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Mehr Bürgernähe

Boliviens Präsident Morales will Zusammenarbeit mit sozialen Bewegungen verbessern. Kritik an Medien

Von Benjamin Beutler, Santa Cruz de la Sierra *

Evo Morales hat eine neue Offensive für mehr Bürgernähe gestartet. Am Montag und Dienstag besuchte er Gemeinden in Ostbolivien und traf sich mit Bürgermeistern und Vertretern von sozialen Bewegungen, um deren Anliegen anzuhören. Der bolivianische Präsident hat den zuletzt von einem schweren Hochwasser betroffenen Regionen insgesamt 5,2 Millionen US-Dollar für den Ausbau der Infrastruktur zugesagt. Morales ließ es sich nicht nehmen, einen Teil der Hilfsgelder, die aus der Entwicklungszusammenarbeit mit Venezuela stammen, selbst vor Ort zu verteilen.

Zuvor war die Regierung Morales am Osterwochenende in Klausur gegangen, um ihre 14 Monate währende Amtszeit zu analysieren. Wichtigstes Ergebnis dieser Zusammenkunft, an der neben Morales und seinem Stellvertreter Álvaro García Lineras sämtliche 16 Minister teilnahmen, war die Erkenntnis, es habe bisher an einer ausreichenden Kommunikation zwischen der Staatsführung und anderen gesellschaftlichen Sektoren des Landes gefehlt. Morales räumte diesen Mangel ein und vertrat die Ansicht, die staatliche Exekutive sei nicht nur dazu da, um Dekrete zu erlassen. Es bestünde vor allem die Verpflichtung, die Zusammenarbeit mit den sozialen Bewegungen langfristig zu verbessern. Derart wolle die Bewegung zum Sozialismus (MAS) »den Prozeß des Wandels beschleunigen und vertiefen«, so der Präsident. Zudem müsse »die politische und ideologische Debatte« im Lande breiter geführt werden: »In den Ministerien, zwischen Ministern und Vizeministern sowie den nationalen und regionalen Institutionen soll die Zusammenarbeit ausgedehnt werden«. Ergänzend angedacht ist die Einrichtung dezentraler Kabinette unter Anwesenheit der Minister und ihrer Stellvertreter, um regionale Anliegen direkt vor Ort einzuholen. Dies betrifft vor allem die abgelegenen ländlichen Gebiete.

Ein weiterer zentraler Punkt des Treffens bezog sich auf die anhaltende Korruption und Bedienungsmentalität im Regierungs- und Verwaltungsapparat. Jüngst aufgedeckte Fälle von Amtsmißbrauch hatten zur Entlassung aller Beteiligten aus ihren politischen Posten geführt. So verkauften MAS-Funktionäre Empfehlungsschreiben für 1000 Dollar an Dritte, und der Minister für Minen und Metallurgie, Guillermo Dalence, ging ohne Auftrag der Regierung auf Dienstreise. Ereignisse wie diese veranlaßten Morales zur Ausrufung einer notwendigen »moralischen Revolution«, denn noch immer sei die Korruption tief in der bolivianischen Gesellschaft verankert und verursachte immensen wirtschaftlichen und mentalen Schaden.

Gleichzeitig appellierte Morales an die eigenen Reihen. Es müsse der Regierungspartei erfolgreicher als bisher gelingen, Erreichtes besser der Öffentlichkeit zu präsentieren. Da sich die Massenmedien in der Mehrheit unter der Kontrolle oppositioneller Kreise befinden, richtete sich Morales auf der Pressekonferenz am Ende der Klausur direkt an die anwesende Presse: »Wir werden ehrliche Kritik ertragen, nicht aber eine Kritik der Lügen.« Er glaube, 90 Prozent der Journalisten würden insgeheim mit der Politik des MAS sympathisieren, Druck der Verleger zwinge sie jedoch die Unwahrheit zu publizieren.

Die Opposition warf Morales hingegen vor, sich im »permanenten Wahlkampf« zu befinden. Dieser hatte seine Kandidatur für die vorgezogenen Wahlen 2008 angekündigt, die im Anschluß an die Verabschiedung der neuen Verfassung vorgesehen sind.

* Aus: junge Welt, 11. April 2007


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