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Lukaschenko: Populist oder Wahlfälscher oder beides zugleich?

Nach der Wahl in Weißrussland wird das Land vom Westen als letzte Bastion des "Totalitarismus" abgestempelt - Russland hat eine andere Sicht - Berichte und Kommentare

Im Folgenden dokumentieren wir ein paar Pressestimmen zur Wahl in Weißrussland, die am 19. März stattfand. Neben dem Mainstream der hiesigen Presse, die Belarus als letzte Bastion des Totalitarismus behandelt, lassen wir auch eine andere Sichtweise zu Wort kommen. Interessant ist insbesondere der Blick von Russland auf den westlichen Nachbarn. Daneben dokumentieren wir zwei Stellungnahmen aus zwei Parteien: Der Linkspartei.PDS und der SPD.



Lukaschenko souverän bestätigt

Opposition sieht sich bei Präsidentenwahl in Belarus um den Erfolg betrogen

Von Irina Wolkowa, Moskau


Die Stimmzettel waren schon am Montagmorgen vollständig ausgezählt, das Ergebnis überraschte niemanden: Mit 82,6 Prozent wurde Belarus-Präsident Alexander Lukaschenko souverän für eine dritte Amtszeit bestätigt.

Für Alexander Milinkewitsch, den Kandidaten der demokratischen Opposition, stimmten nur sechs Prozent, für seine Mitbewerber – den Oberliberalen Sergej Gajdukewitsch und den Chef der sozialdemokratischen »Gramada«-Partei, Alexander Kosulin – ganze 3,5 bzw. 2,3 Prozent. Die Wahlbeteiligung lag mit 92,6 Prozent ungewöhnlich hoch; ein Phänomen, für das sich die Zentrale Wahlkommission bei der Opposition bedankte. Deren Führer hätten mit Aufrufen zu Protestmeetings wegen Wahlfälschung, lange bevor der erste Stimmzettel in die Urne flog, unfreiwillig für eine hohe vorfristige Stimmabgabe gesorgt – immerhin 25 Prozent.

Aus Sicht von Oppositionellen und westlichen Wahlbeobachtern eben jene kritische Masse, mit der in den UdSSR-Nachfolgestaaten der Wählerwillen am häufigsten manipuliert wird. Einschlägige Vermutungen parierte Lydia Jermoshina, oberste Wahlleiterin, mit Appellen an die Verlierer, »ihre Niederlage mit Würde einzustecken«. Es habe keine größeren Unregelmäßigkeiten gegeben. Die konnten auch die rund 1200 internationale Beobachter nicht ausmachen.

Ihre Einschätzung des Votums fiel dennoch so aus, wie Jermoshina befürchtet hatte: Vernichtend. Denn von Chancengleichheit der Kandidaten im Wahlkampf konnte nicht einmal in Ansätzen die Rede sein. Vor allem deshalb haben Milinkewitsch und Kosulin das Ergebnis für illegitim erklärt und wollen mit Hilfe internationaler Strukturen dessen Annullierung erreichen. Beide Kandidaten machen zudem geltend, dass sich die Ergebnisse unabhängiger Exit Polls – Befragungen von Wählern unmittelbar nach vollzogener Stimmabgabe, die sich gewöhnlich nur um wenige Punkte von den offiziellen Zahlen unterscheiden – in Belarus völlig andere Trends ergaben. Demzufolge stimmten mindestens 25 Prozent für Milinkewitsch, während Lukaschenko nur knapp 47 Prozent einsammelte. Eine Stichwahl wäre dann unumgänglich. Und die Opposition hätte damit ihr eigentliches Ziel erreicht: Den Massen die wachsende Schwäche des Regimes vorzuführen. In der Hoffnung, die Teilnehmerzahlen bei Protestaktionen damit auf Größenordnungen zu steigern, die den Weg für Entwicklungen wie in der benachbarten Ukraine frei machen. Auf eine erste Kraftprobe mit der Macht ließen Milinkewitsch und Kosulin es bereits am Sonntagabend gleich nach Schließung der Wahllokale ankommen. Laut Angaben der Opposition versammelten sich im Zentrum von Minsk bis zu 10 000 Menschen. Offiziell war von knapp 3000 die Rede. Mit den verbotenen weiß-roten Nationalflaggen, vereinzelt auch mit EU-Wimpeln und Blumen für die Sondereinheiten der Polizei, die, mit Rücksicht auf die internationalen Beobachter, offenbar Befehl hatten, nicht einzugreifen, obwohl das Meeting nicht genehmigt war.

