Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Attacke auf Sozialprogramm

Bolivianischer Industrieller will Sonderfonds für Schulen abschaffen

Von Benjamin Beutler *

Boliviens mächtigster Industrieller Samuel Doria Medina hat einen Frontalangriff auf das Regierungsprogramm »Wandel in Bolivien. Evo hält Wort« gestartet. Laut offiziellen Angaben wurden über den Haushaltsposten in fünf Jahren Morales-Regierung bisher 402 Millionen US-Dollar ausgegeben. Finanziert werden mit dem 2006 gegründeten Sonderfonds Schulen, Sportanlagen und Straßen. Auch Rechnungen für Ambulanzen, Streifenwagen und Trainingsflugzeuge werden mit dem schnellen Griff in die Schatulle beglichen. Für den Chef der Oppositionspartei »Nationale Einheit« (UN) ist das Geld, das unter direkter Verwaltung des Präsidialamtes steht und das auch mal unbürokratisch per Scheck verteilt wird, nicht mehr als eine Kriegskasse »ohne demokratische Kontrolle«. Für die Wahlen 2014 werde das Geld nicht wie vorgesehen zum Kampf gegen Armut, Krankheit und für Jobs und Bildung verwendet, erklärte Medina vor der Presse. Vielmehr werde es allein zum »Kauf von Gewissen« mißbraucht, so der Vorwurf des zweimaligen Präsidentschaftskandidaten.

Die Attacke zielt auf das Image der Linksregierung. Mit großem Tamtam hatte Medina seine gelb-blaue Broschüre »Die Wahrheit über das Programm Evo hält Wort« in der vergangenen Woche vorgestellt und ein starkes Medienecho damit erzielt. Dem Zement-Millionär, Exminister für Wirtschaftsplanung und einstigen Weltbankberater ist der Sonderfonds purer »politischer Klientelismus« mit »dunklem Schatten«. Riesige Geldsummen würden an MAS-Verbündete fließen, und das bei »null Transparenz«. Allen voran die Cocaleros der MAS-Hochburg und Koka-Anbauregion Chapare würden über Gebühr profitieren. 113 Millionen US-Dollar seien in das Departamento Cochabamba im Herzen des Andenlandes geflossen. 16 Millionen mehr als nach La Paz, rechnet der Absolvent der London School of Economics vor. Bebildert ist das Heft mit Fotos vermeintlicher Investitionsruinen, belegt werden sollen staatliche Mißwirtschaft und Verschwendung. Folgender Vorwurf wiegt besonders schwer: Unter Morales habe sich Bolivien über einen Kredit von Venezuela in die Abhängigkeit des Auslands begeben. »Den müssen alle Bolivianer zahlen«, versucht der füllige Sohn eines Schokoladenfabrikanten eine Neiddebatte zu entfachen.

Vizepräsident Álvaro García Linera antwortete als erster. Medina sei ein »Lügner«. Vom einzigen 20-Millionen-Dollar-Kredit aus Venezuela sei »nicht ein Centavo« in das Programm geflossen, wehrte der MAS-Chefideologe ab. Venezuela, und in kleinem Umfang China, hätten ab 2006 zwar gespendet. Seit 2011 würden die Ausgaben aber aus eigenen Haushaltsmitteln beglichen. Unsinn sei auch der Vorwurf mangelnder öffentlicher Kontrolle. Wegen der Finanzierung über die Staatskasse müßten Kommunen und Rechnungshof wie sonst auch Bericht erstatten, schimpfte der Vize auf einer eigens einberufenen Pressekonferenz. Aufmerksam machte der Soziologe im Präsidialamt auf einen kuriosen Druckfehler: Aus Ivirgarzama, einer Kommune im Chapare, wurde Ibergazama. Ins Internet eingetippt stößt man auf nur ein Dokument, ausgerechnet von der US-Entwicklungsbehörde USAID, die Bolivien wegen Einmischung im Mai endgültig des Landes verwiesen hatte. Linera ist mißtrauisch: »Sind es etwa die Herren von USAID, die den Bericht erstellt haben?«

Präsident Evo Morales setzt auf Humor. »Medina ist unser Werbebeauftrager«, witzelte der MAS-Vorsitzende, »kein Grund zum Aufregen«. Der UN-Politiker sorge »überall im Land« für mehr Bekanntheit der Finanzspritze. Darum dürfe Medina »Kampagnenchef« bleiben, so der ironische Konter. Als Minister sei dieser in den 1990er federführend bei der Privatisierung staatlicher Unternehmen gewesen, von Zeitungen als »König der Privatisierung« gefeiert worden. »Jetzt greift er das Programm an? Das Volk wird sich seine Meinung bilden«, stichelte Morales. Derweil kündigte der Linkspolitiker »eine Verdoppelung« des Budgets an. Von 2007 bis 2012 wurden landesweit 4214 Infrastrukturvorhaben realisiert. Mangels Politikangebote setzt das Lager der Regierungsgegner auf Copy-and-Paste. Als Vorbild dient Venezuela, wo ähnliche Kampagnen gegen staatliche Programme in Anschlag gebracht werden.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 4. Juni 2013


Zurück zur Bolivien-Seite

Zurück zur Homepage