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Gazprom drosselt erneut Energielieferungen

Konflikt Russland-Belarus um Bezahlung von Erdgas

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Am Montag (21. Juni) hat der russische Energiekonzern Gazprom damit begonnen, seine Gaslieferungen an Belarus einzuschränken. Hintergrund ist ein neuerlicher Streit um Rechnungen.

Vor der Drosselung waren Verhandlungen mit einer Delegation aus Minsk faktisch ohne Ergebnisse zu Ende gegangen. Das erklärte Gazprom-Chef Alexej Miller. Daraufhin habe es in Abstimmung mit Präsident Dmitri Medwedjew die Weisung gegeben, die Einspeisung zu reduzieren. Dies, so hieß es aus dem Kreml, werde schrittweise und proportional zu den aufgelaufenen Schulden erfolgen.

Die Zahlungsrückstände des Nachbarstaates sollen sich derzeit auf fast 200 Millionen US-Dollar belaufen. Obwohl Moskau dem Präsidenten von Belarus, Alexander Lukaschenko, auch für das laufende Jahr Freundschaftspreise von 160 US-Dollar pro 1000 Kubikmeter Gas gewährte, habe Minsk einseitig nach den niedrigeren Vorjahrespreisen abgerechnet und sich daher anfangs sogar geweigert, die Zahlungsrückstände als solche überhaupt anzuerkennen. Gestern boten die belarussischen Unterhändler zwar an, die Schulden durch Lieferung von Anlagen, Maschinen und Agrarerzeugnissen zu begleichen. Gazprom aber, wegen sinkender Nachfrage auf den Weltmärkten selbst in finanziellen Schwierigkeiten, will Bares sehen und lehnte ab.

Die Drosselung der Lieferungen – im schlimmsten Fall um bis zu 85 Prozent – könnte auch für Westeuropa Folgen haben. Wenn auch nicht in dem Umfang wie bei den diversen Gaskonflikten mit der Ukraine, über die Russland vier Fünftel seiner Lieferungen an die EU abwickelt. Die Konsultationen werden trotz der Kürzungen fortgesetzt. Experten halten jedoch das Eingreifen des russischen Staatschefs und der Regierung für unabwendbar, wenn eine Einigung erzielt werden soll.

Wie schon mehrfach sind es in erster Linie nicht wirtschaftliche Differenzen, sondern politisch Gründe, über die sich die beiden ostslawischen Brüder entzweit haben. So ließ Minsk Anfang Juni Verhandlungen über die mit Russland und Kasachstan geplante Zollunion platzen, durch deren Gründung sich Moskau für die nach wie vor bestehenden Hemmnisse für Russlands Beitritt zur Welthandelsorganisation WTO »rächen« wollte. Dazu kommt, dass Lukaschenko seinem Anfang April gestürzten kirgisischen Amtsbruder Kurmanbek Bakijew Asyl gewährt und dessen Auslieferung an die Übergangsregierung in Bischkek verweigert. Moskau unterstützt diese und sieht in Bakijew den Hauptschuldigen für die Unruhen im Süden Kirgistans. Kritischen Beobachtern fiel daher auf, dass Moskau sich der Gasschulden erst wieder erinnerte, als Bakijew aus Minsk gegen die neuen Machthaber wetterte.

Minsk wiederum nahm die Zölle übel, die Russland seit Jahresbeginn für seine Ölexporte von Belarus verlangt. Minsk musste, als Moskau Mitte Januar kurzzeitig den Hahn zudrehte, die Kröte jedoch schlucken. Ob Lukaschenko in der sich abzeichnenden neuen Runde des Energiestreits ähnlich ruhmlos einknickt und sich von Moskau auf bedingungslose Loyalität festnageln lässt, bleibt abzuwarten

An das Zustandekommen eines 1997 noch von Boris Jelzin auf Kiel gelegten russisch-belarussischen Unionsstaates glauben nicht einmal mehr Optimisten. Zumal sich Jelzins Amtsnachfolger Wladimir Putin statt für eine Vereinigung Gleichberechtigter dafür stark machte, die Regionen in Belarus einfach Russland zuzuschlagen. Lukaschenko reagierte mit vorsichtiger Annäherung an den Westen und trat im Mai 2009 dem EU-Programm für östliche Partnerschaft bei. Um den Ruf als »letzter Diktator Europas« loszuwerden, signalisierte er, dessen umstrittene Bestätigung im Amt 2006 heftige Proteste hervorrief, für die nächsten Wahlen sogar Bereitschaft zu einer fairen und freien Abstimmung.

* Aus: Neues Deutschland, 22. Juni 2010


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