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Rezept gegen Armut

Bolivien: Umverteilung der Gewinne aus Abbau und Vermarktung natürlicher Rohstoffe kommt auch bislang Unterprivilegierten zugute

Von Benjamin Beutler *

Seit dem Regierungsantritt der »Bewegung zum Sozialismus (MAS)« im Frühjahr 2006 gibt es in Bolivien immer weniger Armut. Dies geht aus einem in La Paz vorgestellten Bericht des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) hervor. »Die letzten Jahre waren eine sehr wichtige Zeit für die Verbesserung der Lebensbedingungen der bolivianischen Bevölkerung«, konstatiert das Papier und bescheinigt erhebliche »Fortschritte«. Auch Yoriko Yasukawa, Chefin des UN-Büros im Andenland, hat für die Regierung von Präsident Evo Morales nur gute Worte übrig. Neben konstant hohen Wachstumsraten hätten Sozialprogramme wie die »Rente der Würde« für über 60jährige, das Müttergeld »Juana Azurduy« und die Schülerstipendien »Juancito Pinto« entscheidend zur Verringerung der Not beitragen, lobte Yasukawa Mitte der Woche im Staatsfernsehen. Auch die Wirtschaftskommission für Lateinamerika und Karibik (CEPAL) spendet Beifall. Bereits im Dezember 2011 hatte deren Präsidentin Alicia Bárcena den Erfolg des neuen bolivianischen Wirtschaftsmodells als Paradebeispiel hervorgehoben. Dank eines »ökonomischen Schemas, das sich durch mehr Staat und getrieben vom Motor der Überschußumverteilung vom neoliberalen Modell unterscheidet« könnten Armut und Ungleichheit Schritt für Schritt überwunden werden, so die Diagnose der Ökonomin.

Die Zahlen geben Anlaß für Optimismus. Für den Berichtszeitraum von 2005 bis 2009 in dem Zehn-Millionen-Einwohner-Land hat das noch druckfrische UNDP-Papier erstmals belastbare Daten vorgelegt. Demzufolge ist die Zahl von in extremem Elend lebenden Menschen von 38,2 Prozent (3,6 Millionen) auf 26,1 Prozent (2,7 Millionen) reduziert worden. Die Menge der Menschen in »moderater Armut« ging von 5,7 auf 5,2 Millionen zurück. Damit leben jetzt 1,4 Millionen Bolivianer weniger in Armut als zuvor. Als extrem arm gelten die Menschen, die kein Geld zum Kauf des »Basisnahrungsmittelkorbes« aufbringen können. Als moderat arm werden jene eingestuft, deren Einkommen zwar für diese Nahrung ausreicht, nicht aber zur Finanzierung weiterer Lebenshaltungskosten wie für Transport, Bildung und Gesundheit. Besonders auf dem Land haben Bauernfamilien den Schritt aus der größten Armut geschafft. Vor allem seit 2007, ein Jahr nach Einführung der Sozialprogramme. Noch 2001 galten sieben von zehn Bolivianern als arm, jedem dritten fehlte sogar das Geld für eine tägliche Mahlzeit. »Das ist der größte Rückgang, den Bolivien in den letzten 50 Jahren erlebt hat«, stellte Vizepräsident Álvaro García Linera fest. Und so soll es weitergehen. Um vor allem die extreme Armut weiterhin effektiv zu bekämpfen, müsse die Wirtschaft des ressourcenreichen Andenlandes »in den kommenden 15 Jahren in einem Zehn-Prozent-Rhythmus wachsen«, schaut der studierte Soziologe nach vorn.

Profitiert Bolivien endlich von seinen Bodenschätzen, so dürfte ein Satz im UNPD-Bericht den Jüngern von Freihandel und offenen Märkten sauer aufstoßen. Die Einsicht der Morales-Administration in die »Notwendigkeit öffentlicher Politiken, verbesserter Mechanismen der Partizipation, Aufmerksamkeit für die Qualität öffentlicher Leistungen, neuer Rahmenbedingungen für staatliche Institutionen sowie Mechanismen gesellschaftlicher Kontrolle« sei Hauptgrund für weniger Armut, verteilen die UNO-Wissenschaftler Bestnoten. Dem seit den 1980ern in ganz Lateinamerika durchgedrückten »Washington Consensus« wird damit der Totenschein ausgestellt. Das Rezeptbuch von US-Ökonomen der neoliberalen »Chicago Boys« mit sogenanntem schlankem Staat, »Sparmaßnahmen«, Privatisierung von Wirtschaft, Bildung, Gesundheit und Rente ist damit auf dem Müllhaufen der Geschichte gelandet.

Möglich machte dies der Machtwechsel im Andenland, und daß die MAS ihr Wahlversprechen hielt. Gegen den Widerstand internationaler Ölmultis und rechter Opposition setzte Morales die Nationalisierung der Bodenschätze durch. Abgaben und Steuern wurden erhöht, Förderlizenzen neu verhandelt, die staatliche Energiefirma YPFB gestärkt. Mit den Hauptabnehmern von Erdgas, Argentinien und Brasilien, wurden nach Jahren der »solidarischen Preise« – ein Geschenk neoliberaler Vorgänger an Bundesgenossen in Buenos Aires und Brasilia Lieferverträge zu Weltmarktkonditionen abgeschlossen.

Im gasreichen Tiefland Boliviens aber macht die einstige »Rohstoff­elite« gegen das Weiterreichen der Energierente mobil. Mit dabei ist die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) der CDU. Konferenzen im teuersten Hotel der Oppositionshochburg Santa Cruz sponsern »Think tanks« zur »Förderung der sozialen Marktwirtschaft« und »offener Märkte«. Die alten Nutznießer des gestoppten Ausverkaufs können auch mit deutschen Steuergeldern rechnen. Hofiert werden Chefredakteure von Medienkonzernen, die sich in der Hand von Großgrundbesitzern und Bankiers befinden, rassistische Politiker aus der sezessionistischen Departamento-Verwaltung, die Ende 2008 gegen die Zentralregierung putschte. Auch der mächtige Unternehmerverband ­CAINCO, der zu 90 Prozent mit Geldern von Spaniens Erdölgiganten Repsol-YPF und von Enron aus Texas unterhalten wird, ist KAS-Partner. In U-Haft sitzt derzeit der Expräsident der KAS-Partnerstiftung Almerida, die wie CAINCO im Verdacht steht, eine 2009 aufgeflogene Terrorzelle mitfinanziert zu haben.

* Aus: junge Welt, 17. Februar 2012


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