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Schlaflos mit Evo

Nach sechs Jahren Linksregierung zieht Boliviens Präsident Morales Bilanz

Von Benjamin Beutler *

Evo Morales ist ein politischer Schwerstarbeiter. »Über fünf Tage habe ich nur zwei Stunden täglich geschlafen«, schwor der Chef der regierenden »Bewegung zum Sozialismus« (MAS) zu Wochenbeginn seine Kabinettsmannschaft auf kraftraubende Zeiten ein. Sieben Minister waren am Montag im Palacio Quemado von La Paz vereidigt worden. Morales nutze die Kabinettsumbildung für einen persönlichen Rückblick auf sechs Jahre im höchsten Amt des Zehn-Millionen-Einwohner-Landes. »Ich war auf einer Veranstaltung, von der ich danach nicht mehr wußte, was ich da gerade geredet hatte«, plauderte Boliviens erstes indigenes Staatsoberhaupt über eine Episode aus seiner ersten Amtszeit. Die Familien seiner Minister bat Morales für die »harte Arbeit« um Entschuldigung. »Dabei ist schlafen wichtiger als essen«, so sein Tip für die Neulinge im Kabinett.

Bereits am Montag mittag hatte der Präsident, dessen Arbeitstag mit der Lagebesprechung um fünf Uhr früh beginnt und gegen Mitternacht endet, eine Zwischenbilanz von sechs Jahren MAS-Regierung gegeben. Anlaß des dreistündigen Rapports vor dem Parlament war der zweite Jahrestag des Bestehens des »Plurinationalen Staates Boliviens«. Nach Inkrafttreten der neuen Verfassung 2009 hatte es im Dezember desselben Jahres Wahlen gegeben, die alte Staatsbezeichnung »Republik Bolivien« war mit der Regierungsbildung im Januar 2010 endgültig abgelegt worden. »Ich möchte Ihnen mitteilen, wie wir das Land vorgefunden haben und wo wir nach meinen ersten vier Regierungsjahren im alten Kolonialstaat und zwei Jahre im plurinationalen Staat stehen«, begann der 52jährige.

Mit Laptop und einem Stapel Papier vor sich erstattete Morales den Mammutreport. Erwartungsgemäß standen Wirtschaftsfragen im Mittelpunkt. Im Gas- und Ölgeschäft habe der Staat als »Ergebnis der Nationalisierung« seine Einnahmen vervielfacht. 2006 war die zuvor privatisierte Energiefirma YPFB rückverstaatlicht worden, Bodenschätze waren zum Staatseigentum erklärt, Förderlizenzen mit internationalen Ölmultis neu verhandelt und Steuern angehoben worden. Flossen zwischen 2001 und 2005 nur 1,6 Milliarden US-Dollar an YPFB-Geldern in die Staatskasse, so waren es von 2006 bis 2011 schon satte zwölf Milliarden US-Dollar.

Diese Entwicklung im Energiegeschäft will die Morales-Administration weiter forcieren. Es gäbe noch zu wenig Investitionen in Gas- und Ölvorkommen. Das Potential sei ungenutzt. Er wolle darum »die Wahrheit nicht verzerren«, gab sich der Präsident kritisch. Habe es früher 230 Erkundungsbohrungen gegeben, so seien es heute »gerade einmal 94«. Die Vorkommen seien jedoch heute »im bolivianischen Besitz«, die transnationalen Multis nur Lizenznehmer, hob der Staatschef den wesentlichen Unterschied zur Privatisierungspolitik des nationalen Ausverkaufs seiner Vorgänger hervor. Dennoch wurde die Gasfördermenge, unter anderem für den Export nach Argentinien und Brasilien zu besseren Preisen von zuvor 27 Millionen Kubikmeter auf 41 Millionen Kubikmeter gesteigert. Auch die Einnahmen aus dem Bergbau sind rasant angestiegen. Nach der Verstaatlichung einiger Minen flossen in den letzten sechs Jahren 1,5 Milliarden US-Dollar in die Staatskasse, fast das Achtfache im Vergleich zu vorher.

* Aus: junge Welt, 26. Januar 2012


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