Am Montagabend fand ein weiteres Meeting statt. Man werde zunächst die verfassungsmäßigen Mittel ausschöpfen und nach Verkündung des offiziellen Endergebnisses Ende der Woche eine Neuzählung verlangen, sagte Kosulin gegenüber russischen Medien. Wenn die Macht darauf nicht eingeht, sei der »Einsatz nichtverfassungsmäßiger Kampfmethoden nicht auszuschließen«.

* Aus: Neues Deutschland, 21. März 2006


Absolut gesiegt

Von Detlef D. Pries

Der Sieger der belarussischen Präsidentenwahl stand von vornherein ebenso felsenfest wie die Benotung dieser Wahl durch westliche Demokratie-Lehrer: ungenügend, weil weder frei noch fair. Wahr ist: Alexander Lukaschenko ist kein Liberaler. Er glaubt, Belarus auf einem Weg in die Marktwirtschaft führen zu können, der soziale Einbrüche umgeht. In der Tat kennt das Land östlich des Bug bisher weder Massenarbeitslosigkeit noch milliardenschwere Oligarchen. Stattdessen steigen Löhne und Renten für alle. Deshalb ist Lukaschenko populär und musste um den Sieg nicht bangen.

Aber Feinde hat er durchaus. Äußere, weil man in NATO und EU ein alternatives Entwicklungsmodell an der eigenen Grenze schwer erträglich findet. Innere, weil Kritikern wenig Raum bleibt, zumal Lukaschenkos Herrschaft über Apparate und Medien absolut ist. Seine Widersacher haben nur die Straße, und auch die wird ihnen oft verwehrt.

Vom Ausland gekauft sind Lukaschenkos Gegner nicht, er selbst ruft genügend Widerspruch hervor. Doch großzügig gesponsert sind seine Opponenten allemal. Was sie in den Augen der Mehrheit umso verdächtiger macht. Die Belarussen wissen schließlich von ihren ukrainischen Verwandten, dass Revolutionen von der Art der orangenen dem »einfachen« Volk wenig nützen. Und weitere »Zwangsmaßnahmen«, über die man in der EU nun nachdenken will, werden die Demokratie in Belarus ganz gewiss nicht fördern.

Aus: Neues Deutschland, 21. März 2006


Die Partisanen von Belarus

Am Wahlsonntag in Minsk: Begegnungen im Wahllokal und auf dem Unabhängigkeitsboulevard

Von Werner Pirker

Das Wahllokal im Gymnasium Nr. 7 im Minsker Partisanski-Rayon entsprach allen demokratischen Standards. Wie überall auf der Welt, wo freiheitlich-demokratische Wahlen stattfinden. Ein wenig erinnerte die Atmosphäre auch an vergangene sowjetische Zeiten, als Wahltage noch wirkliche Festtage waren und man sich bei der Stimmabgabe gegenseitig beglückwünschte. Ein Hoch der kommunistischen Zukunft! Die Zukunft war auch bei diesen Wahlen ein allgegenwärtiges Thema. Auf daß der Weg dorthin in geordneten Bahnen verlaufe und das Leben stetig besser werde.

Wahlbeobachter stellten sich vor. Unter ihnen ein Mann in der Uniform der belarussischen Kosaken. Der erste Ausländer war der Berichterstatter der jungen Welt. Bei ihm beschwerte sich die Direktorin des Gymnasiums über die westlichen Medien, die wenig Freundliches über ihr Land zu berichten wissen. Dabei sei doch ein würdiger Platz der Respublika Belarus in einer friedfertigen Welt die wichtigste Leitlinie der Regierungspolitik. Sie verwies auf die Leistungen des Staates und besonders »unseres Präsidenten Alexander Grigoriwitsch Lukaschenko« zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen. Und ganz besonders der jungen.

