Vorbei mit "Druschba"
Rußland will mit neuer Pipeline den Öltransit durch Belarus umgehen. Lukaschenko reagiert mit Diversifizierung der Energieeinfuhren und Sparprogramm
Von Tomasz Konicz *
Das vom Kreml Anfang des Jahres angekündigte Vorhaben, eine Ölpipeline durch die Ostsee zu errichten, nimmt konkrete Formen an. Die neue Leitung würde Rußland in die Lage versetzen, unter Umgehung der Republik Belarus die westeuropäischen Metropolen mit dem Energieträger zu versorgen. Die als Erweiterung des baltischen Pipelinesystems angelegte und als BTS-2 bezeichnete Rohrleitung kam erstmals als Druckmittel Moskaus im energiepolitischen Streit mit Minsk Anfang des Jahres in die Diskussion. Die damaligen Auseinandersetzungen, die kurzzeitig zur Unterbrechung der Rohölversorgung der BRD und Polens führten, entzündeten sich an einer massiven Preiserhöhung für russische, an Belarus zu liefernde Energieträger, die hinzunehmen Minsk nicht bereit war.
Hohe »Transitrisiken«
Die neue Ölleitung könnte schon in eineinhalb Jahren fertiggestellt sein, wie Sergej Grigorjew, der Vizepräsident der staatlichen russischen Pipeline-Gesellschaft Transneft gegenüber der russischen Zeitung Kommersant erklärte. Dies dürfte auch die im Zuge des russischen Gasstreits mit Belarus und der Ukraine im Westen aufkommenden Zweifel an der Verläßlichkeit der russischen Energieimporte zumindest besänftigen. Zudem würde die neue Pipeline der gesamten nordöstlichen Peripherie Europas jegliches Druckmittel bei künftigen energiepolitischen Verhandlungen mit Rußland oder den westeuropäischen) Industriestaaten nehmen. Ein Sprecher des russischen Energieministeriums erklärte gegenüber dem Kommersant, die neue Pipeline diene der »Steigerung des Exportpotentials Rußlands«, aber auch der Minderung von »Transitrisiken«. Die BTS-2 soll bei Brjansk, ca. 150 Kilometer östlich der belarusischen Grenze, vor der »Druschba-Pipeline« nordwärts abzweigen. Die geplante Pipelineroute führt über St. Petersburg an den 140 Kilometer westlich am finnischen Meerbusen gelegenen Ölhafen von Primorsk, den 2001 ausgebauten End- und Verladepunkt des baltischen Pipelinesystems.
Die Kosten für den Bau dieser Erdölleitung werden von den russischen Stellen auf zwei bis 2,5 Milliarden US-Dollar geschätzt. Hinzu kämen die Aufwendungen für den Ausbau des Ölhafens in Primorsk, wo das russische Erdöl den Plannungen zufolge auf Ölfrachter verlanden werden soll. Bis zu 80 Millionen Tonnen Rohöl sollen jährlich durch die BTS-2 transportiert werden können. Diese Transportkapazität entspricht wohl nicht ganz zufällig dem Transitvolumen, das vermittels der »Druschba-Pipeline« über belarussisches Territorium gen Westen fließt. Über diese in sowjetischer Zeit erbaute, ironischer weise mit »Freundschaftspipeline« zu übersetzende Ölleitung bezieht auch Belarus bisher nahezu seinen gesamten Eigenbedarf von jährlich 20 Millionen Tonnen Rohöl aus Rußland – was 90 Prozent des belarusischen Energiebedarfs entspricht. Doch die belarusische Führung arbeitet fieberhaft daran, diese nahezu totale Abhängigkeit von russischen Energieträgern zumindest zu mindern. Vor wenigen Wochen gelang es dem belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko, einen ersten, wichtigen Teilerfolg bei dieser Suche nach neuen Energielieferanten zu erringen.
Öl aus Venezuela
Am 27. März meldete die belarussische Nachrichtenagentur BelTA den Abschluß eines spektakulären Wirtschaftsabkommens zwischen Belarus und Venezuela, das unter anderem dem osteuropäischen Land die Förderung von bis zu zwei Millionen Tonnen venezuelanischen Rohöl ermöglichen soll. Mit dieser Vereinbarung teilt Venezuela der Republik Belarus bereits erschlossene Ölfelder zu, die bis zum Erreichen der festgelegten Fördermenge ausgebeutet werden können. Im Gegenzug verpflichtete sich Minsk zur Lieferung landwirtschaftlicher Maschinen, LKW sowie Nahrungsmittel. In über 20 weiteren bilateralen Verträgen wurde überdies eine Intensivierung der militärischen, ökonomischen und technischen Kooperation vereinbart. Beide Seiten einigten sich darauf, einen gemeinsamen Investitionsfonds und eine Bank zu gründen, sowie in Kooperation Fabrikationsanlagen zu errichten. Belarussische Baufirmen sollen in Caracas ein Wohnviertel mit 5000 Appartements errichten. Zudem wird Caracas ein Raketenabwehrsystem und Militärflugzeuge in Belarus erwerben. Des weiteren startete die Führung in Minsk ein ehrgeiziges Energiesparprogramm, das die vergleichbaren Ankündigungen westeuropäischer Staaten als halbherzig erscheinen läßt: Bis 2010 soll der Energieverbrauch um 31 Prozent gegenüber dem Referenzjahr 2005 gesenkt, ab 2015 sogar 50 Prozent weniger Energie konsumiert werden. Minsk legt hierbei besonderen Wert auf die Steigerung der Energieeffizienz in der Industrie und den Ausbau der heimischen und alternativen Energieträger, die bis 2012 knapp 25 Prozent des Energiebedarfs des Landes decken sollen. Die für die Umsetzung des Energiesparprogramms zuständigen Beamten sollen durch ein rigides Prämien- und Lohnkürzungssystem zur Effektivität angespornt werden.
* Aus: junge Welt, 30. April 2007
Zurück zur Belarus-Seite
Zur Russland-Seite
Zur Seite "Erdöl, Gas und andere Ressourcen"
Zurück zur Homepage