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Lateinamerikas Staatschefs stehen hinter Evo Morales

Union der Südamerikanischen Nationen vermittelt in Bolivien

Von Benjamin Beutler *

Auf seinem Bolivien-Krisengipfel hat der südamerikanische Staatenbund Unasur dem linksgerichteten Präsidenten Evo Morales den Rücken gestärkt und ihn zugleich zum Dialog mit der rechten Opposition angehalten.

Die Krise in Bolivien beschäftigte am Montag (15. September) den ganzen Kontinent. Angesichts der letzten Gewaltwelle durch regierungsfeindliche Paramilitärs und verschärfter Proteste der konservativen Opposition erklärte sich die Union der Südamerikanischen Nationen (Unasur) in einer Erklärung solidarisch mit Boliviens Präsident Evo Morales. Die Unasur-Staatschefs hatten sich zu einer außerordentlichen Sitzung versammelt: Cristina Fernández de Kirchner (Argentinien), Luiz Inácio »Lula« da Silva (Brasilien), Michelle Bachelet (Chile), Álvaro Uribe (Kolumbien), Rafael Correa (Ecuador), Fernando Lugo (Paraguay), Tabaré Vázquez (Uruguay), Hugo Chávez (Venezuela) sowie Evo Morales. Im Präsidentenpalast von Santiago de Chile ließen sie in der »Erklärung von La Moneda« verlautbaren, dass sie »energisch« jeden Versuch eines »zivilen Staatsstreichs« ablehnen würden, der die »territoriale Integrität der Republik Bolivien« gefährde.

Der verfassungsgemäßen Regierung der Bewegung zum Sozialismus (MAS) von Präsident Morales garantierten die Unasur-Mitglieder ihre »volle und entschiedenste Unterstützung«. Das »Massaker, das im Departamento Pando geschah«, verurteilten die angereisten Präsidenten und Repräsentanten der zwölf Mitgliedsstaaten aufs Schärfste.

Unter Führung der turnusmäßigen chilenischen Vorsitzenden Bachelet werde man die Ereignisse des 11. Septembers in Pando im Rahmen einer Unasur-Kommission untersuchen. Dabei waren in der vergangenen Woche mindestens 30 indigene MAS-Anhänger von Regierungsgegnern ermordet wurden.

Die politischen Akteure des innerbolivianischen Konflikts rief man zum Dialog auf. Nur so könnten »gewalttätige Handlungen der Einschüchterung und die Nichtbeachtung demokratischer Institutionen und bestehender Rechtsordnung« beendet werden. Die von der rechten Opposition besetzten staatlichen Einrichtungen in den Tieflandregionen müssten sofort geräumt werden.

»Wir hoffen, dass diese Gruppen dieses Manifest Südamerikas gehört haben«, so Morales nach dem Gipfeltreffen in Richtung Nationaler demokratischer Rat (CONALDE). Die im CONALDE zusammengeschlossenen regierungsfeindlichen Präfekten wollten auf dem Unasur-Gipfel sprechen, was ihnen versagt wurde. Zeitgleich traf sich CONALDE-Vorsitzender Mario Cossío, Präfekt von Tarija, in Boliviens Hauptstadt La Paz mit Vizepräsident Álvaro García Linera, um die Bedingungen für einen »nationalen Pakt« auszuhandeln. Branko Marinkovich, Vorsitzender des »Bürgerkomitees Pro Santa Cruz« kündigte die Aufhebung von Straßenblockaden an, besetzte Institutionen würden aber weiter in der Hand der Autonomie-Bewegung bleiben.

Derweil machten Augenzeugen des »Massakers von Pando« erste Aussagen. Scharfschützen und Funktionäre der Präfektur mit Maschinenpistolen hätten gezielt auf Männer, Frauen und Kinder geschossen, die auf dem Weg zu einer Verbandsversammlung waren. »Viele Tote wurden vergraben, denn wo sind die toten Kinder?«, fragt Christian Domíngue, Bauernfunktionär in Pando und Überlebender des Hinterhalts. Boliviens Staatsanwaltschaft hat gegen Pandos Präfekt Leopoldo Fernández ein Verfahren wegen »Völkermordes« eingeleitet.

* Aus: Neues Deutschland, 17. September 2008


Bewegung in Bolivien

Von Martin Ling **

Das 21. Jahrhundert sieht uns vereint oder beherrscht«, lautet eine These von Hugo Chávez. Dass diese These des venezolanischen Präsidenten Substanz hat, zeigt sich gerade am Fall Bolivien. Mit seiner eindeutigen Rückendeckung für Evo Morales hat der erst im Mai gegründete südamerikanische Staatenbund Unasur der bolivianischen Opposition die Grenzen der Machbarkeit aufgezeigt – eine Verletzung der territorialen Einheit Boliviens kommt nicht in Frage!

Diese klare Botschaft ist offenbar angekommen: Nach Wochen mit von der rechten Opposition orchestrierten gewalttätigen Protesten, der Sabotage von Erdölpipelines, Besetzungen und Zerstörungen staatlicher Einrichtungen, wird ab Donnerstag wieder miteinander gesprochen. Die Opposition ist an den Verhandlungstisch zurückgekehrt, obwohl einer ihrer Präfekten wegen seiner mutmaßlichen Rädelsführerschaft gerade verhaftet wurde. Ohne die einheitliche Haltung der Unasur-Staatschefs wäre ein solches Einlenken ein Ding der Unmöglichkeit geblieben.

Der erste Schritt aus der tiefen bolivianischen Krise ist damit getan. Doch damit die Lösung des Konflikts kein Ding der Unmöglichkeit bleibt, bedarf es noch weit mehr an Bewegung: Die alten Eliten müssen endlich die Legitimität der von Evo Morales intendierten und einer übergroßen Mehrheit der Bevölkerung gewünschten Neugründung des Staates zur Besserstellung der indigenen Mehrheit akzeptieren. Eine Autonomieregelung für die Provinzen, die dem Zentralstaat ausreichende Einnahmen für seine Umverteilungspolitik verschafft, könnte eine Kompromisslinie sein. Die Alternative Bürgerkrieg käme beide Seiten weit teurer.

** Aus: Neues Deutschland, 18. September 2008 (Kommentar)




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