Ein Rentner, der das Gespräch verfolgt hatte, zitierte aus Lukaschenkos am Freitag abgegebener »Erklärung an das Volk«. »Es wird in unserem Land keinen Umsturz geben.« Man merkte ihm an, daß er auf Lukaschenkos Sieg schon ein paar hundert Gramm Wodka gehoben hatte. Die Amerikaner, sagte er, wollten Belarus unter ihr Joch zwingen. Das werde niemals passieren. Denn: »Wir sind die Partisanen von Belarus.« Dann kam er auf Jugoslawien zu sprechen. »Milosevic war unser Bruder.«

Am Unabhängigkeitsboulevard, der Hauptstraße von Minsk, war tagsüber von Unruhen noch nichts zu spüren. Die Gaststätten, sofern sie geöffnet hatten, waren überfüllt von Ausländern und einheimischem Personal. Die Szene wirkte verschwörerisch. Im Palast der Republik, wo sich das Informationszentrum der Wahlkommission befand, wurde Normalität demonstriert. Die Berichterstattung des Fernsehens vermittelte den Eindruck eines allgegenwärtigen nationalen Willens, eine Abkehr von der Marktwirtschaft der sozialen Orientierung nicht zuzulassen. Befragte Wähler bekannten sich zur Ruhe als erster Bürgerpflicht. Vor das Mikrofon gebetene Politologen und Soziologen beriefen sich immer wieder auf Lenins Charakterisierung einer revolutionären Krise, die dann eintrete, wenn die Beherrschten nicht mehr so leben wollen wie bisher und die Herrschenden nicht mehr so regieren können wie bisher. Eine solche Situation, erklärten sie unisono, sei in der Republik Belarus nicht gegeben. Es bestünden nicht die geringsten Voraussetzungen für eine »Revolution«.

Als Lukaschenkos überwältigender Sieg bekanntgegeben wurde, wurde eine zweite Realität sichtbar. Die Lukaschenko-Gegner begannen, ihre Niederlage als moralischen Sieg zu feiern. Alexander Milinkiewitsch, der mit etwa sechs Prozent abgeschmetterte stärkste Gegenkandidat, empfahl sich als Führer der belarussischen »Kornblumenrevolution«. Der Demonstrationszug formierte sich am Oktoberplatz und reichte eine Metrostation lang bis zum Siegesplatz. Die Teilnehmer: überwiegend junge und bessergestellte Leute. Für sie ist der alte Partisan vom Partisanski-Rayon nur ein Relikt aus grauer Vergangenheit.

Aus: junge Welt, 21. März 2006


Schon vor der Wahl war klar, dass der Wahltag selbst nicht viel ändern würde in Belarus. In der FAZ überschrieb Michael Ludwig seinen Artikel mit "Der Sieger steht schon fest". Darin hieß es u.a.:

(...) Lukaschenka hat sein Land in die internationale Isolation geführt. Es ist wegen des herrschenden Unterdrückungssystems das einzige europäische Land, das nicht in den Europarat aufgenommen wurde. Lukaschenka braucht diese Isolation, um sich vor dem daraus gewonnenen Feindbild nach innen als Held stilisieren und feiern lassen zu können. Rußland, seit 1999 in einem Vertrag über die Bildung einer Union mit dem Nachbarland eng verbunden, hat unter Präsident Jelzin weggeschaut; Präsident Putin stützt Lukaschenka und finanziert das wirtschaftliche Überleben Weißrußlands unter für die weißrussische Bevölkerung einigermaßen erträglichen Bedingungen weiter und stärkt Lukaschenka auch politisch den Rücken. Führende russische Politiker engagierten sich während des Wahlkampfes in Weißrußland für Lukaschenka. Russische Oppositionspolitiker haben dagegen keine Aussicht, die Politik des Kremls gegen Weißrußland zu ändern. Als Verbündeter der Europäer für die Verwirklichung demokratischer Grundsätze auch in Weißrußland fällt das offizielle Moskau aus. Die überwiegend russischen Wahlbeobachter von der Mission der GUS-Staaten kamen in dieser Woche nach Minsk und fanden, außer einigen verbesserungswürdigen technischen Details der Wahlvorbereitung, nichts auszusetzen. Daß in der Hauptstadt Plakate Milinkewitschs nicht zu sehen waren dürfte sie kaum gestört haben.

