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"Bruch des Pakts zwischen den Belgiern"

Flämischer Alleingang verschärft Krise

Von Tobias Müller, Amsterdam *

Mit den Stimmen der flämischen Delegierten hat die Inlandskommission die Spaltung des zweisprachigen Wahlkreises Brüssel-Halle-Vilvoorde beschlossen. Die Regierungsverhandlungen liegen damit vorerst auf Eis.

Die frankophonen Mitglieder des Innenauschusses des Parlaments hatten aus Protest den Raum verlassen, als ihre flämischen Kollegen am Mittwoch zur Abstimmung schritten. Mit einer einfachen Mehrheit nahmen sie einen Gesetzesvorschlag an, der die Trennung des umstrittenen Wahlkreises fordert. Einzig die grüne Abgeordnete Tinne Van der Straeten enthielt sich der Stimme.

Mit der historischen Konstellation einer Abstimmung entlang der Sprachgrenze hat der Konflikt zwischen Wallonen und Flamen, der seit Monaten die laufenden Koalitionsverhandlungen überschattet, einen symbolischen Höhepunkt erreicht. Die frankophone Gemeinschaft will heute einen »Interessenkonflikt« deklarieren und somit die Trennung vorläufig aufschieben. Im Namen der wallonischen Parteien nannte der Vorsitzende des liberalen Mouvement Réformateur (MR), Didier Reynders, die Abstimmung einen »Bruch des Pakts zwischen den Belgiern«.

Kurz zuvor war ein Ultimatum abgelaufen, das die Unterhändler der flämischen Christdemokraten, Liberalen sowie der separatistischen Neu-Flämischen Allianz der wallonischen Seite gestellt hatten. Noch am Morgen hatte der Verhandlungsleiter Yves Leterme erfolglos versucht, diese mit der Aussicht auf finanzielle Entschädigungen und kulturelle Sonderrechte dazu zu bewegen, einer Kompromisslösung zuzustimmen.

Die Trennung des zweisprachigen Wahlkreises, dessen Bewohner für Politiker beider Sprachgruppen stimmen können, steht weit oben auf der Agenda der flämischen Parteien. Angesichts des demographischen Übergewichts der Frankophonen in der Hauptstadtregion befürchten sie den Verlust von Einfluss und Repräsentation. Die wallonischen Parteien hingegen wollen am Status quo festhalten.

In den aktuellen Regierungsverhandlungen ist dies zu einer Schlüsselfrage geworden. Bis unmittelbar vor der Abstimmung hatte es auf wallonischer Seite geheißen, dieser Schritt bedeute das Ende der Gespräche. Insbesondere der Vorsitzende der Brüsseler Frankophonen FDF, Olivier Maingain, hatte sich unversöhnlich gezeigt. Bei den flämischen Liberalen VLD warnte der scheidende Außenminister Karel de Gucht vor einer schweren Krise. Ungeachtet dessen zeigten sich die verhandelnden Parteien am Tag danach dennoch gewillt, die Gespräche irgendwann fortzusetzen.

Vor allem auf wallonischer Seite spielt dabei die Angst mit, bei einem Scheitern der Verhandlungen zwischen Christdemokraten und Liberalen auf die Mithilfe der Parti Socialiste angewiesen zu sein. Dies würde die bisher getroffenen Vereinbarungen hinfällig machen, die von flämischen wie wallonischen Gewerkschaften bereits heftig kritisiert worden sind.

* Aus: Neues Deutschland, 9. November 2007


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