Gewaltsames Wahlfinale in Minsk
OSZE-Beobachter: Der Stimmenauszählung nach Präsidentenwahl fehlte es an Transparenz
Einen Tag nach der Präsidentenwahl in Belarus, der gewaltsame Ausschreitungen im Zentrum von Minsk gefolgt waren, kreidete die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) dem Land ein gravierendes Demokratiedefizit an.
Bis zu freien Wahlen habe Belarus noch »einen beträchtlichen Weg zurückzulegen«, urteilte die OSZE-Beobachtermission am Montag. Amtsinhaber Alexander Lukaschenko hatte die Wahl am Sonntag nach offiziellen Angaben mit 79,7 Prozent der Stimmen gewonnen. In der Nacht darauf war es in Minsk zu gewaltsamen Zusammenstößen gekommen. Zehntausende Demonstranten protestierten gegen das ihrer Meinung nach gefälschte Ergebnis. Nachdem einige versucht hatten, den Regierungssitz zu stürmen, wobei Fenster und Türen zu Bruch gingen, schlug die Polizei die Proteste gewaltsam nieder.
Dem OSZE-Bericht zufolge verlief der Wahlgang selbst zwar zufriedenstellend, nicht aber die Stimmenauszählung. »Der Auszählung hat es an Transparenz gefehlt«, erklärte der Chef der OSZE-Beobachtermission, Tony Loyd. Die Wahl habe Belarus »nicht den neuen Aufbruch beschert, den es brauchte«. Dies zeige auch die Gewalt gegen Demonstranten. Die Polizei war mit Schlagstöcken und Wasserwerfern gegen die Menge vorgegangen und hatte hunderte Protestierende festgenommen, darunter nach Angaben von Oppositionssprechern auch sieben der neun Gegenkandidaten Lukaschenkos. Zwei Bewerber, Viktor Tereschtschenko und Jaroslaw Romantschuk, distanzierten sich von dem Angriff auf das Regierungsgebäude, der schon vor Tagen geplant worden sei.
Lukaschenko bezeichnete die Demonstranten als »Vandalen«. »Es wird in Belarus keine Revolution geben«, fügte er hinzu. Das staatliche Fernsehen hatte den seit 1994 regierenden Präsidenten bereits am Sonntagabend zum Wahlsieger erklärt. Die Wahlkommission bescheinigte ihm knapp 80 Prozent der Stimmen. Seine wichtigsten Herausforderer, Andrej Sannikow und Wladimir Nekljajew, kamen demnach auf je 6,1 Prozent.
Alexander Milinkewitsch, Herausforderer Lukaschenkos im Jahre 2006, verglich die Proteste mit dem Sturz des kirgisischen Präsidenten Kurmanbek Bakijew im April. Die Demonstranten hätten ein »kirgisisches Szenario« gewollt, sagte er der Nachrichtenagentur AFP. Kandidat Andrej Sannikow hatte im Zentrum von Minsk verkündet: »Hier hat Belarus 1991 die Unabhängigkeit bekommen und heute wird hier Lukaschenkos Diktatur fallen.« Der CDU-Bundestagsabgeordnete Georg Schirmbeck erklärte der »Neuen Osnabrücker Zeitung« noch am Wahltag: »Die Vorwürfe der Opposition, Lukaschenko habe Wahlbetrug begangen, kann ich – so leid es mir tut – so nicht bestätigen.« Wahlbeobachter der UdSSR-Nachfolgegemeinschaft GUS bezeichneten das Vorgehen der Polizei als »legitim« und die Wahlen als »transparent«.
Namens der Bundesregierung sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin, die Ereignisse seien ein »herber Rückschlag« für die Beziehungen zu Belarus und ließen an eine »weitere Annäherung nicht denken«. Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton verurteilte besonders die Festnahme von Oppositionspolitikern. Sie bedauerte, »dass die Ereignisse nicht den relativen Fortschritt widerspiegeln, den wir während des Wahlkampfes gesehen haben«. In einer Erklärung der US-Botschaft in Minsk hieß es, die Vereinigten Staaten seien »besonders besorgt über den exzessiven Einsatz von Gewalt seitens der Behörden«.
Russlands Präsident Dmitri Medwedjew bezeichnete die Abstimmung dagegen als »innere Angelegenheit von Belarus«. Das Land sei einer der Staaten, »die Russland am nächsten stehen, egal, mit welcher politischen Führung«, sagte er in Moskau.
* Aus: Neues Deutschland, 21. Dezember 2010
"Ich habe keine Zeichen für Betrug gefunden"
Präsidentenwahl in Belarus – ein ehemaliger deutscher Polizeipräsident war Wahlbeobachter. Ein Gespräch mit Franz Masser **
Franz Masser war von 1991 bis 1996 Polizeipräsident in Dessau. Das Außenministerium von Belarus hatte ihn als Beobachter zur Präsidentschaftswahl eingeladen, die am Sonntag (19. Dez.) stattfand.