Was die Masse der weißrussischen Bevölkerung von dem Regime Lukaschenkas wirklich hält oder wie sie die Rolle Rußlands einschätzt, läßt sich in einem Klima der Angst, mangels freier Medien und unbehinderter soziologischer Forschung kaum verläßlich bestimmen. Es gibt jedoch Hinweise, daß die Unzufriedenheit zunimmt und daß offenbar ein großer Teil (angeblich bis zu 50 Prozent) der jungen Menschen unter 30 Jahren Weißrußland am liebsten verlassen möchten. Es ist dafür gesorgt, daß sich Ablehnung des Regimes im Wahlergebnis nicht widerspiegelt.

FAZ, 18. März 2006


Im Wiener Standard wird vor Sanktionen gegen Weißrussland abgeraten. Dafür sollte die "freie Presse" unterstützt werden. Im Kommentar von Josef Kirchengast ("Sieg über die Angst") heißt es u.a.:

Milinkewitsch hat .. Recht, wenn er sagt: "Wir haben bereits einen großen Sieg errungen." Es ist vor allem ein Sieg über die Angst. Wenn sich trotz der massiven Gewaltandrohungen des Regimes tausende versammeln, dann zeugt das von beeindruckendem Mut. Beeindruckend offenbar auch für die "Sicherheitskräfte", die am Wahlabend nicht einschritten.

Der Mut der weißrussischen Demokraten verdient nicht nur Respekt, sondern Unterstützung, vor allem durch die EU. Das bedeutet weit mehr Kreativität bei der Förderung der weißrussischen Zivilgesellschaft. Sanktionen sind dabei nur begrenzt hilfreich, weil sie meist zu einem Solidarisierungseffekt führen. Die Solidarisierung lässt allerdings in dem Maße nach, in dem auch das Pro-Lukaschenko-Lager über die wahren Verhältnisse im Land und dessen internationale Isolierung informiert wird. Und das kann nur über freie Medien geschehen. Auf deren Förderung sollten sich also, allen widrigen Umständen zum Trotz, die westlichen Anstrengungen konzentrieren.

DER STANDARD, 21. März 2006


Zum Schluss noch einen Auszug aus einer Analyse aus russicher Sicht. Alexej Makarkin, stellvertretender Generaldirektor des Zentrums für politische Technologien in Moskau, schrieb vor der Wahl einen Beitrag für die Nachrichtenagentur RIA Nowosti ("Der Antiglobalist Lukaschenko"). Darin heißt es u.a.:

(...)Lukaschenkos Problem ist, dass er schon beim ersten Wahlgang gewinnen muss. Wenn dem gegenwärtigen Präsidenten auch nur ein paar Prozent bis zum absoluten Sieg fehlen werden, kann sein Regime in der Zeit zwischen den Wahlgängen zerbröckeln und würden viele Anhänger, darunter unter den staatlichen Angestellten, demoralisiert sein. Wenn aber Lukaschenkos Sieg schon in der ersten Runde feststeht, wird es die Opposition unter der Parole des Schutzes der Demokratie mit einer "samtenen Revolution" versuchen und der Macht die Fälschung der Wahlergebnisse vorwerfen (eine etwas korrigierte Variante der serbischen, der georgischen und der ukrainischen Ereignisse).

Daher auch das von Lukaschenko vorgeschlagene Rezept zur Bekämpfung der Revolution: den Opponenten einen Präventivschlag versetzen, wozu sie in den Augen der Bevölkerung in Misskredit zu bringen sind, ihre Reihen nach Möglichkeit desorganisieren und die politischen Opponenten zu "Verschwörern" abstempeln. Lukaschenko führt vor Augen, dass er nicht der Ukrainer Kutschma und nicht der Georgier Schewardnadse ist. Seine Aufgabe ist es, um jeden Preis die mögliche Zahl der Teilnehmer an Protestaktionen nach den Wahlen zu senken.
(...)
Möglich, dass Lukaschenko auch diesmal erfolgreich sein wird, zumal er sich keineswegs in völliger Isolierung befindet: Ihn unterstützt Russland als den Partner aus dem Unionsstaat. Russlands Wahl hat nichts mit Sympathien für die Person Lukaschenkos zu tun, der trotz all seiner prorussischen Erklärungen ein sehr vertrackter Verbündeter ist: Beispielsweise wird die Einführung einer gemeinsamen Währung beider Staaten mit Emissionszentrum in Moskau bereits seit Jahren erfolglos erörtert. (...)

