Neue Runde im Streit Moskau – Minsk
Abschied von Vereinigungsplänen?
Von Irina Wolkowa, Moskau *
Der Energiestreit zwischen Russland und Belarus geht in eine neue Runde. Wegen der höheren
Gaspreise, die Moskau dem kleineren slawischen Bruder zwei Minuten vor Beginn des neuen
Jahres verordnete, verlangt Präsident Alexander Lukaschenko von Russland jetzt Bares für
Dienstleistungen, die Belarus bisher kostenlos erbrachte.
Die Forderungen betreffen vor allem die Nutzung militärischer Objekte sowie die Durchleitung von
Ölexporten für EU-Staaten. Pro Tonne will Belarus künftig 45 US-Dollar kassieren. Die Gebühren, so
erklärte Lukaschenko gestern auf einer Beratung mit seiner Regierung, seien Teil des
Paketgeschäfts über russische Gaslieferungen gewesen. Statt 46 muss Belarus jetzt pro 1000
Kubikmeter Gas 100 Dollar zahlen und Gazprom darüber hinaus 50 Prozent der Anteile an seinem
Leitungsunternehmen Beltransgaz verkaufen.
Sein Land, sagte Lukaschenko, habe alle Abmachungen erfüllt. »Wir sind Moskau gegenüber zu 100
Prozent sauber.« Wenn jetzt Russland seine Zusagen nicht erfülle, habe Minsk »absolute
Handlungsfreiheit«. Den Transit russischen Öls wollte er dabei ausdrücklich eingeschlossen wissen.
Auf einem Dreiergipfel in Minsk hatte sich Lukaschenko bereits Ende November mit seinen Kollegen
aus Aserbaidshan und der Ukraine, Ilham Alijew und Viktor Juschtschenko, über ein Konsortium
verständigt, das Öl und Gas aus der Kaspi-Region unter Umgehung Russlands nach Westeuropa
exportieren soll. Eine gemeinsame Arbeitsgruppe werkelt an einer Machbarkeitsstudie.
Ist das der endgültige Abschied von Plänen für einen russisch-belarussischen Unionsstaat? Moskau
rächte sich postwendend durch die Wiedereinführung von Ausfuhrzöllen für Öl, das Belarus für den
eigenen Bedarf importiert. Eben diese Zölle – pro Tonne 180 Dollar – waren 1997 mit Hinblick auf
den geplanten Unionsstaat abgeschafft worden. Belarus hatte das preiswerte russische Öl jedoch
vor allem weiter exportiert und damit soziale Leistungen finanziert, die meist erheblich höher
ausfallen als die in Russland. Moskau reagierte auch deswegen bisher nicht auf Forderungen nach
Halbierung der Zölle. Belarus stoppte jetzt den Import, doch die Vorräte reichen höchstens zwei
Wochen.
Russische Experten vermuten, Lukaschenko wolle Moskau bewusst provozieren und politische
Signale an die EU senden. Vor allem an Deutschland, das gegenwärtig die Ratspräsidentschaft
innehat. Spitzenmeldung hiesiger Medien waren dieser Tage Forderungen von Bundeskanzlerin
Angela Merkel, russische Investitionen in der EU zu beschränken, wenn Moskau seinen
Energiemarkt nicht für Westeuropa öffnet.
* Aus: Neues Deutschland, 5. Januar 2007
Neueste Meldungen der Russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti
Minsk: Keine Einschränkung für Öllieferungen in dritte Länder
MINSK, 04. Januar (RIA Novosti) Mit dem Beschluss Minsks über die Verzollung des russischen Öltransits über Weißrussland werden die Öllieferungen in dritte Länder in keiner Weise eingeschränkt. Das geht aus einer Erklärung des Pressesekretärs des weißrussischen Außenamtes, Andrej Popow, hervor.
„Der Beschluss über die Verzollung war eine Erwiderung der weißrussischen Seite auf den vorherigen Beschluss der russischen Regierung über die Einfuhrzölle für das Erdöl, das in Weißrussland eingeführt wird“, betonte er.
Der Grund für die weißrussische Gegenmaßnahme war der Verstoß der russischen Seite gegen internationale Verpflichtungen im Bereich des freien Handels, der Gründung einer Zollunion sowie der Vereinheitlichung des Systems der tarifären und der nichttarifären Regelung gewesen. „Beim Beschluss über diese Gegenmaßnahme ließ sich die weißrussische Seite auch von den Völkerrechtsnormen leiten, u. a. von der Energie-Charta, die die Einleitung von Maßnahmen zum Schutz der nationalen Interessen nicht verbieten“, sagte der Sprecher.
