCAM, per Dekret ein weiteres Referendum über das im Dezember 2007 vom Verfassungskonvent erarbeitete neue Grundgesetz anzusetzen. Bei der »Neugründung Boliviens«, die vor allem die Rechte der indigenen Bevölkerungsmehrheit und die Rolle des Staates zu stärken sucht, werde man »den intelligentesten, vorsichtigsten, aber dennoch schnellsten Weg wählen«, erwiderte MAS-Kabinettchef Juan Ramón Quinatana dem Bündnis, das sich selbst als »regierungsfreundlich« bezeichnet. An dem Treffen der CONALCAM im zentralbolivianischen Cochabamba nahmen deswegen auch Präsident Morales und mehrere Kabinettsmitglieder wie der Minister für soziale Bewegungen und Zivilgesellschaft, Sacha Llorenti, teil. Es gäbe »nichts demokratischeres, als nationale Entscheidungen dem Volkssouverän zu überlassen«, pflichtete Llorenti der Forderung nach einem erneuten Referendum bei.

Die Bildung der CONALCAM, deren Abkürzung an den Zusammenschluß oppositioneller Präfekten CONALDE (Nationaler Demokratischer Rat) erinnert, ist zugleich eine Reaktion auf die Verschärfung des Widerstandes gegen die MAS-Politik nach dem Referendum von 10. August. Angesichts zunehmender Sabotage der Opposition -- Straßenblockaden, künstliche Verknappung von Lebensmitteln oder Besetzung staatlicher Behörden --werden auch auf der Gegenseite Stimmen lauter, die ein hartes Durchgreifen einfordern. Im Visier der MAS-Sympathisanten steht vor allem der rechte Präfekt Rubén Costas aus dem Departement Santa Cruz. Dieser hatte Morales wiederholt als »Kriminellen« und »Mörder« beschimpft.

Obgleich die Opposition Morales als »Diktator« zu diffamieren versucht, hält die MAS an der Rechtsstaatlichkeit fest. So gab Wirtschaftsminister Luis Alberto Arce zu Wochenbeginn bekannt, daß Präfekturen und kommunale Verwaltungen mit einer Kürzung des Etats rechnen müssen, wenn sie gegen staatliche Einrichtungen vorgehen. Damit begegnete die Regierung der Drohung rechter Aktivisten, man werde Förderanlagen für Erdgas und Pipelines besetzen. Zusätzlich zu der Sanktionsdrohung wurden von La Paz Soldaten in den bedrohten Anlagen postiert.

Die MAS-Politik des gesellschaftlichen Wandels findet inzwischen nicht nur im Hochland Zustimmung. Weil Morales auch in den vermeintlichen Hochburgen der Regierungsgegner, in den östlichen Departements Beni und Santa Cruz, 40 Prozent der Wähler für sein politisches Projekt gewinnen konnte, und in der Region Tarija fast die Hälfte, ist die Position von Präfekt Costas und dem rechtsradikalen Vorsitzenden des »Bürgerkomitee Pro Santa Cruz«, Branko Marinkovich, deutlich geschwächt. Nun wurde bekannt, daß sich Costas am Montag mit dem US-Botschafter Philip Goldberg traf. Der Washingtoner Diplomat war zu Beginn der Balkankriege in Bosnien tätig und bringt von damals Erfahrungen mit, die der Opposition nützlich sein könnten.

* Aus: junge Welt, 28. August 2008


»Präsident Morales war und ist immer zum Dialog bereit«

Bolivianischer Parlamentsabgeordneter sieht die Opposition auf dem Rückzug. US-Botschafter wechselt Strategie. Ein Interview mit Gerardo García **

Herr Garcia, am 10. August ist die Regierung von Präsident Evo Morales in Bolivien in einem Referendum deutlich bestätigt worden. Ein großer Teil der Opposition setzt trotzdem weiter auf eine Blockadepolitik; in den vergangenen Tagen kam es immer wieder zu Protest- und Blockadeaktionen. Hat die Volksabstimmung überhaupt Sinn gehabt?

Auf jeden Fall. Vor allem in dem Departement Santa Cruz sind die Oppositionsparteien und die übrigen regierungsfeindlichen Gruppierungen deutlich geschwächt. Immerhin haben bei dem Referendum mehr als 67 Prozent für unseren Präsidenten Evo Morales gestimmt. Das zeigt deutlich, wie erfolglos die Opposition ist.

Trotzdem bleibt sie auf Konfrontationskurs ...

... aber auch das ist ein Ausdruck ihrer Machtlosigkeit. Zuletzt haben Gruppen um das sogenannte Bürgerkomitee Santa Cruz, ein rechtes Sammelbecken, damit gedroht, Regierungsgebäude zu stürmen. Wir setzen da auf Zeit, denn die Bevölkerung merkt, daß es diesen Leuten nur darum geht, ihre wirtschaftlichen Privilegien zu schützen. Und natürlich geht das zu Lasten der übrigen Bevölkerung.

Mitte der Woche hat Präsident Morales seinen Kontrahenten zum wiederholten Mal einen Dialog angeboten. Was aber machen Sie, wenn die Opposition auf solche Offerten weiterhin nicht eingeht?

Natürlich sind das Spielchen der Opposition. Präsident Morales hat dieses Angebot ja nicht das erste Mal gemacht. Er war immer bereit, einen politischen Dialog zu führen. Er hat sich sogar bereit erklärt, die Autonomieforderungen der oppositionell regierten Regionen auf die Agenda zu setzen, obwohl sie von einigen Familien der Oligarchie erhoben werden. Die Rechte ist auf dieses Gesprächsangebot nie eingegangen, denn diesen Leuten geht es am Ende nur um eines: Sie wollen ihre Privilegien und ihre Pfründe sichern.