Aber für Russland ist Lukaschenko nicht so sehr als "prorussischer" wie vielmehr als "antiwestlicher" Politiker wichtig. Mit seinem Ruf ist er für die Europäische Union nicht salonfähig, selbst wenn er plötzlich zu einem Anhänger der europäischen Integration würde. Weißrussland wird aber, solange Lukaschenko dort Präsident ist, garantiert nicht aus der Union mit Russland austreten und garantiert nicht in die NATO eintreten.

Wir wollen daran erinnern, dass die baltischen Länder der NATO bereits 2004 beigetreten sind, und gegenwärtig wirft die "orange" Regierung der Ukraine ganz im Ernst die Frage ihrer atlantischen Integration auf. Vor diesem Hintergrund scheint Weißrussland der einzige russische Vorposten im Westen zu sein, der im Verteidigungsbereich (beispielsweise bei der Luftverteidigung) aktiv mit Russland zusammenarbeitet.

Daher auch die durch und durch pragmatische Haltung Russlands zur Situation in Weißrussland und seine Hoffnung auf die Stabilität von Lukaschenkos Regime. Es ist durchaus möglich, dass bei diesen Wahlen die Prognose in Erfüllung gehen wird. Das bedeutet jedoch nicht, dass das Regime in Zukunft mit keinen Schwierigkeiten konfrontiert wird. Einerseits wird die Opposition immer aktiver: Bei den vorigen Präsidentenwahlen wirkte ihr Vertreter beinahe wie ein stummer Komparse, heute dagegen geht es um einen realen politischen Kampf. Andererseits hängt jedes ausgeprägte personengebundene Regime, auch das weißrussische, in hohem Maße von der persönlichen Zukunft des Leaders ab, der keinen Nachfolger hat und die Prozedur der Übergabe der (selbst noch so gelenkten und kontrollierten) Macht nicht vorsieht.

Russische Nachrichtenagentur RIA Nowosti, 17. März 2006; http://de.rian.ru.


21.Mär.2006, Presseerklärung:

Diplomatisches Potenzial im Konflikt mit Weißrussland ausschöpfen

Von André Brie

André Brie, Europaabgeordneter der Linkspartei, hat die EU zur diplomatischen Lösung des Konflikts mit Weißrussland aufgerufen. "Wie bereits das Verhalten gegenüber der neuen palästinensischen Führung zeigt, setzen Rat und Kommission bei politischen Differenzen in jüngster Zeit verstärkt auf Druck von außen, statt zunächst die Möglichkeiten der Diplomatie auszuschöpfen", erklärte der Linkspartei-Politiker am Dienstag in Brüssel. "Aber einerseits ändern Strafmaßnahmen kaum etwas an den bestehenden Realitäten, andererseits ist zumeist die Bevölkerung direkt oder indirekt von solchen Schritten betroffen." Brie reagierte damit auf die Ankündigung der EU-Außenminister, man werde wegen möglicher Wahlmanipulationen Sanktionen gegen Minsk prüfen.

Keinesfalls dürfe die Europäische Union jedoch Verletzungen demokratischer Grundprinzipien tolerieren, betonte der Abgeordnete "Gerade die EU kann dabei ihre Traditionen und Erfahrungen sowie ihre diplomatische Kompetenz einbringen. Damit lässt sich mehr erreichen als mit Drohgebärden oder Sanktionen, die letztlich eine demokratische Entwicklung behindern würden."

Quelle: www.pds-europa.de


AG Aussenpolitik

Nach den Wahlen in Belarus - EU muss handeln

Zu den Praesidentschaftswahlen in Belarus erklaert der stellvertretende aussenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und Wahlbeobachter in Belarus fuer die NATO-PV, Markus Meckel:

Die Wahlen sind weder frei noch fair verlaufen. Im Gegenteil, schon weit im Vorfeld wurde die Opposition massiv behindert und unterdrueckt. Dem offiziellen Wahlergebnis ist kein Glauben zu schenken. Es ist zu begruessen, dass dies von OSZE, EU, Europarat, den USA und unter anderem auch von der deutschen Regierung deutlich gesagt wurde.

