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"Wir heißen Be – la – rus"

Das Interesse an Kooperation zwischen Minsk und der EU ist gegenseitig

Von Detlef D. Pries *

Mit einer »Ost-Partnerschaft« will die Europäische Union die ehemaligen Sowjetrepubliken Ukraine, Moldova, Armenien, Aserbaidshan, Georgien und »gegebenenfalls« auch Belarus enger an sich binden. In Minsk stößt diese Initiative, die von Polen und Schweden ausging, durchaus auf Interesse.

Anderthalb Stunden Reden und Fragen über die Republik Belarus, ohne dass von der »letzten Diktatur Europas« gesprochen wurde! Was in den vergangenen Jahren unmöglich schien – am Mittwochabend geschah es im Berliner Hotel »Adlon«. Nicht von ungefähr ging es um »Neue Perspektiven«, nämlich um solche im Dialog zwischen Belarus und der EU. Gast der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft war der belarussische Außenminister Sergej Martynow.

Wegen angeblicher und tatsächlicher Demokratiedefizite wurde Belarus über Jahre isoliert. 1997 brach die EU alle Kontakte auf Ministerebene ab. Präsident Alexander Lukaschenko und 40 weitere führende Politiker durften nicht mehr in die EU einreisen. Dafür wurden belarussische Oppositionelle in Brüssel und Strasbourg hofiert.

Seit Herbst vorigen Jahres aber deutet sich ein Wandel an: Vorsichtige Schritte zu Reformen in Minsk wurden von den EU-Außenministern mit der Aussetzung der Einreiseverbote für vorerst sechs Monate honoriert. Außenminister Martynow (56), der als Absolvent des Moskauer Instituts für Internationale Beziehungen und ehemaliger Botschafter seines Landes in den USA fließend englisch spricht, spielt offenbar die Rolle des belarussischen Eisbrechers.

Der Chefdiplomat lässt es an Selbstbewusstsein nicht fehlen. Einen Fragesteller, der »Weißrussland« sagt, weist er freundlich zurecht: »Wir sind nicht Weißrussland, wir sind Be – la – rus!« Und Belarus werde nicht um Zugeständnisse betteln, es biete sich jedoch als Partner an. Allein der geografischen Lage wegen – »eingequetscht« zwischen Russland und der EU – habe man gar keine Wahl: Man müsse sich um gute Beziehungen zu beiden großen Nachbarn bemühen. Zugleich sieht er in dieser Lage einen Trumpf: »Der kürzeste Weg zwischen Berlin und Moskau führt nicht über Kiew, sondern über Minsk.« Durch sein Land fließen 30 Prozent des Gases und 75 Prozent des Öls, das die EU aus Russland bezieht. Und während des jüngsten russisch-ukrainischen Gasstreits habe sich Belarus als Transitland »mehr als verantwortungsbewusst« gezeigt. Aus verständlichen Gründen betrachtet die Regierung in Minsk die geplante Gaspipeline durch die Ostsee (Nord Stream) mit Skepsis, Präsident Lukaschenko nennt sie »unprofitabel«. Wesentlich billiger und schneller ließe sich doch ein zweiter Strang der bestehenden Erdgasleitung Jamal-Europa durch Belarus verlegen.

Martynow weiß noch etliche andere Gebiete, auf denen eine Partnerschaft Belarus – EU für beide Seiten nützlich wäre: Kampf gegen illegale Migration, gegen organisierte Kriminalität, gegen Drogen- und Waffenhandel, Zusammenarbeit im Umweltschutz, Erleichterung der Zollformalitäten... Und übrigens bereite Belarus derzeit 500 Betriebe auf eine Privatisierung vor, während in klassischen kapitalistischen Staaten angesichts der Krise über die Nationalisierung von Unternehmen nachgedacht werde, wie Martynow spöttisch bemerkt. Nach dem Zerfall der Sowjetunion habe es eines starken Staates bedurft, um die Wirtschaft vor dem Zusammenbruch zu bewahren, erläutert der Minister. Jetzt fühle man sich stark genug für eine Öffnung des Marktes auch gegenüber dem Westen. Dafür bedürfe es keiner »orange, blauen, samtenen oder anderer Revolutionen«.

Ein russischer Journalist fragt prompt, ob Belarus etwa auch der EU und der NATO beitreten werde: »Das ist kein Albtraum«, entgegnet Martynow, »Ich kann es mir vorstellen – aber es steht nicht auf der Tagesordnung.« Noch wartet man in Minsk auf eine Einladung zum ersten Gipfel der »Ost-Partnerschaft«, den die tschechische EU-Ratspräsidentschaft plant. Vorher wird auch eine andere Frage des russischen Kollegen kaum beantwortet werden: Wann erkennt Belarus Südossetien und Abchasien als unabhängige Staaten an?

* Aus: Neues Deutschland, 13. Februar 2009


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