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Verordneter Wandel

Königreich Bhutan wählt erstmals ein Parlament. 100000 Vertriebene nicht berücksichtigt. Monarchie sichert sich die Macht und setzt auf "nationale Glückseligkeit"

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

Die Grenzen zwischen Indien und dem Königreich Bhutan waren von Samstag bis Dienstag früh geschlossen, die Patrouillen auf beiden Seiten wurden verstärkt. Damit sollte verhindert werden, daß Rebellen den Ablauf der Parlamentswahlen in der buddhistischen Himalaja-Monarchie am Montag stören. In den vergangenen Wochen hatten bewaffnete Gruppen mehrere Sprengstoffanschläge verübt. Eine im April 2007 gegründete »Vereinte Revolutionäre Front Bhutans« (URFB) kämpft für einen politischen Wandel, der allen 700000 Bewohnern des Landes unabhängig von ihrer ethnischen Herkunft zugute kommt. Nach Auffassung der URFB reicht die vom ehemaligen Monarchen eingeleitete und von seinem amtierenden Sohn Jigme Khesar Namgyal Wangchuck übernommene Politik des Übergangs von der absoluten zur konstitutionellen Monarchie nicht aus. Sie komme lediglich einer sozialen Minderheit zugute. »Im Namen der Demokratie festigt der König indirekt seine Macht«, heißt es in einer Erklärung der Rebellengruppe.

Die 100 Jahre währende Wangchuck-Dynastie zeigt sich von solcher Kritik unbeeindruckt. Ihre Vertreter weisen stolz darauf hin, daß der Anstoß zum Wandel nicht von außen, sondern von der Königsfamilie selbst gekommen ist. Geplant ist ein begrenztes demokratisches System mit zunächst zwei politischen Parteien. Qualifiziert haben sich für die Wahlen zum Parlament die »Demokratische Volkspartei« (PDP) und die »Harmoniepartei Bhutans«. Unterstützt wurde der Reformprozeß ohne Zweifel aber auch von dem Volksaufstand im benachbarten Königreich Nepal. Dort war König Gyanendra im Dezember vergangenen Jahres von den demokratischen Kräften des Landes aus dem Amt gejagt worden.

Bhutans Oberster Richter Sonam Tobgyen legte in einem Interview unlängst großen Wert auf ein geordneten Übergang zur parlamentarischen Demokratie. Mit der Begrenzung auf zwei Parteien sollte eine »politische Zersplitterung« verhindert werden. Was er nicht sagte: Die machtpolitische Ordnung wird zugleich dadurch bewahrt, daß die Mitglieder der PDP und der Harmoniepartei überwiegend Diener des alten Systems waren, unter ihnen Minister, hohe Beamte sowie Persönlichkeiten aus verschiedenen Bereichen des öffentlichen Lebens. Zudem sollen an der Spitze beider Parteien Verwandte oder Vertraute des buddhistischen Herrschers stehen.

Zu den Reformen des Königs gehört ein Entwicklungskonzept, das nicht das Bruttoinlandsprodukt zum Maßstab macht, sondern eine »Grand National Happiness« anvisiert, eine »größtmögliche nationale Glückseligkeit«. Die über 100000 Flüchtlinge in Lagern im Osten Nepals sind in diesem Konzept jedoch nicht berücksichtigt. Für die Dynastie existieren sie nicht, obwohl diese Menschen – Bhutaner nepalesischer Abstammung –Opfer der 1991 begonnenen Vertreibung sind. Eine Wiedereinbürgerung lehnt das bhutanische Königshaus vehement ab.

* Aus: junge Welt, 25. März 2008


Von Hilmar König erschien einen Tag später ein weiterer Artikel über Bhutan, den wir - trotz einiger Überschneidungen mit dem vorangegangenen Artikel - ebenfalls dokumentieren.