Die Situation in Belarus ist deprimierend. Leider hat die EU nur wenige Moeglichkeiten, von aussen Einfluss auf die Entwicklung in Belarus zu nehmen. Hoffnungsvoll dagegen ist, dass sich die vormals sehr zerstrittene Opposition um den gemeinsamen Praesidentschaftskandidaten Alexander Milinkiewitsch geeint hat, mit dem auch der zweite Oppositionsbewerber Alexander Kosulin zuletzt eng kooperiert hat. So ist eine demokratische Alternative zu Lukaschenko entstanden, die auch ueber den Wahltag hinaus Bedeutung hat. Trotz kontinuierlicher Repression setzen sich Milinkiewitsch und seine Anhaenger mit viel Mut und Energie auch weiterhin fuer Demokratie und Freiheit ein. Sie setzen somit ein Signal der Hoffnung, dass ueber die Grenzen Belarus' hinaus wahrgenommen wird. Mit Alexander Milinkiewitsch gibt es auch in der Zukunft einen ernstzunehmenden demokratischen Ansprechpartner fuer die Staaten der EU in Belarus.

Angesichts der Ereignisse und der fortsetzenden Unterdrueckung der Opposition durch das Lukaschenko-Regime ist die EU aufgefordert, deutliche Zeichen zu setzen und Massnahmen zu ergreifen, die den demokratischen Wandel in Belarus befoerdern.
  1. Die EU sollte den Visa-Bann deutlich ausweiten, der bisher nur fuer die Spitzen des Staates galt. Dieser Bann sollte nicht pauschal ausfallen, sondern sich gezielt auf Funktionaere beziehen, die das Unterdrueckungssystem aktiv stuetzen. Die EU sollte dabei auch die Regierungen der EU-Kandidatenlaender Kroatien, Bulgarien, Rumaenien und Tuerkei ueberzeugen, sich einem erweiterten Visa-Bann anzuschliessen. Viele belorussische Funktionaere machen in diesen Laendern Urlaub. Die Namen der Personen, die kein Visum in die EU erhalten, sollten oeffentlich gemacht werden.
  2. Gleichzeitig muessen in Zukunft die Gebuehren fuer Visa fuer die belorussische Bevoelkerung auch in Zukunft niedrig bleiben und duerfen mit dem Beitritt Polens und Litauens zum Schengen-Gebiet nicht auf die uebliche Gebuehr von 60 Euro erhoeht werden. Visa-Gebuehren muessen fuer die Menschen in Belarus erschwinglich bleiben, und die Bevoelkerung und insbesondere die Opposition muss die Moeglichkeit zu Kontakten in den Westen haben.
  3. Die EU sollte auslaendische Konten von hohen Regimefunktionaeren sperren und die USA, die Schweiz sowie die EU-Kandidatenlaender davon ueberzeugen, dies ebenfalls zu tun. Das Sperren von Auslandskonten koennte zunaechst auch nur angedroht werden, um sich weitere Sanktionsmoeglichkeiten offen zu halten, falls das Regime die Repressionen gegen die demokratische Opposition in Belarus in den kommenden Wochen verschaerfen sollte.
  4. Die sofortige Freilassung von politisch Inhaftierten, insbesondere diejenigen, die jetzt im Zusammenhang mit den Wahlen festgenommen wurden, muss weiterhin deutlich angemahnt werden.
  5. Alexander Milinkiewitsch und andere demokratisch gesinnte Politiker sollten baldmoeglichst demonstrativ zu Besuchen in die Hauptstaedte Europas eingeladen werden.
  6. Russland hat 2006 den Vorsitz der G 8 und uebernimmt ab Mai 2006 ebenfalls den Vorsitz im Ministerrat des Europarates. Die EU sollte sich in diesem Kontext gegenueber dem russischen Praesidenten Wladimir Putin deutlicher als bisher dafuer stark machen, dass auch er und die russische Regierung eine Verantwortung fuer Demokratie und Rechtstaatlichkeit in Belarus haben.
  7. Ueber das bisher von der EU mit 2 Millionen Euro gesponserte Radioprogramm, das ueber die Deutsche Welle in Belarus ausgestrahlt wird, muessen die unabhaengigen Medien und Journalisten in Belarus intensiver unterstuetzt werden.
Die Entwicklung in Belarus muss auf der tagespolitischen Agenda Europas bleiben.

Quelle: Newsletter, der SPD-Fraktion, 21. März 2006


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