Am gestrigen Sonntag (19. Dez.) wurde in Belarus gewählt. Das Ergebnis wurde zwar erst nach Redaktionsschluß der jW erwartet – Umfragen lassen aber keinen Zweifel daran, daß Präsident Alexander Lukaschenko im Amt bestätigt wird. Sie sind als unabhängiger Wahlbeobachter dort – haben Sie Unregelmäßigkeiten wahrgenommen?
Ich habe weit über 20 Wahllokale in Minsk und im Rayon Rogatschew besucht, um den Ablauf der Vorwahl zu überprüfen. Dabei habe ich nicht die geringsten Anzeichen für irgendeinen Betrug entdeckt – ich habe auch von keinem anderen Wahlbeobachter derartiges gehört.
In Deutschland wußten Nachrichtenagenturen, Zeitungen und Fernsehredaktionen allerdings schon vorher von Unregelmäßigkeiten zu berichten. Es wird z. B. kritisiert, daß die Wähler schon Tage vorher ihr Kreuzchen machen konnten. Was hat es damit auf sich?
Die auf fünf Tage befristete Vorwahl ist vergleichbar mit der Briefwahl in Deutschland. Ich habe mich davon überzeugt, daß alles nach Recht und Gesetz abgelaufen ist: Es gibt wie bei uns Wählerverzeichnisse mit Namen und Wohnort des Wahlberechtigten. Wenn der sich ausweist, bekommt er den Wahlschein, dessen Empfang er mit seiner Unterschrift bestätigen muß. Den ausgefüllten Schein wirft er in der geschlossenen Wahlkabine in die Urne.
Die deutsche Briefwahl hingegen sehe ich mit etwas Skepsis. Es läßt sich nämlich nicht überprüfen, wer denn wirklich das Kreuz gemacht hat – es sind z. B. immer wieder Fälle bekanntgeworden, in denen Pfleger in Altenheimen den Wahlzettel an Stelle ihrer Schützlinge ausgefüllt haben.
Die OSZE hatte aber auch schon bei früheren Wahlen Unregelmäßigkeiten moniert ...
Als ehemaliger Polizeipräsident von Dessau fühle ich mich nur der Wahrheit verpflichtet. Ich war schon 2006 als Wahlbeobachter in Belarus und habeauch damals festgestellt, daß derartige Behauptungen einfach falsch sind, sie sind offenbar politisch gewünscht.
Über Satellit habe ich in Eins-Extra (digitaler TV-Sender der ARD, jW) ein Interview mit dem aus Deutschland kommenden Leiter der OSZE-Delegation in Minsk gesehen. Er vermittelte den Eindruck, bei der Vorwahl seien die Urnen nachts mit vorbereiteten Wahlscheinen vollgestopft worden. Das aber wäre gar nicht möglich gewesen, wie ich mich selbst überzeugen konnte: Die Urnen wurden abends unter Aufsicht von Wahlbeobachtern und der Polizei mehrfach versiegelt und in einem ebenfalls versiegelten Raum eingeschlossen. Dieser Raum wird die Nacht über von der Polizei bewacht.
In deutschen Medien wird Lukaschenko gerne als »letzter Diktator Europas« dargestellt. Ist er das?
Wie die USA oder auch Frankreich ist Belarus eine Präsidialdemokratie – d. h., der Präsident ist nicht nur Repräsentant des Staates, sondern steht auch der Exekutive vor. Wer für dieses Amt kandidiert, braucht 100000 Unterschriften von Wahlberechtigten, wobei man sich über die Zahl durchaus streiten kann. Das ist aber im Grundsatz basisdemokratisch, das ist transparent. Bei dieser Wahl gab es neun Gegenkandidaten zu Lukaschenko.
In Deutschland fühle ich mich als Wähler nicht ernstgenommen, dort werde ich von den Parteien unter Kuratel gestellt. Ich würde mir wünschen, daß wir bei uns dieselben basisdemokatischen Rechte hätten wie die Belarussen.
Es heißt immer wieder, die Oppositionsgruppen, die im deutschen Fernsehen auftreten, würden aus dem Westen unterstützt. Trifft das zu?
Wenn man im Internet recherchiert, stellt man fest, daß sich verschiedene deutsche Stiftungen mit Belarus befassen. Mehr will ich dazu nicht sagen, ich möchte keinen unnötigen Prozeß riskieren.
Interview: Peter Wolter
** Aus: junge Welt, 20. Dezember 2010
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