Die Paten der "Jeans-Revolution"
Weißrussland: Polen und die Vereinigten Staaten haben die Hand am Puls der Zeit
Von Piotr Dobrowolski*
Vor drei Wochen konnte Oppositionsführer Alexander Milinkewitsch das Gefängnis nach einem vierzehntägigen Arrest wieder verlassen - nun allerdings drohen dem 58-Jährigen neues Ungemach und möglicherweise ein längerer Aufenthalt hinter Gittern. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen der "Weitergabe von Informationen, die das Ansehen Weißrusslands schädigen". Konkret geht es um zwei Interviews, die der Oppositionspolitiker der britischen BBC und der polnischen Tageszeitung Rzeczpospolita gab. Den Paragrafen, wonach eine Weitergabe von Informationen, die das Ansehen des Landes belasten, mit einer Haft von bis zu zwei Jahren geahndet werden kann, hat die Lukaschenko-Regierung im Dezember 2005 beschlossen - bislang jedoch noch nie angewendet.
Als eine Verschärfung der Repressionen sind die jüngsten Verhaftungen trotzdem nur bedingt zu sehen. Wie bisher bedient sich Alexander Lukaschenko mit einer gewissen Virtuosität einer ganzen Reihe von Maßnahmen - neben physischer Gewalt komplettieren ausgefeiltere Methoden sein Repertoire: So haben vor den öffentlichen Protesten am 1. Mai junge Oppositionelle Einberufungsbefehle zu einer Truppenübung erhalten, die weit außerhalb von Minsk stattfinden sollte - eine formell legale Methode, potenzielle Gegenspieler fern zu halten. Immer wieder stattet überdies der weißrussische Sicherheitsdienst Regimekritikern seine Hausbesuche ab. In väterlichem Ton raten dann die Beamten, in den nächsten Tagen doch lieber daheim zu bleiben, es gebe schließlich so viele Banditen draußen auf den Straßen.
Noch öfter als alle direkte Repression ist schlichter ökonomischer Druck dafür verantwortlich, dass die Revolte in Weißrussland trotz manch punktuellen Aufflackerns auf der Stelle tritt: Da im Staatssektor inzwischen die Praxis vorherrscht, nur noch befristete Arbeitsverträge zu vergeben, kann auf politische Unbotmäßigkeit mühelos reagiert werden. Ein Ausweichen in die Privatwirtschaft kommt nur für die wenigsten in Frage, schon gar nicht für Kolchos- und Fabrikarbeiter, am ehesten noch für junge, gebildete, westlich orientierte Bewohner der Hauptstadt.
Eine logische Schlussfolgerung
Diese "Westler" - nicht zufällig nennen sie ihre Proteste die "Jeans-Revolution" - bilden denn auch den harten Kern der weißrussischen Opposition und schielen gezwungenermaßen nach Washington wie auch nach Warschau. Ohne amerikanischen und polnischen Beistand geht zur Zeit wenig - die kritische Masse zu einer echten Revolte hat die Bewegung noch nicht erreicht und wird es vermutlich noch über einen längeren Zeitraum hinweg nicht tun. Dennoch hat das konservative Center for Strategic and International Studies (CSIS) in Washington, ein von der Bush-Administration hochgeschätzter Think-Tank, seit März Papiere in der Schublade liegen, die mit minutiöser Akribie ein Revolutionsszenario für Minsk vorzeichnen. Im wesentlichen soll es auf eine Neuauflage der "Orange-Revolution" in Kiew beziehungsweise der "Rosenrevolution" von Tiflis hinauslaufen, die im Herbst 2003 Eduard Schewardnadse um die Präsidentschaft brachte.
Die in dem Dossier gelieferte Begründung, warum sich die USA in Weißrussland engagieren sollten, hat mit Menschenrechten allerdings wenig zu tun. Es seien nationale Interessen der USA, die ein Einschreiten nötig machten, schreibt Celeste Wallander, die Direktorin des Eurasien-Programms im CSIS. Auch ein Bericht des US-Council on Foreign Relations lässt keinen Zweifel daran, dass Handreichungen für den weißrussischen Widerstand primär von geopolitischen Überlegungen geleitet sind: "Im Jahr 2005 haben russische Behörden den Zugang der USA und der NATO zu Luftwaffenstützpunkten in Zentralasien zu beschränken versucht. Amerikanische Hoffnungen auf eine Zusammenarbeit im Erdölbereich haben ebenfalls eine Reihe von Enttäuschungen erlitten", heißt es in einem 92seitigen Positionspapier des Councils, das die aus amerikanischer Sicht logische Schlussfolgerung zieht: Um den Wunsch Wladimir Putins, Russland wieder als regionale Großmacht zu etablieren, vereiteln zu können, müsse man seine Alliierten in der direkten Nachbarschaft schwächen. Nach der Ukraine und Georgien sei nun Weißrussland an der Reihe. Kein Wunder, dass Vizepräsident Dick Cheney vor wenigen Tagen der Frau des Oppositionspolitikers Alexander Milinkewitsch bei einem Treffen in Wilna versicherte: "Wir halten, was Weißrussland betrifft, die Hand am Puls der Zeit."
Meuterei im Apparat?
Der Demokratiebewegung in Minsk kann es freilich im Augenblick vollkommen egal sein, von wem sie Unterstützung und Gelder bekommt. Die Opposition als einen vom Weißen Haus und US-Kongress gesteuerten und verblendeten Haufen zu sehen, wäre jedoch falsch. Schließlich kann den weißrussischen Kommunisten, die ebenfalls zum Anti-Lukaschenko-Lager gehören, zwar so manche Verblendung nachgesagt werden, aber sicher keine übermäßige Nähe zu George Bush. Dass Oppositionsaktivisten unlängst für die Rückbenennung der zentralen Sieges-Allee in Mascherow-Boulevard demonstrierten, lässt sich ebenfalls kaum als Akt übertriebener Amerika-Liebe deuten: Der allgemein geachtete Partisan Pjotr Mascherow war von 1965 bis 1980 Erster Sekretär des ZK der Weißrussischen KP. Und was Alexander Lukaschenko selbst betrifft: Mehr noch als die Finanzierung der Opposition durch den Westen sollte ihm eigentlich ein anderes Faktum Sorgen bereiten: die ersten Anzeichen einer möglichen Meuterei im eigenen Apparat. Immerhin hat Ende April eine sich als "Patrioten" bezeichnende Gruppe von KGB-Offizieren in einem offenen Brief an die Opposition zugegeben, dass die Präsidentenwahlen vom März gefälscht wurden. Die wahren Ergebnisse seien 49 statt 83 Prozent für Lukaschenko und 28,4 statt 6,1 Prozent für den Herausforderer Milinkewitsch gewesen. Über die Authentizität des Schreibens gibt es indes geteilte Meinungen. Metschislaw Grib, ein ehemaliger Milizgeneral, der heute der Opposition nahe steht, ist allerdings überzeugt: "In dem Brief werden auch Interna angesprochen, die nur Insider kennen, er muss also echt sein."
Dass am vergangenen Freitag [26. Juni] in Minsk auf dem Gelände der Militärakademie ein neues drei Meter hohes Monument für den KGB-Gründer Felix Dscherschinski enthüllt wurde, kann vor diesem Hintergrund auch als Versuch Lukaschenkos gesehen werden, die unruhig gewordenen Dienste und Parteigänger wieder etwas freundlicher zu stimmen.
* Aus: Freitag 22, 2. Juni 2006
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