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Minsk als Makler

Belarus versucht, mit einer Vermittlung im Ukraine-Konflikt aus der Isolation herauszukommen

Von Reinhard Lauterbach *

Die belarussische Hauptstadt Minsk ist nicht nur aus geographischen Gründen ein geeigneter Ort für Gespräche zur Beendigung des Kriegs in der Ukraine. Der Präsident des Landes, Alexander Lukaschenko, hat sich in dem Konflikt früh als Neutraler positioniert. Schon im vergangenen Frühjahr erklärte er, sein Land stehe nicht für eventuelle russische Militäreinsätze gegen die Ukraine zur Verfügung. Gleichzeitig vereinbarte er mit Russland die Einrichtung eines Luftwaffenstützpunkts in Lida nahe der Grenze zu Lettland und die Aufwertung der bestehenden Frühwarnsysteme. Die Kombination beider Entscheidungen hat ihre Logik: Minsk steht, so die Botschaft seines Präsidenten, an Russlands Seite, soweit es um die Verteidigung geht. Aus offensiven Aktionen des großen Nachbarn will es sich aber heraushalten. Entsprechend zählte Lukaschenko zu den ersten Politikern der Region, die die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen der Ukraine anerkannten. Zur Amtseinführung von Petro Poroschenko reiste Lukaschenko nach Kiew und versprach dem Ukrainer in der ihm eigenen großsprecherischen Art, »alle seine Wünsche in 24 Stunden zu erfüllen«.

Lukaschenkos Kurs einer bedingten Solidarität mit Kiew stellt die Beziehungen zwischen Minsk und Moskau zumindest auf die Probe. Die belarussische Regierung war verärgert, als Russland im vergangenen Herbst die Grenz- und Zollkontrollen wieder einführte, und sie rechnete vor, dass das Land durch die russischen Gegensanktionen 300 Millionen US-Dollar verloren habe. Was Lukaschenko nicht dazusagte, war, wieviel Belarus in den Monaten zuvor an den westlichen Sanktionen verdient hatte: Die betrafen nämlich nur Russland und nicht Belarus, und angesichts einer offenen Grenze entwickelte sich rasch ein lebhafter Umgehungshandel. So gingen polnische Äpfel, die in Russland nicht mehr erwünscht sind, plötzlich in großer Menge nach Belarus und wurden dort entweder umetikettiert oder zu Apfelsaft verarbeitet und dann als örtliches Produkt nach Russland weiterverkauft. Ebenso lief es mit polnischem Fleisch und baltischen Milcherzeugnissen.

Andererseits weiß Lukaschenko, dass er sich gegenüber Moskau einiges herausnehmen kann, denn Belarus ist Moskaus letzter Verbündeter westlich seiner Grenze. Russland muss daher daran interessiert sein, die belarussische Führung bei Laune zu halten. Lange Zeit funktionierte das so, dass Russland Öl zu Vorzugspreisen an Belarus lieferte, wo es in den großen Raffinerien von Daugavpils und Polozk verarbeitet und zum Weltmarktpreis reexportiert wurde. Aus der Preisdifferenz finanzierte Lukaschenko große Teile der Sozialleistungen, dank derer die arbeitende Bevölkerung von Belarus von den Zumutungen der »Reformen« zumindest teilweise verschont blieb und dank derer sich Lukaschenko der stabilen Loyalität der Bevölkerung sicher sein konnte. Der weltweite Verfall der Ölpreise hat aber dieses Geschäftsmodell ins Wanken gebracht: Die Preisdifferenz, an der Belarus verdiente, ist verschwunden, und Russland hat in der neuen Situation nichts mehr zu verschenken.

Zudem stehen im November dieses Jahres erneut Präsidentschaftswahlen in Belarus an. Lukaschenko hat angekündigt, ein weiteres Mal kandidieren zu wollen. Das sollte angesichts eines eingespielten Systems »administrativer Ressourcen« und einer prowestlichen Opposition, der der Rückhalt in der Bevölkerung fehlt, kein Problem sein – bis auf die Haltung Russlands. Lukaschenko gilt in Moskau seit seinem Bemühen, von Boris Jelzin die Präsidentschaft eines nie recht zustande gekommenen russisch-belarussischen Bundesstaates zu übernehmen, als größenwahnsinnig. Insbesondere sein Verhältnis zu Wladimir Putin soll gespannt sein. Moskau hat mehrfach halböffentlich erwogen, ob es anstelle des impulsiven und zu unerwarteten Kurswechseln neigenden Lukaschenko nicht einen anderen Kandidaten unterstützen könnte. Bisher hat es sich aber letztlich immer für den Amtsinhaber entschieden.

In dieser Situation der Unsicherheit könnte Lukaschenko versucht sein, durch eine Vermittlerrolle im Ukraine-Konflikt dort Punkte zu machen, wo er seit Jahren unerwünscht ist: in Brüssel und Washington. Freilich müssten die dortigen Ritter der Menschenrechte dann ihre Reden vom »letzten Diktator Europas« zügig als Geschwätz von gestern entsorgen. Das ist unwahrscheinlich. Realistischer scheint, dass es Lukaschenko schon genügen würde, wenn ihn der Westen die bevorstehenden Wahlen in Ruhe gewinnen und damit abwarten ließe, wer im ukrainischen Großkonflikt die Oberhand behält.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 11. Februar 2015


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