Sorge um Gefangene
Kritik an Justizsystem in Belarus
Von Jutta Blume *
Ein Jahr ist vergangen, seit sich Alexander
Lukaschenko, bereits seit
1994 Präsident der Republik Belarus,
für eine weitere Amtszeit wählen ließ.
Die Opposition rief daraufhin zu Protesten
gegen das ihrer Meinung nach
gefälschte Wahlergebnis auf.
In Minsk wurden im Dezember
2010 Hunderte Demonstranten
festgenommen, etliche wurden in
Schnellverfahren verurteilt. Während
die meisten wieder auf freiem
Fuß sind, sitzen elf der Verhafteten
noch immer in Gefängnissen, darunter
zwei der Präsidentschaftsbewerber,
die gegen Lukaschenko
kandidiert hatten: Andrej Sannikow
und Nikolai Statkewitsch.
Amnesty International fordert am
heutigen Montag mit einer Mahnwache
vor der belarussischen Botschaft
in Berlin die Freilassung aller
gewaltlosen politischen Gefangenen
und die Aufhebung der Todesstrafe
in Belarus.
Alexander Atroschankau, ehemaliger
Sprecher Sannikows, berichtete
dieser Tage in Berlin von
physischer und psychischer Folter,
vor allem während der drei Monate,
die er in Untersuchungshaft
verbrachte. Wegen Beteiligung an
»Massenunruhen« wurde er zu
vier Jahren Haft verurteilt. »Massenunruhen
sind nach dem Gesetz
so etwas wie Gewalt gegen Personen,
Brandstiftung oder Sachbeschädigung
«, erläuterte Atroschankau,
nicht aber die bloße
Teilnahme an Demonstrationen.
Im September wurde er unter
strengen Bewährungsauflagen aus
dem Gefängnis entlassen. Politisch
darf er sich nicht mehr betätigen.
Bei Verstößen gegen die Auflagen
droht ihm Hausarrest, im Wiederholungsfall
wieder Gefängnis. Was
als Verstoß angesehen wird, hänge
jedoch von der Willkür der Richter
ab, klagt Atroschankau.
Menschenrechtsorganisationen
und Lukaschenko-Gegner sind indessen
ernsthaft um das Leben der
verbliebenen Gefangenen besorgt.
Von Andrej Sannikow gibt es seit
drei Wochen keine Nachricht, obwohl
er das Recht haben sollte,
seinen Anwalt zu sehen.
Oleg Gulak vom belarussischen
Helsinki-Komitee zufolge leiden
nicht nur politische Gefangene unter
der schlechten Behandlung in
der Haft. Vertreter von Menschenrechtsorganisationen
erhielten keinen Zugang zu Gefängnissen,
aber ehemalige Insassen berichten
von überfüllten Zellen, schlechten
hygienischen Bedingungen und
der Verweigerung von Wasser und
Nahrung bei der Verlegung in andere
Anstalten. Verletzungen der
politischen Rechte gebe es aber
auch außerhalb der Gefängnisse,
berichtete Gulak, etwa Kündigungen
und Exmatrikulationen politisch
unliebsamer Personen.
Höchst umstritten ist das am
30. November verhängte Todesurteil
gegen Dmitri Konowalow
und Wladislaw Kowaljow. Die beiden
jungen Männer wurden für
den Anschlag in der Minsker UBahn
verantwortlich gemacht, bei
dem am 11. April 15 Menschen
ums Leben kamen. »Kaum jemand
glaubt an die offizielle Version
dessen, was passiert ist«, sagt
Atroschankau, »Außer den Aussagen
dieser jungen Männer gibt es
keinerlei Beweise.« Einer der Verurteilten
klagte später, er sei mit
Gewalt zu seinem Geständnis gezwungen
worden. Die Verurteilten
haben kein Recht auf ein Berufungsverfahren,
vor der Hinrichtung
könnte sie nur eine Begnadigung
durch Lukaschenko retten.
* Aus: neues deutschland, 19. Dezember 2011
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