Bhutans verordnete Demokratie

Harmoniepartei siegte bei historischer Wahl zur Nationalversammlung

Von Hilmar König, Delhi **


Die königstreue Harmoniepartei Bhutans (DPT) hat die historische Wahl zur Nationalversammlung in dem Himalaja-Königreich mit deutlichem Abstand gewonnen. Die DPT wird 44 der 47 Abgeordneten im neuen Unterhaus des Parlaments stellen. Wie die staatliche Wahlkommission am Dienstag in der Hauptstadt Timbu mitteilte, gingen drei Sitze an Kandidaten der Volksdemokratischen Partei PDP, die mit einem ähnlichen Programm um die Gunst der 318 000 Wahlberechtigten geworben hatte.

Neuer Premierminister soll DPT-Chef Jigme Y. Thinley werden. Der 56-Jährige war bereits zwei Mal Regierungschef und amtierte von 1998 bis 2003 als Außenminister Bhutans. Sein Widersacher, PDPPräsident Sangay Ngedup, hatte trotz familiärer Bindungen zur königlichen Familien keine Chance. Es war erstmals in der 100 Jahre alten Herrschaftsperiode der Wangchuck-Dynastie, dass Parlamentswahlen stattfanden. Damit erfolgt der entscheidende Schritt weg von der absoluten zur konstitutionellen Monarchie.

Unter den 47 Abgeordneten der Nationalversammlung, wie das Parlament offiziell heißt, wird zumindest eine Frau sein. Das stand schon vor dem Votum fest, denn im Wahlbezirk Thrimshing kandidierten nur zwei Frauen: Dorji Choden, die erste Ingenieurin des Landes, für die Demokratische Volkspartei (PDP) und Choeki Wangmo, die im vorigen Jahr ihr Soziologiestudium abschloss, für die Harmoniepartei Bhutans. Beide waren im Gegensatz zu den meisten anderen Kandidaten sparsam mit ihren Versprechungen an die Wähler. Dorji Choden, 48 Jahre alt, will sich dafür einsetzen, dass im Wahlbezirk endlich eine ordentliche Straße gebaut wird, und Choeki Wangmo, 26 Jahre, hat vor, auf Familienbasis eine Heimindustrie zu entwickeln. Und beider besondere Aufmerksamkeit gilt natürlich den Sorgen und Problemen der Frauen.

Die Wahlberechtigten waren aufgerufen, ihre Stimme für die Bewerber einer der beiden Parteien abzugeben. Andere politische Formationen sind in der »Mehrparteiendemokratie« vorerst nicht zugelassen. Aktivisten der PDP und der Harmoniepartei sind überwiegend Exminister und Beamte.

König Jigme Khesar Namgyal Wangchuck befürchtete, mehr Parteien hätten eine »politische Zersplitterung« zur Folge gehabt, was dem neuen Regierungssystem einen »chaotischen Start« beschert hätte. Die illegale Vereinte Revolutionäre Front Bhutans (URFB) hingegen sieht in dem Votum wie in den Schritten zur konstitutionellen Monarchie »in Wirklichkeit Reformen kosmetischer Natur, mit denen der König indirekt seine Macht festigt«. Militante Aktivitäten wie Sprengstoffanschläge der URFB und anderer oppositioneller Gruppen haben laut Angaben der bhutanischen Polizei in den letzten Wochen zugenommen.

Es wird vermutet, dass sich die Rebellen aus den rund 100 000 Flüchtlingen rekrutieren, die seit 1991 in Lagern auf nepalischem Gebiet leben. Es handelt sich dabei um hinduistische Bhutaner nepalischer Abstammung, die aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Deren Repatriierung lehnt das bhutanische Königshaus ab. Etliche westliche Staaten haben deshalb die Aufnahme Tausender dieser Vertriebenen angeboten. Doch in den Lagern bleibt diese Offerte umstritten, weil man befürchtet, die Ausreise in ein Drittland untergrabe ihr Recht auf Rückkehr.

Den Wandel in Bhutan leitete noch König Jigme Singye Wangchuck, der Vater des jetzigen Herrschers, mit der Ausarbeitung einer Verfassung ein. Im November 2006 trat er im Alter von 52 Jahren zurück und übergab das Zepter seinem Sohn, der Ende des Jahres offiziell zum neuen König gekrönt werden soll.

** Aus: Neues Deutschland, 26. März 2008


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