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Geld für Naziverbrecher

Belgische Kollaborateure bekommen Rente vom deutschen Staat

Von Arne Baillière *

Die Bundesrepublik Deutschland bezahlt Monat für Monat Renten für 2500 belgische Nazikollaborateure. Diesen Skandal enthüllte am Wochenende die belgische Tageszeitung De Morgen. Das Blatt beruft sich auf Alvin De Coninck, Sohn des 2006 verstorbenen Widerstandskämpfers Albert De Coninck, der diese Tatsache bei seinen Nachforschungen über die Gründe für die Besteuerung von Entschädigungszahlungen an ehemalige Zwangsarbeiter des faschistischen deutschen Regimes herausgefunden hatte. Ende 2011 war bekanntgeworden, daß die deutschen Steuerbehörden von 13500 ehemaligen belgischen Zwangsarbeitern einen Steuerbeitrag von 17 Prozent auf die Entschädigungszahlungen verlangen – und das sogar rückwirkend bis 2005. Ein Schlag ins Gesicht für die belgischen Naziopfer.

Alvin De Coninck glaubte zuerst an ein bürokratisches Mißverständnis und begann zu recherchieren. Die Bundesrepublik wurde nach dem Krieg der völkerrechtliche Nachfolger des »Dritten Reiches« und übernahm alle Verpflichtungen, auch gegenüber den Militärs des Naziregimes. Aber nicht nur diese, auch Ausländer im Dienste der faschistischen Armee erhielten eine Rente, beispielsweise Léon Degrelle, SS-Standartenführer und Kommandant der »SS-Division Wallonie«, der in Belgien nach Kriegsende zum Tode verurteilt wurde und nach Spanien flüchtete.

Die Entscheidung, diesen Handlangern der Nazis eine Kriegsrente zuzuerkennen, war anscheinend von der zwischen dem 1. und dem 23. Mai 1945 existierenden deutschen Reichsregierung unter Großadmiral Karl Dönitz, Nachfolger Hitlers, getroffen worden. Die Existenz dieser Kriegsrenten für Kollaborateure des Besatzungsregimes war bisher unbekannt.

In Europa erhalten heute noch 900000 Personen eine deutsche »Kriegsrente«. Nach dem Mauerfall 1989 waren 100000 Anfragen auf Unterstützung von ehemaligen »Kriegsfreiwilligen« aus den baltischen Staaten dazugekommen. Dadurch entstanden plötzlich hohe Ausgaben für die BRD. Das führte 2010 zu der Entscheidung, die »Kriegsrenten« mit 17 Prozent zu besteuern.

Aber diese stecken »alle in einem Topf«, so De Coninck. Es wird nicht unterschieden, ob ein Begünstigter Zwangsarbeiter oder SS-Wächter in einem Konzentrationslager war. Unmittelbar nach Kriegsende bezogen 38000 Personen in Belgien eine solche Zahlung. Heute sind es noch 16000, davon 2500 ehemalige Nazihandlanger. Die Schreiben des deutschen Steueramtes richteten sich jedoch an alle Empfänger einer »Kriegsrente«, obwohl die Maßnahme zur Besteuerung nur für ehemalige Mittäter des faschistischen Regimes gedacht war.

Nach einigen Untersuchungen von Einzelfällen fand De Coninck heraus, daß die BRD bei den Kollaborateuren großzügiger ist als bei den Opfern. »Zusatzrenten in der Höhe von 475 bis 1275 Euro für die Mittäter der NS-Herrschaft sind keine Ausnahme. Für ehemalige Zwangsarbeiter geht es hingegen durchschnittlich nur um 50 Euro pro Monat.«

Der belgische Finanzminister Didier Reynders erklärte inzwischen, daß Bundesaußenminister Guido Westerwelle ihm versichert habe, daß die ehemaligen Zwangsarbeiter die Briefe des deutschen Steueramtes ignorieren könnten. Auf die Frage, wie moralisch zu rechtfertigen ist, daß belgische Mittäter für ihre Beteiligung am Naziterror bis heute finanzielle Unterstützung von der BRD bekommen, gibt es hingegen von deutscher Seite noch keine Antwort.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 5. April 2012


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