Wie kann dieser Streit also beigelegt werden?

Ich glaube, daß die oppositionellen Gruppen und Parteien ihre Blockade nicht ewig aufrechterhalten können. Unsere Regierung wird weiter die Bereitschaft zeigen, mit ihren politischen Gegnern zu verhandeln.

Sie haben das Departement Santa Cruz erwähnt. In der europäischen Presse ist immer wieder zu lesen, daß diese und weitere Regionen im Osten des Landes gegen die Regierung der MAS und daß das Land deswegen gespalten sei. Teilen Sie diese Einschätzung?

Nein, das ist eine Fehldarstellung. In den östlichen Departements Tarija, Pando und Beni haben die Menschen am 10. August keineswegs gegen den Präsidenten gestimmt, sondern es gab einen Gleichstand. Auf Evo Morales entfielen dort im Schnitt knapp 50 Prozent der Stimmen. Und selbst in Santa Cruz, das von einer aggressiven Opposition beherrscht wird, stimmten gut 40 Prozent für den Präsidenten. Das ist beachtlich, weil sich dort bei den letzten regulären Wahlen nur rund 20 Prozent für Evo Morales aussprachen. Das bedeutet, daß der politische Wandel auch in den angeblich oppositionellen Departements begonnen hat. Deswegen nehmen die politischen Auseinandersetzungen in diesen Regionen auch zu.

In Santa Cruz hat ja vor allem die »Jugendunion« – eine rechtsgerichtete Organisation – mit gewalttätigen Übergriffen von sich reden gemacht. Wie können sich soziale Organisationen in einem solchen Umfeld entwickeln?

Das ist manchmal nicht einfach. Doch zum einen organisieren sich die indigenen Gruppen, deren Mitglieder von Großgrundbesitzern oft noch ausgebeutet werden wie zu kolonialen Zeiten. Zum anderen schließen sich die Bewohner der Armenviertel in den Hauptstädten der Departements zusammen, um ihrerseits Widerstand gegen die harte Linie der regierenden Opposition zu leisten.

Der rechtsgerichtete Präfekt von Santa Cruz hat sich unlängst mit dem US-Botschafter Philip Goldberg getroffen. Welche Rolle spielt Washington?

Die USA haben uns stets wegen des Anbaus von Koka angegriffen. Nun haben sie ihre Strategie geändert und sind offen dazu übergegangen, die Opposition in Santa Cruz, Tarija und anderen Regionen zu unterstützen. Die Sorge nach dem Sieg und der Stärkung der Regierung beim Referendum ist ihnen deutlich anzumerken. Eine Strategie dagegen haben sie aber offensichtlich nicht.

** Gerardo García ist Abgeordneter der bolivianischen Regierungspartei Bewegung zum Sozialismus (MAS)

Interview: Harald Neuber

Aus: junge Welt, 29. August 2008


Neues Referendum in Bolivien

Am 7. Dezember will die Regierung über eine neue Verfassung abstimmen lassen

Von Harald Neuber ***

In Bolivien wird am 7. Dezember über eine neue Verfassung entschieden. Präsident Evo Morales hat das Referendum am Donnerstag nachmittag (Ortszeit) per Dekret angesetzt, nachdem die Opposition das Vorhaben im Parlament blockiert hatte. Die neue Konstitution soll der indigenen Bevölkerungsmehrheit mehr Rechte garantieren und die natürlichen Reichtümer des Andenstaates gerechter verteilen. Dagegen läuft die Oberschicht Sturm. Der Vorstoß des indigenen Staatschefs für eine Volksabstimmung über die neue Verfassung folgt nun wenige Tage nach einem Mißtrauensreferendum, aus dem die Regierung am 10. August deutlich gestärkt hervorgegangen ist. Für Morales und seine Bewegung zum Sozialismus (MAS) hatten sich bei dem Plebiszit 67,41 Prozent der Teilnehmer ausgesprochen – gut 13 Prozentpunkte mehr als bei der Wahl Ende 2005.

Nach dem Erfolg beim Referendum versucht die MAS-Führung in der Auseinandersetzung mit der rechtsgerichteten Opposition nun die Pattsituation zu durchbrechen. Das ist dringend notwendig, weil die Regierungsgewalt in den oppositionell dominierten Teilen des Landes inzwischen kaum mehr ausgeübt werden kann. Anfang des Monats wurde dem Staatschef sogar der Zugang nach Sucre verwehrt. Am Mittwoch mußte Morales Hubschrauber auf brasilianischem Territorium notlanden, nachdem ihm von Regierungsgegnern der Anflug verwehrt wurde und der Treibstoff ausging.

Mit dem Referendum Anfang Dezember will die Regierung die Machtverhältnisse klären. Neben der neuen Verfassung soll auch über die Obergrenze für Landbesitz abgestimmt und die Präfekten sowie weitere Lokalpolitiker neu gewählt werden. Am Donnerstag beriet die MAS-Regierung das Vorgehen mit sozialen Bewegungen. Bei dem Treffen im Huajchilla-Tal südlich von La Paz nahmen mehrere Gewerkschaften, Bauern- und Indigenenverbände teil. Sie hatten sich unlängst in einer »Nationalen Koordination für den Wandel« zusammengeschlossen. Dieses Bündnis hatte vehement ein Referendum über die neue Verfassung eingefordert.

Die Opposition kündigte an, die Abstimmung zu sabotieren. Sollte die MAS-Regierung das »illegale Referendum« in den fünf oppositionell regierten Departements Santa Cruz, Beni, Pando, Tarija und Chuquisaca ausrichten, »werden wir dies zu verhindern wissen«, sagte der Präfekt von Tarija, Mario Cossío, am Donnerstag gegenüber bolivianischen Medien.

*** Aus: junge Welt, 29. August 2008


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