Der am 31. Dezember unterzeichnete Vertrag über die russischen Gaslieferungen an Weißrussland seien ein offensichtliches Zeugnis „für unsere maximal verantwortungsbewusste Haltung zu den Interessen der europäischen Partner“, betonte Popow. Russlands Ministerium für Wirtschaftsentwicklung und Handel hatte in einer am Donnerstag veröffentlichten Erklärung betont, dass der jüngste Beschluss Minsks im Widerspruch zu den geltenden bilateralen Handels- und Wirtschaftsabkommen steht. „Diese Schritte wurden von der weißrussischen Seite ohne Konsultationen mit der russischen Seite unternommen“, wird darin festgestellt. „Dieser Beschluss kennt keine seinesgleichen in der Weltpraxis, weil nur die Waren, die auf dem Territorium des eine Zollgebühr einführenden Landes entweder produziert oder konsumiert werden, vom jeweiligen Land mit einem Zoll belegt werden können.“
Gemäß dem russisch-weißrussischen Freihandelsabkommen vom 13. November 1992 sind beide Seiten verpflichtet, gegenseitig einen ungehinderten Transit ihrer Waren zu gewährleisten. In Übereinstimmung mit dem Abkommen über die einheitlichen Transitbedingungen auf dem Territorium der Mitgliedsländer der innerhalb der GUS gebildeten Zollunion vom 22. Januar 1998 werden die Transitwaren von Verzollung und Besteuerung befreit. Außerdem dürfen gegen diese Waren keine wirtschaftspolitischen Maßnahmen ergriffen werden, stellt das Ministerium fest.
„Die Einschränkung der Warentransitfreiheit kann sich negativ auf die Realisierung von Plänen zur zweiteren Integration beider Länder auswirken“, heißt es im Dokument.
Der weißrussische staatliche Konzern Belneftechim hatte zuvor mitgeteilt, er habe die russische Gesellschaft Transneft über die Einführung der Ölverzollung vom 1. Januar an informiert. Wie RIA Novosti erfuhr, wird die Zollgebühr auf Regierungsbeschluss vom 1. Januar an 45 Dollar pro Tonne Öl betragen. Der entsprechende Beschluss war am Mittwoch nach einer Beratung bei Weißrusslands Präsident Alexander Lukaschenko getroffen worden.
„45 US-Dollar ist eine begründete Zahl, die ausgehend von den internationalen Ölpreisen leicht zu errechnen ist“, erklärte Weißrusslands Ministerpräsident Sergej Sidorski am Mittwoch.
Ein Sprecher der russischen Regierung erklärte seinerseits, dass „mit einer nachträglichen Einführung solcher Normen gegen die weltweit üblichen zivilisierten Handelsregeln verstoßen wird“. „So etwas gestattet sich sonst kein Land auf der Welt“, hieß es.
EU äußert Genugtuung über russisch-weißrussische Einigung im Gasbereich
BRÜSSEL, 04. Januar (RIA Novosti) Nach Ansicht der Europäischen Kommission sind die Maßnahmen, die zur Gewährleistung der russischen Gaslieferungen nach Europa ergriffen wurden, „ausreichend und adäquat“. Das erklärte der Pressesprecher des Europakommissars für Energie, Ferran Tarradellas Espuny, am Donnerstag nach Abschluss einer Sitzung der EU-Koordinierungsgruppe für Erdgas vor Journalisten in Brüssel.
In der Sitzung, die am Donnerstag vom Energie-Europakommissar Andris Pibalgs, einberufen worden war, sprach der ständige Vertreter Weißrusslands bei der EU, Wladimir Senko, der die Teilnehmer über die russisch-weißrussische Einigung über die Gaslieferungen und den Gastransit 2007 informierte.
Der Vertrag zwischen Moskau und Minsk über Lieferungen und Transit von russischem Erdgas war am 31. Dezember zwei Minuten vor dem Jahreswechsel unterzeichnet worden.
EU zum Streit zwischen Moskau und Minsk um Verzollung des Öltransits
BRÜSSEL, 04. Januar (RIA Novosti) Der Pressesprecher des Europakommissars für Energie, Ferran Tarradellas Espuny, hat die Hoffnung geäußert, dass die Einführung der Verzollung des über das weißrussische Territorium verlaufenden Öltransits durch Minsk die Öllieferungen in die EU-Länder nicht beeinträchtigen wird.
„Dies ist zwar eine Frage der bilateralen Beziehungen zwischen Russland und Weißrussland, in der Europäischen Kommission wird aber diese Entwicklung sehr aufmerksam beobachtet“, sagte er.
Die EU-Exekutive hoffe darauf, dass die Belieferung der Ölabnehmer in Europa weiterhin gemäß den geschlossenen Verträgen geliefert wird.
Auf die Position der EU zu den Plänen des russischen Konzerns Gasprom bezüglich des weißrussischen Gastransportsystems Beltransgas angesprochen, erklärte Tarradellas Espuny: „Wer das Gastransport-Transitsystem in Weißrussland besitzen wird - diese Frage ist an die Weißrussen und Gasprom zu richten.“
Der weißrussische staatliche Konzern Belneftechim hatte zuvor mitgeteilt, er habe die russische Gesellschaft Transneft über die Einführung der Ölverzollung vom 1. Januar an informiert. Der Zoll wird 45 Dollar pro Tonne Öl betragen.
Nach Ansicht des russischen Ministeriums für Wirtschaftsentwicklung und Handel steht der jüngste Beschluss Minsks im Widerspruch zu den geltenden bilateralen Handels- und Wirtschaftsabkommen.
Quelle: http://de.rian.ru
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