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Belarus bestand West-Test nicht

Oppositionsparteien im Parlament auch künftig nicht vertreten

Bei der Parlamentswahl in Belarus haben Kandidaten der Oppositionsparteien kein Mandat erringen können. Nach OSZE-Urteil hat die Wahl demokratische Standards verfehlt.

Die Leiterin der Wahlkommission teilte am Montag nach Auszählung aller Stimmbezirke mit, dass kein oppositioneller Politiker den Einzug in die Repräsentantenkammer geschafft habe. »Warum die Bürger nicht für die Opposition stimmen, müssen die Politikwissenschaftler erklären«, sagte Lidia Jermoschina vor Journalisten in Minsk. »Wie gern die Wähler auch die Obrigkeit kritisieren, das Wort Opposition ist für sie noch erschreckender. Der Wähler fürchtet, das zu verlieren, was er hat«, kommentierte sie.

Insgesamt hatten sich 263 Kandidaten um die 110 Sitze im Parlament beworben, die in einer Mehrheitswahl ausschließlich direkt vergeben werden. Unter den Kandidaten waren knapp 70, die der Opposition zugerechnet wurden. Die Wahlbeteiligung lag nach offiziellen Angaben bei 75,3 Prozent.

Nach Schließung der Wahllokale am Sonntagabend hatten einige hundert überwiegend jugendliche Regierungsgegner im Minsker Zentrum gegen den Wahlverlauf protestiert. Die Behörden hatten die Demonstration, zu der schon Tage zuvor aufgerufen worden war, zwar verboten, sie verlief jedoch ohne Zusammenstöße und löste sich nach drei Stunden auf.

Regierungsgegner kritisierten, die Wahl sei »komplett gefälscht« worden. Der gesamte Verlauf sei nicht fair gewesen, klagte Oppositionspolitiker Anatoli Lebedko. Dagegen sprach der Leiter der russischen Wahlkommission, Wladimir Tschurow, gegenüber Interfax von einer »freien Willensbekundung der Bürger«. Beobachter der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) lobten den Urnengang als »gerecht und demokratisch«.

Anders die Einschätzung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), die 450 Beobachter aus 43 Staaten entsandt hatte: Sie urteilte, die Wahl habe trotz geringer Fortschritte die demokratischen Standards verfehlt. Die Versprechen einer transparenten Wahl seien nicht erfüllt worden, bemängelte die Mission des OSZE-Büros für Demokratie und Menschenrechte (ODIHR) am Montag in Minsk. Internationale Beobachter seien vor allem am Zugang zur Stimmenauszählung gehindert worden.

»Ich bin hoffnungsvoll und enttäuscht zugleich«, sagte der Leiter der ODIHR-Mission, der deutsche Diplomat Geert Ahrens. Die belarussischen Behörden hätten auf der einen Seite mehr Kooperationsbereitschaft gezeigt, was Anlass zur Hoffnung für künftige Wahlen gebe. Auf der anderen Seite sei die Stimmenauszählung nicht transparent verlaufen. »Wo der Zugang möglich war, wurden zahlreiche Fälle von absichtlicher Fälschung der Ergebnisse festgestellt«, teilten die Beobachter mit. Sie kritisierten auch die belarussische Wahlgesetzgebung, die nicht im Einklang mit den OSZE-Richtlinien stehe.

Für kommenden Montag hat der russische Regierungschef Wladimir Putin einen Arbeitsbesuch in Belarus angekündigt. Er wolle an einer Ministerratssitzung der Union Russland-Belarus teilnehmen, teilte seine Pressedienst in Moskau mit. Während des Besuchs werde Putin über wirtschaftliche und wissenschaftliche Zusammenarbeit sowie über Investitionsprojekte sprechen, hieß es weiter.

* Aus: Neues Deutschland, 30. September 2008


Westliche Standards nicht erfüllt

Wahlen in der Republik Belarus bei den Beobachtern der OSZE durchgefallen **

Die Republik Belarus erfüllt weiterhin nicht die »demokratischen Standards«, die erforderlich sind, um sich der »westlichen Wertegemeinschaft« anzunähern. Zu dieser Einschätzung gelangten die über 400 Beobachter, die die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Eu­ropa (OSZE) nach Minsk entsandt hatte, um die Parlamentswahlen am Sonntag zu begutachten. »In 48 Prozent der besuchten Wahllokale lief die Auszählung schlecht oder sehr schlecht«, hieß es in der Stellungnahme der OSZE, in der zugleich konstatiert wurde, daß »die Wahl selbst gut verlaufen« sei.

Die Schiedsrichter aus dem Westen folgten mit ihrem Negativurteil der Bewertung des Urnengangs durch die belorussische Opposition. Deren führender Vertreter Alexander Kosulin meinte: »Lukaschenko hat selbst die Tür zugeschlagen, die der Westen für ihn öffnen wollte.« Der Chef der oppositionellen Vereinigten Bürgerpartei, Anatoli Lebedko, sagte: »Es hat keine Wahl in Belarus stattgefunden. Das war eine Wahlfarce für den Westen. Wir rufen die EU und die USA auf, das Ergebnis dieser Wahl nicht anzuerkennen.«

Auf Anerkennung stießen Vorbereitung, Verlauf und Auszählung der Wahlen dagegen beim Großteil der übrigen internationalen Wahlbeobachter, von denen insgesamt 900 nach Belarus reisten. So bezeichneten die 300 Vertreter der postsowjetischen Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) die Wahlen als »frei und fair«.

Die amtliche Wahlkommission gab am Montag das Ergebnis bekannt. Demnach gelang es keinem der insgesamt 70 Kandidaten der Opposition, sich durchzusetzen. Insgesamt hatten sich 263 Männer und Frauen um die 110 Parlamentssitze beworben. Die Wahlbeteiligung lag bei 75 Prozent. Die Vorsitzende der Wahlkommission, Lidija Jermoschina, erklärte: »Die Opposition ist nicht mehr in Mode.« Kurz nach Schließung der Stimmlokale am Sonntag hatten sich auf dem zentralen Platz von Minsk rund 500 Anhänger der Opposition versammelt, um gegen Präsident Alexander Lukaschenko, dem sie Wahlbetrug vorwarfen, zu protestieren. Viele führten Flaggen der EU mit sich.

Im Vorfeld war der Urnengang als Test für die »Reformbereitschaft Lukaschenkos« (AP) und letztlich für die EU-Tauglichkeit der Republik Belarus gewertet worden. Die USA und die EU hatten eine Aufhebung der gegen Minsk verhängten Sanktionen in Aussicht gestellt, wenn Lukaschenko unter Beweis stellen sollte, daß er »mehr politischen Wettbewerb« zuläßt. (AFP/AP/jW)

** Aus: junge Welt, 30. September 2008


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